Geht es nach Denis Puschilin und seinen Mitarbeitern, ist der Gang der "Volksrepublik Donezk" (DNR) auf die Weltmärkte nicht aufzuhalten. Mitte Dezember versprach der Führer der von Russland organisierten Pseudorepublik im Osten der Ukraine im Fernsehen rosige Zeiten für 2021: Die Wirtschaft und Gehälter würden wachsen, Tausende neue Jobs entstehen. Wenige Tage zuvor hatte bereits Puschilins für Industrie und Handel zuständiger Mitarbeiter Wladimir Ruschtschak die Expansion der DNR auf ausländische Märkte angekündigt.
Mit der Wirklichkeit in der DNR und der ebenfalls vom Kreml installierten "Volksrepublik Lugansk" (LNR) haben derlei optimistische Aussagen freilich nichts zu tun: Tatsächlich stecken die Marionettenrepubliken tief im wirtschaftlichen Niedergang und der Covid-Epidemie, mehr als die Hälfte der Vorkriegsbevölkerung ist geflohen. Eine Lösung des 2014 begonnenen, auf Sparflamme weitergehenden Stellungskrieges ist ebenso wenig in Sicht wie die von Kiew gewünschte Reintegration in die Ukraine oder ein aus Sicht der auf Moskau setzenden Rebellen wünschenswerter Anschluss an Russland.
Knapp 3,7 Millionen Menschen wohnten vor Kriegsbeginn im Kohle- und Stahlrevier um Donezk und Lugansk. Heute ist es nicht einmal mehr die Hälfte: Diesen Schluss lassen Meldungen von Rebellenmedien zu, die über 40 Prozent Wohnungsleerstand in Donezk berichten oder über Geburtenzahlen in Donezk und Lugansk, die jedes Jahr weiter zurückgehen. Offenbar wegen der katastrophalen Zahlen haben DNR und LNR bis heute nicht die Ergebnisse von Volkszählungen aus dem Oktober 2019 veröffentlicht - obwohl sie für das Frühjahr 2020 versprochen waren.
Von den schätzungsweise noch 1,8 Millionen Einwohnern sind mehr als eine Million Rentner. Die leiden unter der Covid-Epidemie ebenso wie unter monatelangen Schließungen der faktischen Grenzübergänge zum von Kiew kontrollierten Gebiet: Nur dort werden ukrainische Renten oder Kindergeld ausgezahlt, Dokumente ausgestellt und Sozialleistungen erfüllt.
Seit Monaten berichten lokale Medien über mit Covid-Patienten überfüllte Krankenhäuser und Medikamentenmangel. Den Rebellen fehlt nicht nur Impfstoff, sondern vor allem Geld in der Kasse. Die Kohleproduktion ist dramatisch eingebrochen. Die Skotschinskij-Mine in Donezk etwa eröffnete nach zehn Monaten Schließungen wegen technischer Probleme erst Ende Oktober 2020 wieder. Doch schon am 17. November wurde das 2300 Menschen beschäftigende Bergwerk von einem Feuer verwüstet, bei dem vier Arbeiter ums Leben kamen.
Seit Anfang 2020 werden immer neue Streiks in Kohlegruben oder Fabriken gemeldet - gewöhnlich werden sie nach einigen Tagen durch Verhaftungen des Geheimdienstes unterdrückt. Der Grund der Streiks ist immer der gleiche: Die Arbeiter bekommen monatelang keinen Lohn. Wo gezahlt wird, beträgt der Monatslohn manchmal gerade umgerechnet 130 Euro. Um Rückstände nicht zahlen zu müssen, haben DNR und LNR bereits mehrere Umschreibungen auf neue Eigentümer durchgeführt, die keine rückständigen Löhne zahlen. Dutzende Kohlegruben wurden geschlossen.
An der mehr als 400 Kilometer langen faktischen Frontlinie zwischen DNR/LNR und den von Kiew kontrollierten Gebieten begann am 27. Juli 2020 ein Waffenstillstand, zum ersten Mal nicht nur auf dem Papier. Früher zählte die OSZE im Monat rund 20 000 Verletzungen der Feuerpause. Dann waren es zeitweise nur einige Hundert. Doch seit Januar flammt der Konflikt wieder auf, zehn ukrainische Soldaten wurden getötet. Ex-Präsident Leonid Krawtschuk, Kiews Vertreter in den Verhandlungen mit Moskau, erklärte am 9. Februar: "Es gibt keinen Waffenstillstand mehr."
