EU-Außenministertreffen:"Wir sind sehr besorgt"

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Auf der Suche nach Hilfe: Der ukrainische Präsident auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos vor wenigen Tagen. (Foto: Markus Schreiber/AP)

Das Treffen der EU-Außenminister wird von der düsteren militärischen Lage in der Ukraine überschattet. Die Befürchtung ist groß, dass das Land den Krieg gegen Russland in diesem Jahr verlieren könnte.

Von Oliver Meiler und Hubert Wetzel, Paris/Brüssel

Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine sind die Treffen der EU-Außenminister immer auch Krisentreffen. Der Krieg im Osten steht seit zwei Jahren jedes Mal ganz oben auf der Tagesordnung. Die Zusammenkunft der 27 Ministerinnen und Minister an diesem Montag in Brüssel wird allerdings, wenn man das so sagen kann, noch etwas krisiger ausfallen als sonst.

Der Grund dafür ist die düstere militärische Lage. Die Sommeroffensive der Ukraine ist weitgehend gescheitert. Die Verteidiger halten mit Mühe die Front gegen die Angreifer. Zugleich blockieren im US-Kongress die Republikaner die Freigabe weiterer Militärhilfe für Kiew. Die letzten noch verfügbaren 250 Millionen Dollar hat die amerikanische Regierung Ende Dezember ausgegeben, um Munition für die Ukraine zu kaufen. Wenn es in Washington keine Lösung gibt, wird Amerika - bisher der mit Abstand größte Waffenlieferant für Kiew - in den kommenden Wochen ausfallen.

Besonders der Bundeskanzler macht Druck auf die Kollegen

Die Befürchtung in Europa ist daher, dass die Ukrainer den Krieg in diesem Jahr verlieren oder zumindest erheblich in Bedrängnis geraten könnten. Man müsse damit rechnen, dass die russischen Truppen die Front durchbrechen, sagt ein ranghoher europäischer Regierungsvertreter. Die Lage ist offenbar so prekär, dass die ukrainische Regierung es selbst gegenüber ihren Verbündeten nicht zugeben will, sondern Optimismus verbreitet - aus Furcht, diejenigen im Westen zu stärken, die argumentieren, man solle nicht mehr in einen verlorenen Krieg investieren. Der derzeitige Abnutzungskrieg helfe den Russen, sagt ein Diplomat in Brüssel. "Wir sind sehr besorgt."

Vor diesem Hintergrund sind die Mahnungen einiger europäischer Regierungschefs zu verstehen, dass die EU ihre Waffen- und Munitionslieferungen in den nächsten Monaten massiv erhöhen müsse. "Wir geben den Ukrainern nicht nur nicht genug, damit sie gewinnen könnten, sondern nicht einmal genug, um zu überleben", sagt ein Regierungsvertreter. "Sie halten momentan mit den Resten durch, die sie noch übrig haben." Zu der Gruppe, die mehr europäisches Engagement fordern, gehört allen voran der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz. Er hat seinen Kolleginnen und Kollegen in der EU in den vergangenen Wochen auf eine Art die Leviten gelesen, die für ihn persönlich wie für die in der Union geltenden Höflichkeitsregeln sehr unüblich war.

Deutschland werde seine Militärhilfe für Kiew in diesem Jahr auf fast acht Milliarden Euro verdoppeln, kündigte Scholz im Januar an. Und er verlangte offen, dass die anderen Europäer mitziehen. "Die bisher geplanten Waffenlieferungen sind zu gering", rügte er. Bis zum EU-Gipfeltreffen am 1. Februar sollten alle Mitgliedsländer mitteilen, welches Militärgerät sie der Ukraine im laufenden Jahr zu liefern gedächten, so Scholz.

Einige Regierungen sind heilfroh, dass er bereit ist, in der EU voranzugehen: Olaf Scholz, hier im "Eurofighter"-Werk in Manching. (Foto: MICHAELA STACHE/AFP)

Das mag schulmeisterlich klingen, gar nach öffentlichem Pranger. Doch einige Regierungen sind heilfroh, dass Berlin in dieser Frage endlich bereit ist, in der EU voranzugehen. "Es ist schön und gut, wenn wir sagen, wir unterstützen die Ukraine", sagt ein Diplomat. "Aber wir müssen es auch wirklich tun und Geld auf den Tisch legen - vor allem mit Blick auf das, was in den USA passiert."

