Frankreich:Kohl und Rüben

Lesezeit: 3 min

Frankreich liefere, was es verspreche, sagt Verteidigungsminister Sébastien Lecornu. Das lässt sich als Seitenhieb auf Berlin deuten. (Foto: Benoît Tessier/Reuters)

Frankreich kündigt an, bald 78 Haubitzen und 40 Marschflugkörper des Typs "Scalp" an die Ukraine zu liefern - und verwahrt sich vehement gegen den Vorwurf, zu wenig zu helfen.

Von Oliver Meiler, Paris

Französische Politiker sind außergewöhnlich gut darin, ihrem Handeln einen für sie günstigen Dreh zu geben, im Jargon: einen positiven Spin. Viele sind grandiose Rhetoriker, gerade wenn der Gegenwind stark ist.

Seit einer Weile hat sich in Europa - in Berlin im Besonderen - das Narrativ festgesetzt, dass Frankreich den Ukrainern nicht genügend helfe in deren Krieg gegen die russischen Aggressoren, dass sich Paris mit der Lieferung von Waffen und mit finanzieller Unterstützung zurückhalte. Es gibt dazu auch ziemlich deutliche Zahlen des Kiel Instituts für Weltwirtschaft. Studiert man die, macht es den Anschein, als stünden die Franzosen bisher in etlichen Kategorien ganz am Schluss der Rangliste der größten Geber. Deutschland leistete demnach Hilfe für den Gegenwert von mehr als 17 Milliarden Euro; Frankreich kommt nicht einmal auf eine Milliarde.

Im Februar plant Präsident Macron einen Besuch in Kiew

In Frankreich selbst ignorierte man die Kontroverse lange beinahe ganz. Nun aber ist sie plötzlich ein Thema in den Medien und in den Palästen der Macht. Bei seiner großen Pressekonferenz vor ein paar Tagen deutete Präsident Emmanuel Macron die Angelegenheit gar um. Er sagte, Frankreich werde schon dafür sorgen, dass die Unterstützung für die Ukraine in Europa nicht erlahme, es gehe schließlich um das Schicksal des Kontinents. Er kündigte auch an, dass Frankreich der ukrainischen Armee "40 Marschflugkörper" und "Hunderte Bomben" zukommen lassen werde. Im Februar, sagte Macron auch, werde er nach Kiew reisen. Es hörte sich ein bisschen so an, als gebe Paris den Ton an.

Dann übernahm sein Verteidigungsminister Sébastien Lecornu, und der widersprach der ungünstigen Darstellung Frankreichs radikal. Als man Lecornu in einem Radiointerview auf France Inter auf das schlechte Klassement ansprach, sagte er, das Kiel Institut vermische doch "Kohl und Rüben": "Alle diese Rankings sind falsch, man muss nur schauen, wem das zugutekommt."

Die Produktion wird hochgefahren - wie in einer "Kriegswirtschaft"

Gemeint war Deutschland. Das Kiel Institut berufe sich auf "Versprechen und Erklärungen", nicht auf die tatsächlichen Lieferungen. Frankreich dagegen sei stolz darauf, dass es alles liefere, was es verspreche - "und funktionstüchtig". Er wolle ja keine Polemik schüren, schickte er schnell nach, "niemandem einen Stein in den Garten werfen". Doch natürlich war wieder Deutschland und seine halb funktionalen Panzer gemeint. Die Interviewer fragten den Minister dann noch, ob der deutsche Kanzler Olaf Scholz falschliege, wenn er die Partnerstaaten und Frankreich auffordere, mehr zu tun. Lecornu dazu: "Deutschland weigert sich, ähnliche Marschflugkörper wie unsere Scalp zu liefern."

Nun, das waren gleich eine Menge Steine, die er da in den deutschen Garten warf.

78 "Caesar"-Haubitzen soll die Ukraine dieses Jahr erhalten, kündigt Paris an. (Foto: Bob Edme/AFP)

Frankreich verspricht noch für dieses Jahr weitere 78 Haubitzen vom Modell Caesar. 49 davon sind schon im Einsatz in der Ukraine und dort sehr geschätzt: Die Artilleriegeschütze, montiert auf Lastern, sind mobil und flexibel, sie lassen sich mit einer Geschwindigkeit von 80 Kilometern pro Stunde verschieben. Hergestellt werden sie vom privaten französischen Rüstungskonzern Nexter, den Lecornu bei der Gelegenheit in allen Tönen lobte. Man zeige damit auch, dass man eine strahlkräftige Rüstungsindustrie habe.

Früher habe Nexter 30 Monate gebraucht, um eine Caesar zu fabrizieren, nun seien es nur noch 15. Die Produktion sei hochgefahren worden, wie man das in einer "Kriegswirtschaft" mache. Eine Caesar koste "drei, vier Millionen Euro". Das sei einigermaßen erschwinglich, fand Lecornu. Er lancierte deshalb einen Appell an die Adresse aller europäischen Partnerstaaten, sie möchten sich an der Finanzierung von 60 Haubitzen beteiligen.

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Außerdem sollen in diesem Jahr insgesamt 40 Marschflugkörper des Typs Scalp an die Ukrainer gehen. Die Marschflugkörper haben eine Reichweite von 250 Kilometern. Damit können die ukrainischen Streitkräfte auch russische Ziele hinter der Frontlinie treffen, etwa Kommandozentralen und Munitionsdepots - oder die Flotten in den Häfen der Krim.

Einen ersten Versuch, das Narrativ vom angeblich zögerlichen Alliierten in Paris zu ändern, hatte vor zwei Monaten schon die Verteidigungskommission der Assemblée nationale gemacht, der größeren Kammer des französischen Parlaments. In einem Bericht rechnete sie alles zusammen, was Paris seit Februar 2022 geleistet hat für die Ukraine, inklusive Ausbildung, und kam dabei auf 3,2 Milliarden Euro. Das ist noch immer viel weniger als Deutschland, auch nur etwa die Hälfte Großbritanniens. Doch Macron und seine Regierung legen Wert darauf, dass man Frankreich jetzt als Teil des "peloton de tête" sieht, das ist eine Metapher aus dem Radsport. Der Begriff steht für: Spitzengruppe.

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