UN-Generaldebatte:"Die Welt darf nicht der Rivalität von China und den USA überlassen werden"

Emmanuel Macron, UN-Generaldebatte

Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron fordert die Staaten dazu auf, dem Zweikampf der USA und Chinas etwas entgegenzusetzen.

(Foto: dpa)

Frankreichs Präsident Macron appelliert an die Staaten, neue Allianzen aufzubauen, um dem "Two-step"-Tanz von Peking und Washington zu entkommen. Zuvor forderte Trump die UN auf, China wegen des Coronavirus zur Rechenschaft zu ziehen.

Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron hat an die Staatengemeinschaft appelliert, dem Machtkampf zwischen Peking und Washington nicht tatenlos zuzusehen. "Die heutige Welt darf nicht der Rivalität von China und den USA überlassen werden", sagte er als letzter Redner am ersten Tag der UN-Generaldebatte. Man sei nicht dazu verdammt, den "Two-step"-Tanz mitzumachen. Man müsse neue Allianzen aufbauen, Europa müsse neue Lösungen entwickeln.

Denn eines Tages werde es ein Heilmittel für die Corona-Pandemie geben. Doch ein "Wundermittel" gegen die Destabilisierung der modernen Welt sei wohl kaum zu finden. Die Corona-Krise verlange Kooperation. Er glaube an Wissenschaft und Wissen, sagte Macron und verurteilte Desinformationskampagnen im Zusammenhang mit der Pandemie, insbesondere auch die Angriffe auf die UN-Weltgesundheitsorganisation durch US-Präsident Donald Trump - allerdings ohne dessen Namen zu nennen.

Macron wandte sich zudem in aller Deutlichkeit gegen den Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen mit Iran und gegen die Verhängung neuer Sanktionen gegen Teheran. Der enorme Druck, der hier ausgeübt worden sei, habe nicht bewirkt, Irans destabilisierende Aktivitäten zu beenden oder zu sichern, dass das Land keine Atomwaffen bekommen werde. Frankreich, Deutschland und Großbritannien würden daher auch weiterhin darauf hinwirken, dass das 2015 mit Iran geschlossene Atomabkommen umgesetzt werde.

US-Präsident Donald Trump hatte zuvor schwere Vorwürfe gegen China wegen der weltweiten Ausbreitung des Coronavirus erhoben. "Wir müssen die Nation zur Rechenschaft ziehen, die diese Seuche auf die Welt losgelassen hat - China", sagte Trump in seiner Videobotschaft für die UN-Vollversammlung am Dienstag. Die Regierung in Peking habe die weltweite Ausbreitung des "China-Virus" nicht gestoppt.

"Die chinesische Regierung und die Weltgesundheitsorganisation - die praktisch von China kontrolliert wird - haben fälschlicherweise erklärt, dass es keine Beweise für eine Übertragung von Mensch zu Mensch gebe", sagte der US-Präsident. Später hätten beide behauptet, dass Menschen ohne Symptome das Virus nicht weitergäben. Er forderte: "Die Vereinten Nationen müssen China für dessen Handlungen zur Rechenschaft ziehen."

Trump sagte weiter: "75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Gründung der Vereinten Nationen sind wir erneut in einem großen globalen Kampf engagiert. Wir haben einen erbitterten Kampf gegen den unsichtbaren Feind - das China-Virus - geführt, das in 188 Ländern unzählige Menschenleben gefordert hat." In den USA habe die Pandemie zur größten Mobilisierung seit dem Zweiten Weltkrieg geführt.

Trump kündigte an: "Wir werden einen Impfstoff verteilen, wir werden das Virus besiegen, wir werden die Pandemie beenden, und wir werden in eine neue Ära von beispiellosem Wohlstand, Zusammenarbeit und Frieden eintreten."

Seit Beginn der Corona-Pandemie sind in den USA nach Angaben der Universität Johns Hopkins in Baltimore rund 200 000 Menschen nach einer Infektion mit dem Virus gestorben. Zudem gab es in den USA demnach mehr als 6,8 Millionen bestätigte Infektionen mit dem Erreger Sars-CoV-2.

Trump weitete seine Kritik an China auch auf Umweltprobleme aus, für die das Land verantwortlich sei. Wer die "außergewöhnlichen" Umwelt-Leistungen der USA kritisiere und gleichzeitig die erhebliche Verschmutzung in China ignoriere, interessiere sich nicht wirklich für die Umwelt, sagte er. "Sie wollen nur Amerika bestrafen. Und da mache ich nicht mit." Die USA werden dafür kritisiert, aus dem Pariser Klimaabkommen ausgestiegen zu sein, das sein Vorgänger Barack Obama mitverhandelt hatte.

Chinas Präsident Xi Jinping konnte auf Trumps Vorwürfe nicht direkt eingehen, weil seine Rede ebenfalls aufgezeichnet war. Er bekannte sich ausdrücklich zum Prinzip des Multilateralismus und verwahrte sich gegen Versuche, die Pandemie zu "politisieren". China sei ein friedliches Land, es habe keinerlei Interesse daran, mit irgendeinem Land einen heißen oder kalten Krieg zu führen. "Wir werden weiterhin am Frieden in der Welt arbeiten", sagte Xi. "Zusammen können wir die Welt für alle zu einem besseren Ort machen."

