Unter hohem Einigungsdruck haben CDU und CSU am Sonntagmittag in Berlin einen neuen Versuch begonnen, den seit 2015 tobenden und im Wahlkampf ausgeblendeten Streit über die Flüchtlingspolitik zu beenden. Dabei geht es nach wie vor um die CSU-Forderung nach einer Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen.
Im Mittelpunkt steht nach Informationen aus Verhandlungskreisen aber auch die grundsätzliche Frage, ob die beiden Schwesterparteien wieder zu einer gemeinsamen Linie, gemeinsamer Rhetorik und zu verlässlichen Absprachen zwischen den Parteispitzen zurückfinden können. Vor der großen Runde trafen sich CDU-Vorsitzende Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer unter vier Augen. Bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe dauerten die Gespräche in der CDU-Zentrale noch an.
Das Verhältnis zwischen CDU und CSU gilt seit dem für beide verlustreichen Ausgang der Bundestagswahl als angespannt. Trotz großer Übereinstimmungen in Steuer-, Sicherheits- und Sozialpolitik hat der Streit über die Obergrenze und Flüchtlinge jede echte Annäherung bisher unmöglich gemacht. Dazu trug auch bei, dass die Führungen beider Parteien nach dem Wahltag beinahe konträre Schlüsse aus dem Ergebnis zogen. Während CDU-Chefin Merkel sagte, sie könne nicht erkennen, was sie mit Blick auf das Erstarken der AfD falsch gemacht habe, rief die CSU dazu auf, die "rechte Flanke" zu schließen.
Für Verärgerung hatte in München auch gesorgt, dass Merkel Tage vor der Wahl betonte, sie würde alles noch einmal so machen wie im Herbst 2015. Ähnlich verärgert sind viele prominente Christdemokraten, dass der Ruf nach einer Obergrenze nicht nachlässt. Scharfe Kritik übten daran zuletzt Finanzminister Wolfgang Schäuble und Fraktionschef Volker Kauder.
Sonderparteitag soll über Jamaika entscheiden
Bundeskanzlerin Merkel hatte unmittelbar vor dem Berliner Treffen vor einem Bruch zwischen den Schwesterparteien gewarnt und sich zugleich vorsichtig optimistisch gegeben. Auf dem Deutschlandtag der Jungen Union in Dresden sagte sie am Samstag, die Union beider Parteien habe einen so großen Wert an sich, "dass jeder von uns die Aufgabe hat, alles dafür zu unternehmen, dass es diese Union für Deutschland weiterhin gibt". Mit Blick auf den Streit betonte Merkel, sie halte eine Einigung für möglich, ohne dass sich eine der Seiten verleugnen müsse: "Mit etwas gutem Willen sollte es gehen." Außerdem sagte die CDU-Chefin zu, dass ein Sonderparteitag abschließend über eine Koalition mit FDP und Grünen entscheiden werde.
Aus Verhandlungskreisen hieß es am Sonntagnachmittag, es gebe ein "extremes Bemühen, eine gütliche Einigung hinzubekommen". Dabei scheint sich abzuzeichnen, dass die Unionsparteien beim Thema Asyl eine Lösung suchen, indem sie künftig präziser unterscheiden zwischen dem Recht auf individuelles Asyl, einem zeitlich befristetem Schutz für Bürgerkriegsflüchtlinge und einem Einwanderungsrecht für gut ausgebildete Zuwanderer unterscheiden wollen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière mahnte zu Eile. Deutschland könne es sich als größtes EU-Land nicht leisten, die Regierungsbildung zu verschleppen.