UN:Der Mann, der den Vereinten Nationen neues Leben einhauchen könnte

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Nach seiner Vereidigung als neuer Generalsekretär von 2017 an in der UN-Vollversammlung herzt António Guterres (rechts) seinen Vorgänger Ban Ki-moon. (Foto: imago/GlobalImagens)
  • Die UN sind immer so stark, wie ihre Mitglieder es zulassen - das zeigt ihre Geschichte.
  • Mogadischu, Ruanda, Srebrenica: In den Neunzigerjahren zeigt sich der UN-Apparat von der Unübersichtlichkeit der Kriege überfordert.
  • Unter dem Ghanaer Kofi Annan, Generalsekretär von 1997 bis 2006, wurden viele Reformen umgesetzt. Eine Neustrukturierung des UN-Sicherheitsrates blieb aber bis heute aus.

Analyse von Isabel Pfaff

Nun hat er ihn, einen der schwierigsten Jobs der Welt: António Guterres, ehemaliger Premier Portugals und bis vor Kurzem Chef des UN-Flüchtlingshilfswerks, wird vom 1. Januar 2017 an neuer Generalsekretär der Vereinten Nationen. "Die UN müssen bereit sein, sich zu verändern", sagte der 67-Jährige bei seiner Vereidigung. Er nutzte die Gelegenheit für ein Reform-Plädoyer. Die Weltorganisation müsse mehr Verantwortung übernehmen, Bürokratie abbauen und den Menschen schneller Ergebnisse liefern, sagte Guterres vor Vertretern der 193 UN-Mitgliedstaaten.

Die Vereinten Nationen sind fast 72 Jahre alt, ihre Blauhelm-Truppen haben in knapp 70 Friedenseinsätzen gedient, insgesamt elf Mal wurde UN-Organisationen oder Mitarbeitern der Friedensnobelpreis verliehen.

Trotzdem, das weiß Guterres, ist der Ruf der Vereinten Nationen schlecht. Sein Amtsantritt fällt in eine Zeit, in der die Welt so stark aus den Fugen zu sein scheint wie seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion nicht mehr: Kriege in der Ukraine, Libyen, natürlich Syrien; vom Klimawandel befeuerte Naturkatastrophen; Fluchtbewegungen, die ganze Kontinente erfassen. Und mittendrin die UN - an vielen Krisenschauplätzen präsent, doch zumeist macht- und tatenlos.

Was vermögen die UN noch? Was sind sie wert, wenn sie Kriege wie in Syrien, das Morden in Jemen oder im Südsudan und das Ertrinken im Mittelmeer nicht aufhalten können? Genau wie 1945 sind es auch heute noch die fünf Vetomächte des Sicherheitsrates, die das Handeln der UN prägen - und noch viel öfter blockieren: Russland, die USA, Frankreich, Großbritannien und China. Selbst ein starker, charismatischer Generalsekretär, wie ihn viele in Guterres vermuten, wird gegen diese Struktur nicht viel ausrichten können.

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Als portugiesischer Premier legte er den Grundstein für die Schuldenkrise seines Landes. Bei den UN gilt Guterres als kompromissbereiter Vermittler - selbst die Chinesen haben seine Kandidatur unterstützt.

Von Thomas Urban

Die UN sind so stark, wie ihre Mitglieder es zulassen

Doch wer die UN an ihrer ambitionierten Charta misst - also an nichts Geringerem als dem Weltfrieden -, macht es sich zu leicht. Dass es zu einem Weltfrieden in den vergangenen 70 Jahren nicht gekommen ist, oftmals nicht einmal zu kleinen Friedenserfolgen, hatte selten mit der Welt-Institution an sich, ihren Generalsekretären oder ihren zahllosen Zweigstellen zu tun. Die UN sind immer so stark, wie ihre Mitglieder es zulassen - das zeigt ihre Geschichte.

In den ersten Jahrzehnten nach der Gründung der Vereinten Nationen beherrschen die Gräben des Kalten Krieges das Weltgeschehen und damit auch die Arbeit des Weltgremiums. Ihre Organe bringen vergleichsweise wenige Friedenseinsätze und Initiativen auf den Weg, darunter allerdings historische Abkommen wie den Atomwaffensperrvertrag und das Montreal-Protokoll zum Schutz der Ozonschicht. Blauhelme werden etwa in den Nahen Osten, Zypern, Kongo oder an die Grenze zwischen Indien und Pakistan entsandt - in der Regel als Beobachter oder höchstens als leicht bewaffnete Soldaten.

Nach dem Fall der Berliner Mauer verändert sich die Dynamik insbesondere im UN-Sicherheitsrat schlagartig: Russland übernimmt den ständigen Sitz der Sowjetunion, und in neuer Einigkeit autorisieren die Vetomächte des Rates 20 neue Friedensoperationen in nur fünf Jahren. Auch die Organisation selbst wächst: Neue Organe, Büros und Programme werden geschaffen, um die Arbeit der UN der neuen Weltordnung anzupassen.

Doch trotz des neuen Schwungs gehen die Neunzigerjahre als ein Jahrzehnt der Rückschläge in die Geschichte der UN ein. Der Sicherheitsrat schickt Blauhelme auch in Regionen, wo Konflikte noch nicht befriedet sind - und muss zusehen, wie mehrere Missionen in einer Katastrophe enden.

