Der Krieg gegen die Ukraine:Die Opfer sind zunehmend Zivilisten

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Ein Markt in Donezk, von Artilleriegranaten getroffen: In der russisch kontrollierten Stadt in der Ostukraine kniet am Sonntag ein Mann neben einem Opfer. (Foto: AFP)

Bei den jüngsten russischen Angriffen sind Hunderte Menschen in der Ukraine, die nichts mit dem Militär zu tun haben, verletzt oder getötet worden. Aber auch moskautreue Ukrainer und Russen kommen zu Dutzenden ums Leben.

Von Florian Hassel, Belgrad

Es war eine düstere Bilanz von Rosemary DiCarlo, der politischen Chefin der Vereinten Nationen (UN), in einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates am 10. Januar: Seit dem Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine am 24. Februar 2022 bestätigten die UN den Tod von 10 242 ukrainischen Zivilisten, mehr als 19 300 seien verwundet worden.

Und seitdem Russland seine Angriffe auf die Ukraine im Dezember massiv verstärkt hat, nimmt die Zahl toter und verletzter ukrainischer Zivilisten dramatisch zu. Allein im Dezember bestätigte die UN-Beobachtermission HRMMU Tod oder Verletzung von 592 ukrainischer Zivilisten, weil "die Russische Föderation Raketen- und Drohnenangriffe quer durch die Ukraine intensiviert hat", so die Mission am 16. Januar. Die Beobachter fügten hinzu, nicht alle Fälle seien schon geprüft, die echte Opferzahl liege sicherlich höher.

Gewiss, auch ukrainische Raketen töten Zivilisten. Bereits am 30. Dezember starben im russischen Belgorod mindestens 25 Zivilisten, als die Ukraine auf massive Angriffe der russischen Luftwaffe reagierte, bei denen den UN zufolge allein am 29. Dezember 58 Ukrainer starben und 158 verletzt wurden. Und am Sonntag starben im von Russland 2014 besetzten und annektierten Donezk in der Ostukraine offenbar 27 Menschen, als Artilleriegranaten einen Markt und den Hof eines Wohnhauses trafen.

Moskau spricht von "barbarischen Terrorakten" - wenn es um die Angriffe der anderen geht

Die von Denis Puschilin, dem von Moskau eingesetzten Chef der "Volksrepublik Donezk" (DNR) genannte Opferzahl kann unabhängig nicht bestätigt werden. Doch neben streng zensierten russischen Medien sah auch ein lokaler Mitarbeiter der Nachrichtenagentur Reuters am Ort der mutmaßlichen Artillerieeinschläge auf dem Schnee liegende Leichen und sprach mit weinenden Menschen, die über den Tod von Angehörigen berichteten.

Russlands Außenministerium nannte die mutmaßlichen Artillerieangriffe, für die indes eine Teilgruppe der ukrainischen Armee jede Verantwortung bestritt, einen "barbarischen Terrorakt" und forderte eine außerordentliche Sitzung des UN-Sicherheitsrates. Moskau versucht oft, Angriffe der Ukrainer zu nutzen, um von eigenen massiven Angriffen abzulenken, von denen etliche zivile Ziele treffen und mutmaßliche Kriegsverbrechen darstellen.

Und Kiew verstärkt seine Angriffe auf die Infrastruktur in Russland

Am 6. Januar etwa trafen den UN zufolge russische Raketen in der frontnahen Kleinstadt Pokrowsk und dem nahen Dorf Riwne die Häuser zweier ukrainischer Familien: Sechs Erwachsene und fünf Kinder starben in den Trümmern. Zwei Tage später verletzte ein russischer Raketenangriff in Nowomoskowsk 31 Zivilisten, darunter acht Ukrainer, die in einem Kleinbus zur Arbeit fuhren.

Derlei Angriffe abseits der Schlagzeilen sind keine Einzelfälle. "Die meisten zivilen Verluste (84 Prozent) und Schäden an Lehr- und Gesundheitseinrichtungen (92 Prozent) finden auch weiterhin auf regierungskontrolliertem Territorium statt" - also auf von Kiew kontrolliertem ukrainischen Staatsgebiet, stellten die UN-Beobachter am 16. Januar fest.

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Seither gehen die russischen Angriffe unvermindert weiter. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij erwähnte die Toten im russisch besetzten Donezk vom Sonntag bei seiner abendlichen Ansprache nicht, sagte aber, dass die Russen allein am vorangegangenen Tag mit Aberdutzenden Raketen und Granaten"mehr als 100 Städte, Gemeinden und ukrainische Dörfer" bombardiert hätten. "Die brutalsten russischen Angriffe gab es in der Region Donezk", so Selenskij. Bei den mutmaßlichen Artillerieangriffen auf den Markt in Donezk könnte es sich um fehlgegangene ukrainische Angriffe auf russische Artilleriestellungen gehandelt haben. Das Militär beider Seiten stationiert Angriffswaffen mitunter auch in zivilen Objekten oder in deren Nähe.

Die Ukraine wiederum verstärkt Angriffe auf Infrastruktureinrichtungen in Russland. Nachdem ukrainische Drohnen am Donnerstag und Freitag vergangener Woche Öltanks der Firma Rosneft in Flammen aufgehen ließen, griffen bombenbestückte Drohnen, die offenbar von Geheimdiensten der Ukraine losgeschickt wurden, am 21. Januar Ziele in den russischen Regionen Tula, Smolensk, Orjol und in der Region um Sankt Petersburg an: Dort ließen ukrainische Bomben ein Terminal der russischen Erdgasfirma Nowatek in der Hafenstadt Ust-Luga in Flammen aufgehen, so der russische Gouverneur Alexander Drosdenko. In Tula wurde die Schtscheglowskij- Fabrik angegriffen, die Panzir-Raketenabwehrsysteme herstellt, in Smolensk eine Fabrik, die Ch-59-Marschflugkörper produziert.

"Ukrainisch produzierte Drohnen erreichen Moskau, Sankt Petersburg und Öldepots in anderen Städten. Das ist ein sehr gutes Zeichen", sagte der ukrainische Luftwaffensprecher, Jurij Ihnat.

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