Am Anfang war es ein Kampf der Argumente. Ein Streit, fundamental und hart in der Sache, aber auf den ersten Blick rein politischer Natur: Soll sich die Ukraine mehr gen Westen und damit der EU öffnen oder nicht? Aus dem politischen Streit wurden Proteste, aus den Protesten Unruhen, aus den Unruhen schließlich ein Krieg, der mittlerweile sieben Jahre lang anhält.
Neue Truppenbewegungen der russischen Seite tragen nun dazu bei, dass der Konflikt wieder in den Fokus der Öffentlichkeit gerät. Weshalb bekriegen sich die Ukraine und Russland? Was hat die Halbinsel Krim damit zu tun? Und wie verhalten sich die westlichen Staaten? Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Exklusiv Ukrainekonflikt:Maas warnt Russland und Ukraine vor "gefährlichen Missverständnissen"
Trotz geltender Waffenruhe kommt es am Wochenende zu neuen tödlichen Angriffen im Donbass. Ukrainische Streitkräfte und prorussische Separatisten machen sich gegenseitig Vorwürfe.
Worum geht es bei dem Konflikt?
Der Kern, um den es in diesem Fall geht, ist die Frage der politischen Ausrichtung der Ukraine. Orientiert sich das Land eher gen Westen und die EU oder bindet es sich wieder enger an Russland?
Wie hat der Streit angefangen?
Am 21. November 2013 verweigerte der prorussische Präsident Wiktor Janukowitsch die Unterzeichnung eines Assoziierungsabkommens, welches die Ukraine stärker an die EU gebunden hätte - dieses Ereignis gilt gemeinhin als Startpunkt des Konflikts. Durch das Abkommen sollte eine vertiefte und umfassende Freihandelszone entstehen, außerdem sollte sich die Ukraine in Fragen wie der Korruptionsbekämpfung, der Sicherheits- und der Steuerpolitik der EU annähern. Die Unterzeichnung des Abkommens war zuvor nach massivem Druck aus Moskau und wegen Ermittlungen gegen die Janukowitsch bei den Präsidentenwahlen unterlegene, proeuropäische Politikerin Julia Timoschenko verschoben worden.
Janukowitschs Weigerung, das Abkommen zu unterzeichnen und stattdessen einem Abkommen unter Moskauer Führung beizutreten, löste in der Ukraine heftige Proteste aus. Zentraler Ort der Demonstrationen war der Maidan in Kiew, der zentrale Platz der Hauptstadt. Mehr als 100 Menschen wurden bei gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Einsatzkräften, prowestlichen und prorussischen Protestierenden getötet. Nachdem sich der Sicherheitsapparat von ihm abwendete, floh Janukowitsch nach Russland.
Russland nutzte das in der Ukraine entstandene Machtvakuum, um Teile des Landes zu destabilisieren und an sich zu binden. So kam es im Osten der Ukraine zu Unruhen, die von Beginn an von Russland mitorganisiert wurden. In der Industrie- und Grenzregion Donbass im Osten der Ukraine riefen von Moskau organisierte Separatisten die nicht anerkannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk aus. Außerdem annektierte Russland die Schwarzmeer-Halbinsel Krim. Im Jahr 2017 trat das Assoziierungsabkommen der Ukraine mit der EU schließlich doch noch in Kraft.
Wer sind die kämpfenden Akteure?
Nach dem jüngsten Wiederaufflammen des Konfliktes trägt Generalstabschef Ruslan Chomtschak, militärischer Befehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, am 30. März im Parlament zur Lage vor: Etwa 28 000 Soldaten befänden sich im von Moskau kontrollierten Donbass. Diese Einheiten sind offiziell keine Soldaten der russischen Armee, sondern lokale Söldner oder Angehörige der kremlnahen Wagner-Gruppe, eines Sicherheits- und Militärunternehmens mit Hauptquartier in Sankt Petersburg. Dazu kommen Chomtschak zufolge im Donbass mehr als 2000 russische Offiziere und Militärberater. Auf der Krim habe Moskau mittlerweile 33 000 Soldaten stationiert. Dieses militärische Bild ist indes seit Monaten weitgehend unverändert. Darüber hinaus aber ziehe Russland an der Grenze zur Ukraine - etwa in Brjansk, Woronesch und Rostow am Don und auf der Krim weitere Einheiten zusammen, so der ukrainische Kommandeur. Chomtschak sprach von 28 taktischen Bataillonsgruppen - das entspricht 20 000 bis 25 000 Soldaten.