Auch politisch herrscht mehr als ein Jahr nach dem Treffen von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Russlands Präsident Wladimir Putin, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und seinem ukrainischen Kollegen Wolodimir Selenskij Stillstand. Der Ostukraine-Spezialist Taras Kuzio schätzt die Zahl der Truppen aus russischen Söldnern und einheimischen Rebellen auf 35 000, dazu kämen 5000 russische Geheimdienstler und "Berater".
Seit April 2019 gibt Russland rechtswidrig russische Pässe an Einwohner von DNR und LNR aus - der ukrainischen "Östlichen Menschenrechtsgruppe" zufolge bis Januar gut 442 000 Dokumente. DNR und LNR haben zudem eigene "Pässe" ausgegeben. Sie planen dem Infodienst Spektr zufolge, denjenigen, die an legalen ukrainischen Pässen festhalten, alle Rechte auf Immobilienbesitz oder unternehmerische Tätigkeit zu nehmen. Die neue OSZE-Vorsitzende, Schwedens Außenministerin Ann Linde, stellte am 20. Januar fest, die Ukraine habe "alle Voraussetzungen für den Frieden erfüllt, Russland dagegen unglücklicherweise nicht".
Kiew kann höchstens symbolische Siege auf internationaler Ebene verbuchen. Am 11. Dezember erklärte die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs der Vereinten Nationen in Den Haag, sie habe genug Indizien, um eine formelle Ermittlung wegen Kriegsverbrechen in der Ostukraine und auf der Krim einzuleiten. Am 14. Januar nahm der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Klagen der Ukraine wegen Russlands gewaltsamer Besetzung der Krim an.
Russland baut die Krim zu einer Militärbasis aus
Praktische Bedeutung vor Ort haben diese Ermittlungen indes nicht. Russlands Präsident Putin machte es am 30. Dezember 2020 mit Änderungen im Strafgesetzbuch Einwohnern der Krim noch schwerer, Moskaus Besetzung und illegale Annexion zu kritisieren. Vor allem Krimtataren sind Verfolgung, Festnahme und politischen Prozessen ausgesetzt. Die Krim-Menschenrechtsgruppe zählt 109 politische Gefangene. Rund 28 000 Krim-Bewohner seien rechtswidrig zum Dienst in der russischen Armee eingezogen worden. Die Ukrainische Helsinki-Menschenrechtsunion berichtete Mitte Januar über zunehmende Indoktrinierung und Militarisierung selbst von Schülern.
Das Schwarzes-Meer-Institut für Strategische Studien sah in einem Ende 2020 erschienenen Report über Moskaus Regime auf der Krim die rapide Militarisierung als wichtigstes Ergebnis der sieben Jahre dauernden Besetzung. Ziel sei der Aufbau einer Militärbasis, die so groß sein solle wie die größten US-Militärbasen. Werften würden errichtet, etliche neue Kriegsschiffe gebaut. Mehr als 150 000 Russen seien auf die Krim umgesiedelt worden. Allein der Schwarzmeerhafen Sewastopol habe Zehntausende russische Soldaten mit ihren Familien und andere russische Siedler aufgenommen.
Russland hat auf der Krim zudem Hunderte ukrainische Unternehmen enteignet. Kiew hat Klagen auf Entschädigung vor internationalen Schiedsgerichten eingereicht. Ob solche Entschädigungen fließen, ist selbst im Fall positiver Entscheidungen zweifelhaft. Präsident Selenskij und Außenminister Dmytro Kuleba wollen das Thema auf einer für Ende August 2021 geplanten internationalen Konferenz mit dem Titel "Krim-Plattform" wachhalten.
Das russische Besatzungsregime hat seinerseits ein an Schärfe zunehmendes Problem: Wassermangel. Die Krim wurde seit 1971 vom ukrainischen Festland vor allem durch einen Kanal mit Wasser aus dem Fluss Dnjepr versorgt. Nach der Besetzung 2014 stoppte Kiew den Zufluss. Der Wassermangel war im Sommer 2020 bereits so dramatisch, dass in 40 Städten und Dörfern Beschränkungen eingeführt wurden.