Umfrage unter Deutschen:Wuchernder Fremdenhass, ersehnte Diktatur

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Alarmierende Studie der Ebert-Stiftung: Islam- und Fremdenfeindlichkeit greift in Deutschland um sich. Jeder Zehnte fände einen "Führer" prima. Besondere Sorgen müssen sich Angela Merkel und ihre Union machen.

Erschütternder Befund der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung: Einer Studie zufolge hat die Ausländer- und Islamfeindlichkeit erheblich zugenommen - Tendenz steigend. Es ist eine Forschungsarbeit, die sich einem Feld gewidmet hat, das derzeit höchst virulent ist: Seit Monaten prägt die Debatte um Immigranten und Integrationsprobleme den öffentlichen Diskurs der Republik.

Schwarzrotgoldene Fahnen zum Jahrestreffen: Kinder auf der Versammlung der muslimischen Ahmadiyya-Reformgemeinde in Mannheim im Jahre 2008. (Foto: dpa)

Auslöser war das Buch Deutschland schafft sich ab und die öffentlichen Äußerungen des Autors Thilo Sarrazin zu jüdischen Genen und wenig intelligenten Muslimen.

Sarazzin ist inzwischen durch jede namhafte TV-Sendung getingelt und von jedem namhaften Medium interviewt worden. Trotz all der medialen (und oft unbeabsichtigten) Unterstützung für Sarrazin und seine Thesen: Die breite und langanhaltende Resonanz auf das Buch ist verblüffend, ebenso die Wucht der Kontroverse.

In zigtausenden Beiträgen in Online-Foren wird inzwischen überwiegend undiffierenzierte und überbordende Kritik an Muslimen geübt. Oft zeigt sich unverhohlener Hass auf alles, was verdächtig ist, islamisch zu sein. Manchmal reicht es, für Sachlichkeit zu plädieren, um geschmäht zu werden.

Wie konnte es dazu kommen? Gibt es in Deutschland tatsächlich ein sattes Potential für xenophobe, rechtspopulistische Einstellungen? Grassiert in dem von Bundespräsident Christian Wulff bei seiner Antrittsrede als "Bunte Republik" bezeichneten Land inzwischen die Islam- und Fremdenfeindlichkeit?

Die Studie der Ebert-Stiftung weist nun darauf hin, dass dies in Teilen zutrifft. Der Befund: Es gibt eine massive Zunahme von ausländerfeindlichen Einstellungen.

Wie die in Berlin vorgestellte Erhebung ergab, schließt sich ein Viertel der Bevölkerung fremdenfeindlichen Aussagen an. Das ist ein deutlicher Zuwachs: 2008 waren es noch ein Fünftel der Bürger. Sogar mehr als 30 Prozent der Bevölkerung stimmen der Studie zufolge der Einschätzung zu: "Ausländer kommen, um den Sozialstaat auszunutzen".

Ein ebenso großer Anteil meint, bei knappen Arbeitsplätzen "sollte man Ausländer wieder in ihre Heimat schicken", und durch "die vielen Ausländer" werde Deutschland "in einem gefährlichen Maß überfremdet". Das klingt nach Wahlslogans der NPD. Die Feindseligkeit gegenüber dem Islam ist der Studie zufolge besonders ausgeprägt. Der Aussage "Für Muslime in Deutschland sollte die Religionsausübung erheblich eingeschränkt werden", schließen sich 58,4 Prozent der Bevölkerung an - in Ostdeutschland sogar 75,7 Prozent.

Gerade Kanzlerin Angela Merkel (CDU) dürfte der Befund beunruhigen: Die Erhebung zeigt, dass eine populistische Bewegung rechts der Union gute Chancen hätte. Gut jeder Vierte wünscht sich eine "starke Partei", die die "Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert".

Hier liegt Potential für eine politischen Kraft, die ähnlich unverblümt gegen Ausländer im Allgemeinen und Muslime im Besonderen hetzt, ähnlich wie Geert Wilders in den Niederlanden oder die FPÖ in Österreich. Die Konservatismus-Debatte, die CDU-Chefin Merkel in den eigenen Reihen beruhigt hatte, dürfte durch solche Zahlen angeheizt werden.

