Mit Menschen aus dem Westen pflegt Darja Solowjowa schon seit Jahrzehnten beste Kontakte: In den Neunzigerjahren arbeitete die Moskauerin für die russische Dependance des einstigen deutschen Chemiekonzerns Hoechst, inzwischen betreibt sie ein belgisches Bierlokal in Moskaus Ausgehviertel Kitaj Gorod. Den Nachschub für ihren Pub sichert sie sich durch lang gewachsene Kontakte zu belgischen und britischen Brauereien, die sie auf feucht-fröhlichen Dienstreisen häufig beehrt.
Westliches Denken ist Solowjowa daher bestens vertraut, was allerdings nicht bedeutet, dass sie dem Westen traut. Solowjowa denkt vielmehr genauso wie das Gros der Russen, die die USA und die EU als Bedrohung für ihr Land betrachten, wie eine neue Untersuchung des US-amerikanischen Meinungsforschungsinstitutes Pew Research Center eindrucksvoll belegt.
Fall Skripal:Neue US-Sanktionen empören Moskau
Als "absolut inakzeptabel" verurteilt der Kreml die Strafen, die Washington mit der Vergiftung des Ex-Agenten Skripal begründet. Die Sanktionen verdeutlichen die Widersprüche in Trumps Russlandpolitik.
80 Prozent der Russen sehen in der Nato eine Gefährdung für ihr Leben - 45 Prozent stufen diese Gefahr sogar als erheblich ein. Die Wirtschaftssanktionen, die die USA und die EU 2014 nach der Annexion der Krim durch Russland erließen, schüren dabei das Misstrauen noch: Der Pew-Erhebung zufolge glauben 82 Prozent der Russen, dass diese ihrer Wirtschaft schaden.
Doch das nehmen sie in Kauf, denn die große Mehrheit steht hinter dem Anschluss der Krim: Seit dieser 2014 vollzogen wurde, sind die Zustimmungswerte für Präsident Wladimir Putin besonders hoch. 81 Prozent der vom Pew Research Center Befragten gaben an, ihrem Langzeit-Präsidenten nach wie vor zu vertrauen, wobei die Umfrage größtenteils durchgeführt wurde, bevor Premier Dmitrij Medwedew Mitte Juni die geplante Erhöhung des Rentenalters bekannt gab. Seither hat Putins Popularität deutlich gelitten.
Ihrem Präsidenten vertrauen die Russen sogar so weit, dass sie Vorwürfe gegen ihn, die im Westen als erwiesen gelten, größtenteils für unberechtigt halten. Die Frage des Pew Research Centers, ob der Kreml 2016 Einfluss auf die US-Präsidentschaftswahlen genommen habe, verneinten 71 Prozent von ihnen, während nur 15 Prozent eine solche Manipulation für wahrscheinlich hielten.
Eine überwältigende Mehrheit der Russen von 85 Prozent ist allerdings der Ansicht, dass die USA ihrerseits Einfluss auf andere Länder ausübten. Auch Deutschland sehen sie in dieser Hinsicht kritisch: 47 Prozent gehen davon aus, dass Berlin auf andere Länder von außen einwirkt.
Die vom Kreml seit Jahren verfolgte aggressive Gangart in der Außenpolitik halten die Russen mehrheitlich für richtig: Zwar ist immer noch eine deutliche Mehrheit von 61 Prozent unter ihnen der Meinung, dass das Ausland Russland nicht den Respekt zollt, den es verdient. Doch immerhin 31 Prozent sagten dem Pew Resarch Center, dass ihr Land international ausreichend geachtet sei. 2012 dachten nur halb so viele Russen so, unter ihnen auch Darja Solowjowa. Russland könne es dem Westen nicht immer nur recht machen, sagt sie. Denn dann verliere das Land jede Anerkennung: "Was war denn die Konsequenz davon, als wir in den Neunzigerjahren alle Zumutungen hingenommen haben", fragt sie, um die Antwort selbst zu geben: "Wir haben uns schlecht gefühlt." Heute trete Russland für seine Interessen ein, und die Scham schwinde.
Die offensive Außenpolitik zahlt sich nach Auffassung der Russen durch einen größeren Einfluss des Landes in der Welt aus: Knapp drei Viertel der Befragten (72 Prozent) gaben an, dass Russland international eine größere Rolle spiele als vor zehn Jahren. 2017 hatten das nur 59 Prozent geglaubt.
Inflation gilt als größtes Problem
Trotz der kontinuierlichen Einschränkung der Grundrechte, zu der es seit Beginn der dritten Amtszeit Präsident Putins im Jahr 2012 kam, ist eine knappe Mehrheit der Russen (57 Prozent) mit dem Lauf der Dinge in ihrem Land zufrieden. 40 Prozent zeigten sich von der allgemeinen Entwicklung allerdings enttäuscht.
Der prinzipiellen Zufriedenheit steht zudem eine weit verbreitete Skepsis bei einzelnen Problemfeldern gegenüber, wie Pew ermittelte. So beurteilten viele Russen die wirtschaftliche Lage des Landes negativ. Vor allem die Inflation sei ein "sehr großes Problem", gaben 69 Prozent der Befragten an. 57 Prozent kritisieren die Spaltung der Gesellschaft in arm und reich und noch mehr Menschen (59 Prozent) bemängeln die weitverbreitete Korruption der politischen Klasse.
Das allgemeine Sicherheitsgefühl ist allerdings gewachsen. Benannten im vergangenen Jahr noch 52 Prozent der Russen die Kriminalität als drängendes Problem, sind es inzwischen nur noch 39 Prozent. Und während zuletzt phasenweise der Eindruck entstand, die Deutschen sorgten sich ausschließlich um die Überfremdung ihrer Heimat durch zu viele Einwanderer und Flüchtlinge, sind die Russen an dem Punkt ziemlich entspannt: Nur 26 Prozent bezeichneten die Migration als ein Problem.