Etwa in Somalia, wo in den Neunzigern mehrere Clans brutal um die Macht kämpfen: Als UN-Friedenstruppen dort 1992 in Bedrängnis geraten, kommen ihnen amerikanische Soldaten, ausgestattet mit einem UN-Mandat, zu Hilfe. Doch die US-Truppen unterschätzen die somalischen Milizen und erleben im Oktober 1993 ein militärisches Debakel. Auf den Fernsehbildschirmen kann die ganze Welt dabei zusehen, wie tote amerikanische Soldaten durch die Straßen Mogadischus geschleift werden. Für die USA ein Wendepunkt: Sie halten sich seither weitgehend aus UN-Friedenseinsätzen heraus - für die Vereinten Nationen ein schwerer Schlag, den sie schon ein Jahr später zu spüren bekommen.

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Die Tiefpunkte: Ruanda und Srebrenica

Im April 1994 weitet sich der Bürgerkrieg in Ruanda zum Völkermord aus. Unter den Augen von dort stationierten Blauhelm-Soldaten ermorden radikale Hutu-Milizen etwa 800 000 Menschen - doch statt die bestehende Mission aufzustocken und besser auszurüsten, ziehen die UN mangels Unterstützung durch ihre Mitgliedstaaten den Großteil der Truppen ab. Es ist am Ende die Tutsi-Armee des heutigen Präsidenten Paul Kagame, die das Morden stoppt.

Als im Sommer 1995 bosnische Serben Tausende muslimische Männer und Jungen in Srebrenica ermorden und die schlecht ausgerüsteten Blauhelme auch in diesem Fall tatenlos zusehen, sind die UN auf einem Tiefpunkt ihrer Glaubwürdigkeit angelangt.

Zwar gehen Experten heute davon aus, dass der UN-Apparat tatsächlich überfordert war von der Unübersichtlichkeit der Kriege in den Neunzigerjahren. Doch entscheidend für robuste Mandate oder eine gute Ausrüstung der Blauhelme sind die Mitgliedstaaten der UN, nicht der Apparat.

Die Rückschläge gingen nicht spurlos an der Organisation vorbei. Unter dem Ghanaer Kofi Annan, Generalsekretär von 1997 bis 2006, wurden Reformvorschläge ausgearbeitet, die von einer veränderten Herangehensweise an Friedenseinsätze bis zu einer neuen Struktur des Sicherheitsrates reichten. Die Reform dieses mächtigsten UN-Organs lässt allerdings bis heute auf sich warten. Viele andere Vorschläge und Initiativen haben aber Eingang in die Arbeit der UN gefunden.

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Eine der bedeutendsten Neuerungen: Die "responsibility to protect"

Die vielleicht wichtigste Errungenschaft dieser Reformjahre: eine neue völkerrechtliche Norm namens Schutzverantwortung. In Reaktion auf die schweren Menschenrechtsverstöße der Neunzigerjahre sowie den völkerrechtswidrigen Feldzug der USA im Irak erarbeitete eine internationale Kommission im Auftrag Kofi Annans das Konzept der "responsibility to protect". Damit ist zunächst die Schutzverantwortung eines Staates gegenüber seiner Bevölkerung gemeint. Kann oder will ein Staat dieser Verantwortung nicht nachkommen und lässt Menschenrechtsverstöße zu, geht die Schutzverantwortung auf die internationale Gemeinschaft über.

2005 stimmten die UN-Mitglieder für die neue Norm. Zwar ist der UN-Sicherheitsrat weiterhin das entscheidende Gremium für Friedenseinsätze entlang dieser Linie. Trotzdem können Opfer staatlicher Gewalt sich nun explizit darauf beziehen und die UN um Hilfe anrufen.

Die Vereinten Nationen, das zeigen die vergangenen sieben Jahrzehnte, sind keine Erfolgsgeschichte. Doch sie machen einen Unterschied. Sie stärken mit Normen wie der Schutzverantwortung nicht nur das Völkerrecht, sondern prägen auch ganz konkret das Leben von Milliarden Menschen weltweit. Das Flüchtlingshilfswerk (UNHCR), das Welternährungsprogramm (WFP), die Weltgesundheitsorganisation (WHO), das Entwicklungsprogramm (UNDP): UN-Organisationen spielen eine enorme Rolle in der Entwicklungs- und Katastrophenhilfe.

Auch die Friedenseinsätze haben sich gewandelt - obwohl sie immer noch darunter leiden, dass sich wohlhabende Staaten aus dem aktiven Peacekeeping zurückgezogen haben. Immer öfter erhalten die Blauhelme ein robustes Mandat, um bei Gewalt entschlossener eingreifen zu können. Gleichzeitig bemühen sich die UN inzwischen um "multidimensionale Friedensoperationen": Neben den Soldaten werden auch Zivilisten als Peacekeeper entsandt, die sich um den wirtschaftlichen Aufbau eines Landes oder den politischen Dialog kümmern.

Der UN-Apparat kann sich bewegen, mit António Guterres hat er einen neuen Chef bekommen, der ihn weiter antreiben wird. Bleibt zu hoffen, dass sich auch die Mitgliedstaaten dieser Dynamik nicht verschließen.

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