Frankreich, Italien und Spanien sind Adressaten des Appells

Der Appell des Bundeskanzlers, mehr Waffen zu liefern, richtet sich weniger an die kleinen EU-Länder, von denen viele, zumindest gemessen an ihrer Wirtschaftskraft, die Ukraine erheblich unterstützen. Im Blick hat Scholz eher die großen Staaten: Italien, Spanien, vor allem aber das Land, dessen Präsident Emmanuel Macron an diesem Montag in Berlin erwartet wird - Frankreich.

Zwar bezweifelt in Brüssel niemand ernsthaft, dass die Franzosen die Ukraine gewinnen sehen möchten. Ein russischer Sieg wäre "das Ende der europäischen Sicherheit", stellte Macron vor einigen Tagen klar. Doch die Kluft zwischen der zuweilen bombastischen proukrainischen Rhetorik aus Paris und dem handfesten, in Euro gemessenen Beitrag Frankreichs zu diesem Ziel ist doch erheblich.

Das war schon vor knapp einem Jahr so, als die EU-Länder darüber berieten, wie sie ihren Plan umsetzen könnten, der Ukraine binnen zwölf Monaten eine Million Artilleriegranaten zu liefern. Paris bestand damals darauf, dass aus dem dafür bereitgestellten EU-Geldtopf nur Geschosse bezahlt werden dürften, die in Europa hergestellt wurden. Das Ergebnis: Da die europäischen Produktionskapazitäten viel zu gering sind, hat die Ukraine bisher nicht einmal die Hälfte der versprochenen Million an Granaten erhalten. Ähnliches zeichnet sich nun wieder bei der Militärhilfe für 2024 ab: "Die Deutschen haben für dieses Jahr acht Milliarden Euro zugesagt, die Niederländer zweieinhalb Milliarden", sagt ein EU-Diplomat. "Aus Frankreich hat man Derartiges noch nicht gehört."

Der Verteidigungsminister in Paris reagiert gallig

Die Regierung in Paris verwahrt sich empört gegen solche Vorwürfe. Verteidigungsminister Sébastien Lecornu reagierte vor einigen Tagen recht gallig, als ihm vorgehalten wurde, dass laut dem Kieler Institut für Weltwirtschaft, das eine international anerkannte Rangliste führt, Frankreich bei der Unterstützung der Ukraine weit abgeschlagen hinter den nordischen und den baltischen Ländern liege, hinter Polen und Großbritannien - und hinter Deutschland. Paris hat demnach zwischen Mitte Februar 2022 und Ende Oktober 2023 etwa eine halbe Milliarde Euro an Militärhilfe für Kiew bereitgestellt. Für Deutschland beträgt der Wert für diesen Zeitraum 17 Milliarden Euro.

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Das Institut vermische "Kohl und Rüben", kritisierte Lecornu. Die Daten aus Kiel bezögen sich auf "Versprechen und Erklärungen", nicht auf die tatsächlichen Lieferungen. Frankreich sei stolz darauf, dass es alles liefere, was es verspreche - "und funktionstüchtig". Zudem habe Paris den Ukrainern Marschflugkörper vom Typ Scalp gegeben. Sie sind vergleichbar mit den deutschen Taurus-Geschossen, die Scholz partout nicht an Kiew liefern will.

Die französische Regierung, die vielleicht ahnt, dass sie ein wachsendes Imageproblem in der EU hat, kündigte vor einigen Tagen weitere Waffenlieferungen an. 78 Haubitzen vom Typ Caesar werde man für die Ukraine bestellen, hieß es. Doch dann begann der typische französische Eiertanz: Zwölf der Artilleriegeschütze werde Paris finanzieren, zum Preis von 50 Millionen Euro, teilte das Verteidigungsministerium beim Kurznachrichtendienst X mit. Weitere 60 sollten "von den Verbündeten der Ukraine" bezahlt werden. Welche Staaten das sein werden, dazu schwieg Paris. Vielleicht hat der neue französische Außenminister Stéphane Séjourné am Montag in Brüssel eine Antwort für seine Kolleginnen und Kollegen. Oder Emmanuel Macron in Berlin.

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