Union:Seehofer an der Untergrenze der Glaubwürdigkeit

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Der CSU-Chef behauptet, keine Alternative zu Merkel zu sehen. Und kritisiert sie trotzdem. Es wird zu einem der peinlichsten Politik-Spektakel kommen, das Deutschland je erlebt hat.

Kommentar von Nico Fried, Berlin

Die Vereinbarung der Europäischen Union mit der Türkei gewährt der deutschen Politik eine Verschnaufpause, die sie offenbar nicht zu nutzen gedenkt. Stattdessen pressen ihre Protagonisten die verfügbare Atemluft in Statements und Interviews, in denen Sieger erklärt werden oder in denen man gleich sich selbst als solchen ausruft.

Die CDU-Getreuen der Kanzlerin feiern Angela Merkel, die SPD feiert sich selbst, weil sie alles schon immer so gewollt haben will, wie es nun gekommen ist. Und CSU-Chef Horst Seehofer bringt es sogar fertig, eine Wende in der Flüchtlingspolitik zu feiern - und gleichzeitig weiterhin anzumahnen.

Schon im Herbst war die Stimmung nicht gut: Horst Seehofer und Angela Merkel beim CSU-Parteitag in München am 20. November vergangenen Jahres. (Foto: REUTERS)

Das Verhältnis ist zerrüttet

Die Union aus CDU und CSU hat gelitten unter den vergangenen Monaten, die Parteien politisch, ihre Vorsitzenden persönlich. Die CDU ist Merkel mehrheitlich treu geblieben, oft zähneknirschend. Die CSU hat sich fast einhellig hinter Seehofer gestellt, bis auf Leute wie die Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt oder der Europäer Manfred Weber, die sich um Moderation bemühten.

Das Verhältnis Merkels zu Seehofer war nie innig, aber meist professionell. Nun ist es schlicht zerrüttet und wird nur noch zusammengehalten von einer übergeordneten Notwendigkeit: Macht.

Spätestens in gut einem Jahr wird Merkel entscheiden, ob sie nochmals als Kanzlerkandidatin antritt. Wenn sie es tut, wird sich die CDU einigermaßen geschlossen hinter ihr versammeln, sofern die Kanzlerin für die Hoffnung auf ein ausreichend gutes Wahlergebnis und eine erkleckliche Anzahl von Mandaten steht.

Ausgerechnet am Ende einer Legislaturperiode, in der Merkel ihre Partei durch die Flüchtlingspolitik mit einer gesellschaftspolitischen Versuchsanordnung konfrontiert hat, die kein Konservativer für möglich gehalten hätte, wird die CDU wohl eine Variante des alten Spruches von Konrad Adenauer plakatieren: "Keine Experimente."

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Die Wiederannäherung wird peinlich werden

Und die CSU? Er sehe zu Merkel keine Alternative, hat Seehofer nun wieder verkündet. Das heißt, er will den Bayern für weitere Jahre eine Kanzlerin andrehen, deren Verhalten er in der momentan zentralen politischen Frage über Monate fast täglich kritisiert und bekämpft hat.

Er will eine Regierung im Amt bestätigen lassen, die, wie er es jetzt formuliert, als einzige Regierung in Europa gerade nicht das tut, was die CSU verlangt - und das, obwohl die CSU sogar Teil dieser Regierung ist. Wenn er denn schon keine Obergrenze bei den Flüchtlingszahlen durchsetzen kann, gedenkt Seehofer sich wenigstens an einer Untergrenze der Glaubwürdigkeit zu orientieren?

Wahrscheinlich nicht. Die unvermeidliche Wiederannäherung der Schwesterparteien wird eines der peinlichsten Politik-Spektakel sein, die das Land je erlebt hat. Von bayerischen Löwen und schmusigen Kätzchen wird da wieder die Rede sein, und voller Selbstironie wird Seehofer die Kanzlerin womöglich von jenem Parteitagspult aus preisen, von dem er sie im Herbst 2015 abgekanzelt hat. Wenn man sich das vorstellt, gibt es einen weiteren guten Grund für Merkel, 2017 doch zu sagen: Zwölf Jahre sind genug.

© SZ vom 21.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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