Ukraine vor der Parlamentswahl:Risse beim Kampf um die Einheit

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"Donezk wird frei sein": Graffito an einer geschlossenen Buchhandlung im Osten der Ukraine. (Foto: Darko Vojinovic/AP)

Im Osten der Ukraine wird geschossen, im Rest des Landes herrscht Wahlkampf. Europa ist das Ziel, da sind sich alle Parteien in Kiew einig. Es gibt nur ein echtes Streitthema.

Von Cathrin Kahlweit, Kiew

Die Stadt ist schon wieder voller Plakate, dabei ist die letzte Wahl erst vier Monate her. "Die Ukraine siegt", "Gemeinsam für die Ukraine" - die Slogans sind austauschbar und sinnfrei. Kein Wunder: Die wichtigsten Protagonisten, die jetzt für die Parlamentswahl antreten, haben im Winter gemeinsam auf dem Maidan gestanden, im Februar gemeinsam den Präsidenten gestürzt, im März eine Koalition gebildet und die Regierung gestützt.

Julia Timoschenko war, nachdem sich Viktor Janukowitsch nach Russland abgesetzt hatte, aus dem Gefängnis freigekommen, Petro Poroschenko hatte sie mit seinem Privatflieger aus Charkiw abgeholt, Arsenij Jazenjuk hatte die Oppositionspolitikerin, die damals nicht gehen konnte, in einem Rollstuhl auf die Bühne des Maidan geschoben, Vitali Klitschko hatte danebengestanden und applaudiert - Ende Februar dieses Jahres hatte man sich noch gemeinsam gezeigt und wollte gemeinsam siegen.

Die Parteien sind schon wieder im Wahlkampf-Modus

Mittlerweile hat Premier Jazenjuk, der einst für Timoschenko angetreten war, eine eigene Partei gegründet, weil er immer schon auch ihr größter Konkurrent war. Klitschko, Bürgermeister von Kiew, hat sich und seine Udar-Partei komplett in den Dienst des Präsidenten gestellt, und der sammelt in seinem Block Poroschenko viele Reformer, aber auch zahlreiche alte und unbeliebte Gesichter aus der alten Zeit hinter sich. Was wiederum den harten Kern der Maidan-Aktivisten schwer irritiert.

Während in der Ostukraine die ohnehin brüchige Waffenruhe in neue Auseinandersetzungen kippt, in denen Dutzende Menschen starben, während die Separatisten erneut Stellungen der ukrainischen Armee beschießen, während wieder erbittert um den Flughafen Donezk gekämpft wird, ist der Rest des Landes im Wahlkampf.

Das einzige echte Streitthema für die Entscheidung am 26. Oktober ist der Umgang mit den Separatisten. Vor zwei Wochen hat die Werchowna Rada nach starkem Druck von Poroschenko ein Gesetz gebilligt, das den Kunstgebilden in der Ostukraine, den Volksrepubliken in Donezk und Luhansk, einen Sonderstatus zuerkennt. Dies sei die Bedingung für weitere Verhandlungen, für einen Frieden und langfristig für eine Rückgewinnung der Gebiete, hieß es.

Dieser Schritt, der allerdings nur blasse Theorie ist, weil die Separatisten ganz andere Vorstellungen haben, spaltet die Parteien und die Gesellschaft. Julia Timoschenko zum Beispiel hält das für Verrat am Volk. Jazenjuk, der die "Volksfront" gegründet hat, setzt sich mit einer martialischen Sprache von Poroschenko ab; vor der UN-Generalversammlung drohte er, wenn auch als letztes Mittel, mit der militärischen Option, um die russische Invasion zurückzuschlagen. "Wir wissen, was Terror bedeutet", so der Premier, und "es ist schwer, über Frieden zu reden, wenn dir jemand eine Waffe ins Gesicht hält". Poroschenkos Anhänger trösten sich damit, dass dieser mit Zugeständnissen und dem Dialog mit Russland nur "Zeit kaufen" wolle, um im Frühjahr wieder anzugreifen.

Innenpolitisch wiederum, glauben die Ukrainer, könne keiner der Protagonisten hinter die Ziele zurück, die alle gemeinsam gefordert hatten: mehr Europa, weniger Korruption, mehr Transparenz. Aber die Korruptionsbekämpfung stockt, gerade erst hat der Präsident die Parlamentarier aufgefordert, endlich für die Einrichtung eines Antikorruptionsbüros zu stimmen, das Parlament, Regierung und hohe Beamte kontrollieren soll. Bisher hatte das keine Mehrheit gehabt. Ausgesetzt sind auch die Wahlrechtsänderung, die Reform der Parteifinanzierung, die Gesundheitsreform.

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Keine stabile Mehrheit für den Präsidenten

Dabei hatte der Präsident die Werchowna Rada, die noch zu Zeiten von Janukowitsch gewählt worden war, im Sommer aufgelöst, um stabilere Machtverhältnisse zu bekommen. Angesichts des wirtschaftlichen Niedergangs im Zeichen des Krieges und der wachsenden Verbitterung in der Bevölkerung über mangelnde militärische und politische Erfolge im Osten braucht es, nicht nur in der Logik des Präsidenten, eine starke Mehrheit im Parlament. Mittlerweile zweifeln nicht nur seine Anhänger daran, dass er die bekommen dürfte.

Denn zum Beispiel die im Frühjahr entmachtete Partei der Regionen spielt nicht mit beim Versuch, Einigkeit im Aufbruch zu simulieren. Sie tritt nicht als Parteiliste an, sondern schickt einzelne Kandidaten in die Wahlkreise. Das Parlament setzt sich zur Hälfte aus Listen und zur Hälfte aus Direktmandaten zusammen. Viele Kandidaten der Ex-Janukowitsch-Partei, die als Unabhängige von Oligarchen und geschassten Regionalfürsten unterstützt werden, dürften einen entscheidenden Einfluss auch im neuen Parlament haben.

Erst im kommenden Jahr wird sich zeigen, ob die Ukraine regierbar ist

Außerdem werden in der neuen Rada nicht alle Plätze besetzt sein. Die Krim ist annektiert, und in einigen Teilen der Bezirke Donezk und Luhansk wird nicht gewählt, weil sie unter der Kontrolle der Separatisten stehen. 40, vielleicht 60 Prozent der Parlamentarier würden neue Köpfe mit neuen Ideen sein, sagt die Nichtregierungsorganisation Opora voraus, und ja, die Mehrheit werde proeuropäisch und antirussisch sein.

Aber ein Berater von Vitali Klitschko, der in diesem Zusammenhang lieber nicht namentlich genannt sein möchte, schätzt, dass bis zu 200 Abgeordnete Anhänger der "alten Macht" sein werden. Im nächsten Jahr werde sich dann zeigen, ob die Ukraine regierbar sei. "Wir haben bis jetzt viel gewonnen, aber noch mehr verloren. Die Ukraine ist wieder in russischen Händen", sagt der Berater. Nun müsse sich zeigen, ob der neue Präsident, die neue Regierung, ein neues Parlament dagegen anstehen und die "neuen Werte" hochhalten könnten.

Ein Indiz für Stabilität enthalten derweil die ersten Umfragen: die Rechtsnationalen, also Swoboda, und die Rechtsradikalen dürften unter fünf Prozent bleiben.

© SZ vom 01.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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