Ungarn:Jeder Kritiker ein "Feind der Macht"

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Feindbilder der ungarischen Regierung, jetzt auch auf Plakaten in Budapest: Alex Soros, Sohn des US-Philanthropen George Soros, und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. (Foto: Attila Kidbenedek/AFP)

Gegen die Opposition, die Medien und angebliche Feinde im Ausland: Wie Viktor Orbán Land und Wähler mit einer neuen Angst-Kampagne überzieht.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Ákos Hadházy hat mittlerweile ein kleines Zimmer in einem Bürogebäude des Budapester Parlaments und hat auch, wenngleich erst lange nach seinen Kollegen, seinen Amtseid als Abgeordneter abgelegt. Nach dem Wahlsieg von Fidesz 2022 hatte er das anfangs verweigert - er wolle nicht bei Viktor Orbáns "Demokratie-Theater" mitmachen, sagte er damals. Aber noch immer nimmt der unabhängige Abgeordnete, der einen Stadtbezirk von Budapest vertritt und sich als Antikorruptionsexperte einen Namen gemacht hat, nicht an Parlamentssitzungen teil. Dort, sagt er am Telefon, winke die Regierungspartei doch nur ihre Gesetze im Schnellverfahren ohne Beratung oder Debatte durch.

Stattdessen fährt er mit dem Auto über die Dörfer und redet mit Menschen. Vor allem in der Provinz habe Orbán seine Machtbasis, in manchen Dörfern komme seine Fidesz-Partei auf 80 oder 90 Prozent der Stimmen - kein Wunder, findet Hadházy. Schließlich würden Fidesz-regierte Kommunen mit Geld gestopft, am liebsten mit EU-Geld. Und die Bürgermeister könnten darüber verfügen - solange sie massenhaft Wählerstimmen organisieren.

Korruption, Erpressungsversuche - all das deutet Orbán zu seinen Gunsten um

Der Parlamentarier sammelt bei seinen Reisen kleine und große Beispiele für die Korruption, die er, zurück in Budapest, öffentlich macht. Aber Orbáns Leute seien geschickt, sagt er; sie räumten ein, dass es Verfehlungen gebe. "Beim Hobeln fallen Späne, sagen sie. Und argumentieren dann, dass es unter der Opposition noch viel schlimmer wäre", sagt Hadházy. "Die Leute glauben das. Sie hören ja nichts anderes."

In Brüssel mögen Ungarns Korruption und mangelnde Rechtsstaatlichkeit ebenso ein Dauerthema sein wie die deswegen einbehaltenen Euro-Milliarden und die erpresserische Drohung Orbáns, sein Veto gegen die Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit der Ukraine einzulegen. Die Ungarn bekommen davon recht wenig mit - oder besser: Sie sehen die Dinge fast ausschließlich durch die Fidesz-Brille. "Informationsautokratie" nennt das der ungarische Soziologe Endre Sík in einer der letzten unabhängigen Zeitschriften des Landes, HVG. Ziel der Propaganda, die vor allem auf die weniger gebildeten, sozial schwachen Ungarn abziele, sei es, eine "Echokammer der Angst" zu schaffen, sagt Sík - mit erfundenen Bedrohungen und einer immer neuen Emotionalisierung der Massen.

Jüngstes Beispiel, schon zwölf Mal zuvor mit anderen Themen erprobt: eine "Nationale Konsultation", eine manipulative Befragung der Bevölkerung zum Thema "Souveränität". Da steht dann etwa: "Brüssel will in Ungarn Ghettos für Migranten errichten. Was halten Sie davon?" Oder man kann ankreuzen, dass die EU nicht immer mehr Geld an die Ukraine überweisen soll, "bis wir von Brüssel das Geld bekommen haben, das uns zusteht". Gepaart ist das mit einer Plakatkampagne gegen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Alex Soros, den Sohn des US-Philanthropen George Soros.

Der Chefredakteur warnt, das neue Gesetz könnte Regierungskritiker kriminalisieren

Orbán begleitet das alles, omnipräsenter denn je, im Radio, im Fernsehen, auf Konferenzen, im Ausland: Das kleine, von den linken Eliten verteufelte Ungarn mit seiner tausendjährigen Geschichte sei von innen und außen bedroht. Die Oppositionsparteien ließen sich von fremden Mächten finanzieren, Brüssel und die USA versuchten, die Ungarn in den Ukraine-Krieg hineinzuziehen.

Dazu hat Fidesz Mitte November auch ein "Souveränitätsgesetz" im Parlament eingebracht. Ákos Hadházy, der Budapester Abgeordnete, nennt es "präfaschistisch", damit würden "alle Feinde der Macht verfolgt". Márton Gergely, Chefredakteur der Zeitschrift HVG, ist in seiner Wortwahl dezenter, aber seine Sorge ist ebenso groß. Das Souveränitätsgesetz untersage den Oppositionsparteien, auch nur einen Cent aus dem Ausland anzunehmen; möglich, so Gergely, dass künftig sogar Überweisungen von Abgeordneten des Europaparlaments an ihre Parteien daheim strafbar seien. Während sich Fidesz aus der Staatskasse bediene, werde die politische Konkurrenz kriminalisiert.

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Mindestens so gefährlich ist in seinen Augen, dass eine geplante Souveränitätsbehörde offenbar jeden Anfangsverdacht, den ein Bürger melde, verfolgen dürfe und im Zweifel Einblick in Geschäftsdaten oder Firmenunterlagen nehmen könne. Das werde dann wohl auch kritische Medien oder Nichtregierungsorganisationen treffen, die sich nicht wehren könnten. Der Journalist warnt vor staatlich legitimierter Bespitzelung und Willkür. Mehr als 100 zivilgesellschaftliche Gruppen in Ungarn haben sich bereits in einem offenen Brief gegen das Gesetz gewandt.

Was Viktor Orbán mit seiner jüngsten Kampagne gegen die Ukraine und gegen Brüssel will, ist für Gergely sonnenklar: "Er macht jetzt schon Wahlkampf. Ihm geht es nicht nur um die Freigabe der EU-Gelder durch ein Veto gegen den EU-Beitritt der Ukraine. Er will unbestrittener Wortführer der extremen Rechten vor und erst recht nach der EU-Wahl werden."

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