Es war gegen 2.40 Uhr in dieser New Yorker Nacht, die mit so viel Siegeshoffnung begonnen hatte, als Hillary Clinton sich und der Welt eingestand, dass ebenjene Hoffnung trügerisch war. Sie, die politisch bestgerüstete Demokratin, die große Favoritin, die Frau, die erste Präsidentin der USA werden sollte, hatte verloren.
Sie rief ihren Rivalen an. Sie gratulierte ihm zum Sieg. Sie gestand Donald Trump ihre Niederlage ein.
Eine Rede vor ihren wartenden Fans in der US-Metropole hielt Clinton nicht mehr. Stattdessen trat ihr Kampagnenleiter vor die Menge und beendete die Wahlparty in New York. Bei Trump, ein paar Kilometer weiter, brach währenddessen die Party los.
Man kann kaum ermessen, wie bitter der überraschende Sieg des Republikaners die Demokraten und ihre Spitzenkandidatin getroffen hat. Für die Partei ist dieser Wahlabend des 8. November eine Katastrophe: keine Präsidentin Clinton. Keine Mehrheit im Senat. Schon gar keine im Repräsentantenhaus. Die Demokraten sind in Exekutive und Legislative marginalisiert. Trump hat das Land nach rechts gezogen, und Clinton konnte ihn nicht aufhalten.
Es ist für sie auch eine persönliche Niederlage gegen einen Rivalen, den sie als menschlich wie politisch höchst problematisch empfunden hat. Es ist ein Schock, weil sie in allen Prognosen vorne lag. Sie war sich ihrer Siegeschance bewusst, und nun das: Präsident Donald J. Trump. Vermutlich hat sie es sich nicht vorstellen können, auch nicht vorstellen wollen.
"Ich bin das Letzte, was zwischen euch und der Apokalypse steht"
Man muss sich nur an Anfang Oktober erinnern, als Clinton in einem kargen Büro in der Industriestadt Toledo in Ohio eines ihrer seltenen Interviews gab und zum Chefreporter des New York Times Magazine recht offen sagte: Nein, sie habe keine Angst vor dem 8. November. "Ich werde diese Wahl nicht verlieren." Viele Leute würden zu ihr sagen: "Versau das nicht!" Sie beruhige die Leute dann stets mit dem Satz: "Ich bin das Letzte, was zwischen euch und der Apokalypse steht."
Ob die am 20. Januar 2017 beginnende Präsidentschaft von Donald Trump wirklich zum Weltende führen wird, sei dahingestellt, fest steht aber: Hillary Clinton hat es versaut. Sie hat es nicht vermocht, gegen einen Mann zu gewinnen, über den gerade mal ein Drittel aller Wähler sagt, dass er qualifiziert sei fürs Weiße Haus. Die ehemalige Senatorin und Außenministerin hat gegen einen Newcomer aus dem Biz und Showbiz verloren, der Frauen und Latinos beleidigt hat und laufend Lügen verbreitet. Sie, die die wichtigsten Politiker der Welt noch gut kennt, hat gegen einen Mann verloren, der Folterpraktiken wieder einführen und eine Mauer an der Grenze zu Mexiko bauen will.
Sie wollte Lehrerin werden - oder Atomphysikerin
Um sich die Fallhöhe dieser Wahlnacht klarzumachen, muss man sich Clintons Biografie vergegenwärtigen. Sie war in den Politikbetrieb hineingewachsen, nicht nur als First Lady, sondern auch als Senatorin und Außenministerin. Ihr Leben hat Clinton quer durch die USA und rund um den Erdball geführt - und sie hat das bewiesen, was ihr auch ihr rüpelhafter Gegner Donald Trump zugestehen musste: "Sie ist eine Kämpferin und steht immer wieder auf."
Die große Rückblende: Hillary Rodham wird am 26. Oktober 1947 in Chicago geboren. Sie wächst mit zwei Brüdern im Vorort Park Ridge auf; ihr Vater ist überzeugter Republikaner und betreibt eine kleine Firma, die Textilien bedruckt. Diese Anekdote hat die Wahlkämpferin Clinton oft erzählt: So betont sie ihre Herkunft aus der Mittelschicht. Trump kritisierte sie dafür, dass dieser wiederholt Kleinunternehmer nicht vollständig bezahlte.
Mit zwölf schreibt sie in einem Aufsatz, sie wolle Lehrerin werden - oder Atomphysikerin: "Die USA brauchen Wissenschaftler, denn Russland hat fünfmal so viele wie wir." Es ist die Hochphase des Kalten Kriegs. Als Teenagerin unterstützt Hillary noch die Republikaner: 1964 hofft sie im Wahlkampf als sogenanntes "Goldwater Girl" auf einen Sieg des erzkonservativen Präsidentschaftskandidaten Barry Goldwater.
Ihre Überzeugungen ändern sich während des Politik-Studiums am Wellesley College, wo Clinton 1965 aufgenommen wird. Hier trifft sie auf schwarze Studentinnen, sie wird zur erklärten Gegnerin des Vietnamkriegs und zur Unterstützerin des Demokraten Robert F. Kennedy. 1969 hält Hillary als erste Studentin am Wellesley College die Abschlussrede und verteidigt die Bürgerrechtsbewegung: "Wir müssen Politik als die Kunst betreiben, das anscheinend Unmögliche möglich zu machen."
Die Rede schlägt so große Wellen, dass TV-Sender und Magazine darüber berichten. Die damals 21-Jährige nennt als wichtigste Tugenden "Integrität, Vertrauen und Respekt" - genau das, was ihr ihre Gegner jetzt im Wahlkampf abgesprochen haben. Nach dem College studiert Hillary Jura an der Yale Law School und lernt ihren Ehemann Bill kennen.
Anstatt bei einer Großkanzlei anzuheuern, nimmt Hillary 1972 eine Stelle beim "Children's Defense Fund" an: Sie kurvt für die NGO durch South Carolina und recherchiert die missliche Lage von minderjährigen schwarzen Häftlingen. Dass Afroamerikaner zu ihren wichtigsten Unterstützern gehören, liegt auch an dieser Erfahrung, und gerade schwarze Frauen rechnen es "Schwester Hillary" hoch an, nicht immer den leichtesten Weg gewählt zu haben.