Der nun veröffentlichten Studie zufolge tut sich aber noch weiter rechts ein Abgrund auf: Mehr als jeder Zehnte sehnt sich nach einem "Führer", der "Deutschland zum Wohle aller mit harter Hand regiert", ergab die Umfrage. 65 Jahre nach dem Untergang des nationalsozialistischen Staats und 21 Jahre nach dem Ende der DDR hält jeder Zehnte eine Diktatur für "die bessere Staatsform".

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Mit seinen Äußerungen zur Zuwanderung hat Horst Seehofer in den Medien großes Echo gefunden. Nur verstehen will ihn niemand - er sei ein "rechtspopulistischer Sprücheklopfer", der einen "semantischen Kulturkampf" entfache.

Für die Studie "Die Mitte in der Krise - Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2010" wurden mehr als 2400 Menschen im Alter von 14 bis 90 Jahren befragt. Ältere Menschen stimmen demnach wesentlich häufiger rechtsextremen Aussagen zu als junge. Je niedriger das Bildungsniveau, desto ausgeprägter die rechtsextreme Einstellung. Rechtsextremismus sei jedoch kein Phänomen am "Rand" der Gesellschaft, sagte Nora Langenbacher von der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Zu- und Abwanderung über die Grenzen Deutschlands im Jahr 2009. (Foto: Grafik: sueddeutsche.de, Kaiser)

Ganz im Gegenteil fänden sich rechtsextreme Einstellungen "in besorgniserregendem Maße in der Mitte der Gesellschaft", heißt es in der Studie: in Ost- wie Westdeutschland, bei Frauen wie Männern, in allen Altersklassen, bei Befürwortern demokratischer Parteien, bei Gewerkschaftsmitgliedern und Kirchenangehörigen.

Die Autoren der Erhebung werten die Ergebnisse als "Alarmsignal für Politik und Gesellschaft". Angesichts von Abstiegsängsten hätten rechtsextreme Einstellungen mit der Wirtschafts- und Finanzkrise zugenommen, warnten die Leipziger Wissenschaftler Oliver Decker und Elmar Brähler. Es bestehe die Gefahr, dass Rechtspopulisten versuchten, aus der Situation "politisch Kapital zu schlagen".

Die Herausforderung, dieser Entwicklung zu begegnen, ist groß. Denn, so warnen die Studienautoren, vernünftige Argumente "haben nur wenig Chancen gegen die Logik des Ressentiments: Erst werden Migrant/innen von den gesellschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten systematisch ausgeschlossen, um ihnen dann die Folgen einer verfehlten Integrationspolitik anzulasten".

Für problematisch halten sie vor allem die ständige Betonung der Bedeutung des "Wirtschaftsstandorts Deutschland". Damit, so die Autoren, "wurde nicht nur die Entsolidarisierung legitimiert, sondern überhaupt die Rede von einer Nation als Interessengemeinschaft." Diese Denkfigur trete nun als "Widergänger in chauvinistischen und rassistischen Einstellungen in Erscheinung."

Aufgabe von Politik, Bürgern - und den Medien

Die als gemeinsames nationales Interesse formulierte ökonomische Rationalität sei zur dominanten Argumentationsfigur geworden und habe die demokratischen Institutionen geschwächt. Es komme nun nicht zu einer "Solidarisierung mit den Marginalisierten und Prekarisierten, sondern die Identifikation mit den Instanzen, die 'zum Wohle aller' gegen 'Fremde' und Sozialschmarotzer' diese Sanktionen verhängt haben".

Die Botschaft der Studie dürfte nicht nur im Kanzleramt für Unruhe sorgen, wo CDU-Chefin Merkel immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert wird, nicht konservativ genug zu sein. In der Pflicht sehen die Wissenschaftler nicht nur die Politik, sondern auch die Bürger selbst - und die Medien.

Demokratie müsste für die Menschen besser erfahrbar sein, Bildungseinrichtungen müssten ausgebaut, die materielle Absicherung eines menschenwürdigen Daseins verbessert werden, heißt es. Und die Medien müssten stärker auf "nichtdiskriminierende Berichterstattung" achten.

Ein anderer Umgang mit der Causa Sarrazin wäre da wohl ein Anfang gewesen.

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