Aufsehen erregte Xis Ankündigung, dass China größere Anstrengungen im Kampf gegen den Klimawandel unternehmen will. Sein Land wolle "vor 2060" die Klimaneutralität schaffen. Auch solle der Ausstoß von Kohlendioxid "vor 2030" den Höhepunkt erreichen. Bisher hatte China noch kein Ziel für Klimaneutralität formuliert. Die Europäische Union hatte den größten Kohlendioxid-Produzenten bei ihrem virtuellen Gipfel vor gut einer Woche noch gedrängt, das Ziel am besten bis 2050, aber spätestens bis 2060 zu erreichen. China hatte bisher im Pariser Klimaabkommen nur zugesagt, dass seine Emissionen "um 2030" den Höhepunkt erreichen sollen. Unter Klimaneutralität versteht man, dass die Verwendung von Brennstoffen oder menschliche Aktivitäten keinen Einfluss auf die Kohlendioxid-Konzentration der Atmosphäre haben und insofern nicht klimaschädlich sind.

Der iranische Präsident Hassan Ruhani attackierte die USA für den Ausstieg aus dem Atomabkommen und die Verhängung neuer Sanktionen gegen sein Land. Er verglich die weitreichenden US-Sanktionen gegen Teheran mit der Tötung des Afroamerikaners George Floyd bei einem Polizeieinsatz in den USA. "Die Bilder über den Umgang der amerikanischen Polizei mit einem demonstrierenden US-Bürger sind für uns nichts Neues. Das Knie auf dem Hals des US-Bürgers ist wie das Knie des Imperialismus auf dem Hals unabhängiger Staaten", sagte Ruhani. Iran werde sich dem nicht beugen: "Das Leben unter Sanktionen ist hart, doch noch härter ist das Leben ohne Unabhängigkeit", sagte er.

Der russische Präsident Wladimir Putin warb für den ersten Impfstoff seines Landes gegen das Coronavirus. Russland sei bereit, kostenlos alle UN-Mitarbeiter mit dem Vakzin impfen zu lassen, sagte Putin. Russland sei es als erstem Land der Welt gelungen, einen Impfstoff zu registrieren. Der Kremlchef schlug auch eine Online-Konferenz auf höchster Staatsebene für Länder vor, die an einer Zusammenarbeit bei der Entwicklung eines Impfstoffs interessiert seien. Der in Russland zugelassene Impfstoff wird von vielen Experten sehr kritisch gesehen, weil er noch nicht ausreichend getestet sei.

Bei der Eröffnung der Debatte in New York hatte UN-Generalsekretär António Guterres die Staatengemeinschaft zur Zusammenarbeit und Solidarität aufgerufen. Insbesondere mit Blick auf die drastischen Folgen der Corona-Pandemie sagte er: "Wir müssen mit Demut vorangehen und wir müssen vereint sein. Wir müssen solidarisch handeln." Zudem verlangte Guterres, dass die Weltgemeinschaft sich im Kampf gegen das Virus "von der Wissenschaft führen" lassen müsse.

Der UN-Generalsekretär sprach von einer Gesundheitskrise epischen Ausmaßes, die mit einer Wirtschaftskrise einhergehe und zudem mancherorts die Menschenrechte beeinträchtige. "Das erste Mal in 30 Jahren steigt die Armut wieder an", konstatierte er. Nationalismus habe die Auswirkungen des Virus verschlimmert. Dabei zeige sich in der Krise, dass Solidarität auch im Eigeninteresse der Staaten liege.

Guterres warnte zudem vor einem "Kalten Krieg" zwischen den USA und China. Es müsse alles getan werden, um eine weitere Eskalation zu vermeiden. "Wir bewegen uns in eine sehr gefährliche Richtung. Unsere Welt kann sich keine Zukunft leisten, in der die beiden größten Volkswirtschaften die Erde spalten." Dies würde eine technologische und wirtschaftliche Kluft entstehen lassen, die sich zu einer militärischen Kluft ausweiten könnte.

Die UN-Generaldebatte findet vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie in diesem Jahr in einer noch nie dagewesenen Form statt. Die meisten Redner der 193 Mitgliedstaaten sprechen heute und in den kommenden Tagen nicht im UN-Hauptquartier in New York, sondern in zuvor aufgezeichneten Video-Reden.

Deutschland wird von Außenminister Heiko Maas (SPD) voraussichtlich erst eine Woche später am 29. September vertreten. Kanzlerin Angela Merkel hat am Dienstagvormittag eine virtuelle Grußbotschaft zum 75. Geburtstag der Vereinten Nationen gesendet. Darin kritisierte sie nationale Alleingänge und warb für länderübergreifende Zusammenarbeit und Verständigung. Trump hatte bei dem Festakt zum 75-jährigen Bestehen der UN am Montag entgegen einer Ankündigung gefehlt.

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