Der helle Verhandlungsraum mit den weißen Wänden am Oberlandesgericht in Stuttgart-Stammheim ist ein historischer Ort: Hier fand 1975 die Verhandlung gegen die RAF-Anführer Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe statt, die zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt wurden.
Wird nun eines der dunkelsten Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte seinen Abschluss finden, wenn die Richter am Mittag an dieser Stelle ihr Urteil über Verena Becker fällen? Unwahrscheinlich. Denn das wahrscheinlich letzte große Gerichtsverfahren um die Verbrechen der Roten Armee Fraktion (RAF) wird - unabhängig vom Urteil - wichtige Fragen nicht beantworten.
Die 15 tödlichen Schüsse des RAF-Kommandos "Ulrike Meinhof" auf den damaligen Generalbundesanwalt Siegfried Buback und seine beiden Begleiter Wolfgang Göbel und Georg Wurster am 7. April 1977 liegen inzwischen 35 Jahre zurück. Die Richter müssen nun darüber befinden, ob die spätere RAF-Aussteigerin Becker an dem Mord beteiligt war.
Becker wurde im Mai 1977 verhaftet und später wegen versuchten Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, weil sie bei ihrer Flucht auf Polizisten geschossen hatte. Die Behörden stellten nach der Festnahme die Tatwaffe des Buback-Mords bei der damals 24-Jährigen und ihrem Begleiter Günter Sonnenberg sicher. Ermittlungen zu einer Tatbeteiligung blieben aber ohne Ergebnis.
Wer saß auf dem Motorrad? Wer schoss?
Welche beiden Personen auf dem Motorrad saßen, von dem die Schüsse auf Bubacks Wagen abgegeben wurden, das ist bis heute ungeklärt. Als direkte Beteiligte wurden die RAF-Mitglieder Knut Folkerts, Christian Klar und Günter Sonnenberg verurteilt - allerdings nur als Mittäter.
Der Ex-Terrorist Peter-Jürgen Boock behauptet, RAF-Mitglied Stefan Wisniewski sei der Motorrad-Schütze gewesen - allerdings basiert diese Information seinen Angaben nach auf Hörensagen. Auch Verena Becker soll nach ihrer Abkehr von der RAF in den achtziger Jahren dem Verfassungsschutz Wisniewski als Täter genannt haben. 1989 begnadigte sie der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker.
Im Jahr 2007 nahm der Fall eine Wende: Michael Buback, der Sohn des Mordopfers, berichtete von Indizien, die auf Becker als Schützin hinwiesen. Im Juni 2008 leitete die Bundesanwaltschaft Ermittlungen ein und erließ ein Jahr später einen Haftbefehl, nachdem am Bekennerschreiben DNA-Spuren der Ex-Terroristin gefunden worden waren.
2010 begann der Mammut-Prozess, in dem die Behörde viereinhalb Jahre wegen Beihilfe zum Mord fordert. Von dem ursprünglichen Vorwurf der Mittäterschaft ist die Bundesanwaltschaft mittlerweile abgerückt. Die heute 59-Jährige soll eine "maßgebliche Rolle bei der Entscheidung für das Attentat sowie bei dessen Organisation" gespielt haben. Michael Buback hingegen gab sich als Nebenkläger weiterhin überzeugt, dass Becker selbst die Todesschützin war.
Die alte RAF-Elite schweigt
Nach mehr als 90 Verhandlungstagen, fast 160 Zeugen und mehr als einem Dutzend Sachverständigen ist der Tatablauf weiterhin unklar. Von Buback vorgeladene Zeugen konnten Becker nicht als die " zierliche Person", die sie auf dem Sozius des Motorrads gesehen haben wollen, identifizieren.
Von zwölf ehemaligen RAF-Mitgliedern, die als Zeugen geladen worden waren, verweigerten acht die Aussage. So wie Stefan Wisniewski, der zu seinem schweigenden Auftritt einen Pullover mit der NSDAP-Mitgliedsnummer Siegfried Bubacks trug. Die vier Mitglieder, die redeten, waren zu weit weg vom "Kommando Ulrike Meinhof", um für den Prozess wirklich wertvolle Informationen zu liefern.
Verena Becker selbst gab eine kurze Erklärung ab, in der sie bestritt, bei der Tat dabei gewesen zu sein und angab, sich zu diesem Zeitpunkt "im Nahen Osten" aufgehalten zu haben. Einzig die Beschuldigte selbst hätte es vermocht, etwas mehr Licht ins Dunkel zu bringen. Sie tat es nicht.
Für immer ungeklärt?
Michael Buback hält Becker weiterhin für die Schützin; er spricht von "schwersten ermittlungstaktischen Fehlern" und von "Informationsvernichtung". Die Bundesanwaltschaft wirft ihm dagegen vor, wichtige Details zu ignorieren.
So bleibt der Mordfall Buback weiterhin voller Rätsel und womöglich für immer unaufgeklärt. Ein Freispruch für Becker ist möglich. Sollte sie verurteilt werden, sollen ihr nach Wunsch der Ankläger zwei Jahre ihrer viereinhalb Jahre Haft erlassen werden. Das Gericht könnte aber auch entscheiden, die Haftstrafe aufgrund der Abgeltung durch die lebenslange Verurteilung aus dem Jahr 1977 nicht zu vollstrecken.