Auf beiden Seiten nehmen in der Ukraine auch Kämpfer aus fremden Ländern teil. Die Motive reichen von Verbundenheit beziehungsweise Abneigung in Bezug auf Russland über Links- bis hin zum Rechtsextremismus - und guter Bezahlung für etliche Söldner. Die Ukraine öffnete im Jahr 2015 offiziell ihre Armee für Ausländer, die bis dato nur in Freiwilligenverbänden eingesetzt worden waren.
Wie viele Todesopfer gab es bisher?
Den Vereinten Nationen zufolge sind in dem Konflikt bereits mehr als 13 000 Menschen ums Leben gekommen, etwas mehr als 3000 waren Zählungen der UN nach Zivilisten. Mehr als 7000 Zivilisten wurden Schätzungen nach verletzt. In die Zahl der zivilen Todesopfer müssen auch die 298 Menschen mit eingerechnet werden, die an Bord des Flugs MH17 waren. Die Maschine der Malaysia Airlines war am 17. Juli 2014 auf dem Weg von Amsterdam nach Kuala Lumpur in der Ostukraine abgestürzt. Eine internationale Untersuchung machte eine russische Flugabwehrrakete, die aus Gebieten von Separatisten abgefeuert wurde, als Absturzursache verantwortlich.
Was ist auf der Krim passiert?
Ende Februar 2014 besetzten schwerbewaffnete Soldaten ohne Hoheitsabzeichen, die in der ukrainischen Öffentlichkeit wegen der fehlenden Kenntlichmachung spöttisch "grüne Männchen" genannt werden und sich selbst als "Selbstverteidiger" der russischen Bevölkerung bezeichnen, das Parlamentsgebäude der Krim in der Hauptstadt Simferopol. Erst einige Zeit später gab der russische Präsident Wladimir Putin zu, dass es reguläre russische Einheiten waren, die die Krim besetzten. Dies sind Fallschirmspringer, Marineeinheiten und Elitekommandos des Militärgeheimdienstes GRU. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit und ohne die Zustimmung des ukrainischen Präsidenten, wie es die ukrainische Verfassung vorsieht, wurde der Politiker Sergej Aksjonow unter zwielichtigen Umständen zum neuen Regierungschef gewählt. Im weiteren Verlauf wurden immer mehr strategisch wichtige Orte wie der Flughafen der Insel besetzt, russische Einheiten blockierten ukrainische Militäreinrichtungen.
Die von Moskau gesteuerten lokalen Politiker rechtfertigten ihr Handeln mit den Umbrüchen und den gewaltsamen Ausschreitungen "radikaler Nationalisten" auf dem Festland der Ukraine, wodurch für die mehrheitlich russischsprachige Bevölkerung der Krim eine Gefahr ausgehe. Der neue Krim-Premier Aksjonow bat Russland offiziell um Hilfe, um die Russen auf der Krim zu schützen. Anfang März beschloss das neu eingesetzte Regionalparlament den Anschluss der Krim an die Russische Föderation. Gleichzeitig wurde ein entsprechendes Referendum angesetzt.
Bei der Abstimmung standen damals zwei Optionen zur Wahl: Ein als "Wiedervereinigung" bezeichneter Anschluss an Russland - und als Alternative die Wiederherstellung der Verfassung des Jahres 1992 mit der Krim als Teil der Ukraine. Ein Erhalt des Status quo und damit der Verbleib der Krim als Autonome Republik innerhalb der Ukraine stand nicht zur Wahl. Anhänger eines Verbleibs bei der Ukraine wurden massiv unter Druck gesetzt. Dem offiziellen Ergebnis zufolge - das schon kurz darauf angezweifelt wurde - sollen mehr als 95 Prozent der Wähler für den Anschluss an Russland gestimmt haben, bei einer Beteiligung von gut 83 Prozent. Ein Bericht eines Beratergremiums Putins, welcher die Ergebnisse ebenfalls anzweifelte und nur von einer Zustimmungsrate von 50 bis 60 Prozent bei einer Wahlbeteiligung von lediglich 30 bis 50 Prozent sprach, verschwand nach seiner Veröffentlichung auf der Internetseite des Gremiums bald wieder aus dem Netz.
Welches Interesse hat Russland an der Krim?
Das Interesse Russlands - oder besser Putins - an der Krim speist sich aus zwei Quellen: der symbolischen, aber auch der militärischen Bedeutung, welche die Krim für das Land hat.
Die symbolische Bedeutung hängt mit der Geschichte der Halbinsel zusammen. 1954 hatte der damalige Kremlchef Nikita Chruschtschow die Krim der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik übertragen. Putin sieht darin einen historischen Fehler, den es wiedergutzumachen gilt.
Das militärische Interesse hat geografische und strategische Gründe. Schon vor der Annexion der Halbinsel war vertraglich geregelt, dass Russland seine Schwarzmeerflotte auf der Krim stationieren darf, freilich zeitlich befristet. Doch mit einer prowestlichen Neuausrichtung der Ukraine wäre die Zukunft dieser Abmachung ungewiss. Gleichzeitig lässt sich mit einer Krim, die fest in russischer Hand ist, auch die Annährung der Ukraine an die Nato behindern.
Wie ist die Lage dort jetzt?
Seit dem 21. März 2014 betrachtet Russland die Krim als Teil des eigenen Staatsgebiets. Durch mehrere Infrastrukturprojekte hat Moskau die Halbinsel stärker an sich gebunden. Eine mehr als 19 Kilometer lange Zug- und Autobahnbrücke verbindet die Krim im Osten mit dem russischen Festland. Sie gilt als die längste in Russland und Europa. Auch Gas und Strom bezieht die Krim mittlerweile aus Russland. Da die Wasserversorgung durch die Ukraine gekappt und Regen knapp ist, kämpft die Krim seit 2014 mit Wassermangel. In den Sommermonaten gilt sie vor allem bei russischen Touristen als Ausflugsziel. Sergej Aksjonow ist nach wie vor Regierungschef.
Wie verhalten sich Deutschland, die EU und die USA?
Die westlichen Staaten haben die Annexion der Krim durch Russland nie akzeptiert und lehnen sie als völkerrechtwidrig ab. Die Argumentation Russlands, die sich aufs Selbstbestimmungsrecht der Völker beruft, lassen sie nicht gelten: Weil das Referendum unter einer Besatzungsmacht Anforderungen an eine demokratische, freie Abstimmung nicht genügte, nach ukrainischem Recht ein Referendum über die Änderung der Grenzen und damit dem Verbleib der Krim im gesamten Land und nicht nur auf der Halbinsel hätte stattfinden müssen und Anhänger eines Verbleibs bei der Ukraine bis hin zu Entführungen massiv unter Druck gesetzt wurden.
"Die USA erkennen die vermeintliche Annexion der Halbinsel durch Russland nicht an und werden dies niemals tun", sagte US-Präsident Joe Biden. Bidens Vorgänger Donald Trump hatte zwar Aggressionen verurteilt, aber auch gesagt, er könnte sich eine Anerkennung des Schritts vorstellen. Offiziell haben die USA das ukrainische Militär bisher mit Militärhilfe für mehr als eine Milliarde Dollar gestützt. Am 1. März verkündete das US-Verteidigungsministerium weitere Lieferungen im Volumen von 125 Millionen Dollar. Steffen Seibert, Sprecher der Bundesregierung, sagte vor Kurzem in Berlin: "Mit dieser Annexion hat Russland Grundprinzipien des Völkerrechts verletzt und die europäische Nachkriegsordnung infrage gestellt." Auf einer Seite des Auswärtigen Amtes ist zu lesen: "Eine unrechtmäßige Handlung kann keinen neuen, rechtlich gültigen Zustand schaffen. Deshalb wird die Annexion der Krim durch Russland international nicht anerkannt."
Seit der Annexion der Krim ist Russland vom Format der acht mächtigen Industrienationen G 8 ausgeschlossen, die seitdem auf die Formel G 7 geschrumpft sind. Außerdem verhängten die USA und die EU Sanktionen gegen Russland, welche unter anderem russische Infrastrukturprojekte auf der Halbinsel erschwerten. Ein 2015 unter deutsch-französischer Vermittlung in Minsk vereinbarter Friedensplan für die Ukraine liegt auf Eis.