Krieg in der Ukraine:"Es bleibt von der Nacht der dunkle Himmel"

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Im russischen Belgorod werden Raketen auf Charkiw in der Ukraine gestartet. (Foto: Vadim Belikov/AP)

Auch weil der Krieg längst ein Kampf der Kulturen geworden ist, entfesseln die ukrainischen Truppen immer wieder immense Kräfte. Aus der Region Charkiw werden Erfolge gemeldet.

Von Nicolas Freund, München

Der Krieg in der Ukraine - ein Kampf der Kulturen? So sieht es zumindest der Kreml. In einem am Montag veröffentlichten Dokument bekräftigte der russische Präsident Wladimir Putin noch einmal die Haltung Moskaus gegenüber dem liberalen Westen: Russland wolle sein "reiches kulturelles Erbe" sowie "traditionelle russische moralische Werte" vertreten. Liest man dazu Berichte wie den des ukrainischen Philosophieprofessors Wolodymyr Abaschnik über wahrscheinlich gezielte russische Angriffe auf Universitäten und Museen in seiner Heimatstadt Charkiw, dann gehört zu dieser Kulturaußenpolitik Russlands wohl auch die Zerstörung der ukrainischen Kultur.

Ist es so gesehen als Maßnahme in diesem Kampf der Kulturen zu verstehen, wenn ukrainische Bands in Europa auf Tour sind und den Krieg gewissermaßen mit im Gepäck haben? Die Ska-Punk-Band Zhadan i Sobaki (Zhadan und die Hunde) aus Charkiw zum Beispiel sammelt derzeit auf ihren Konzerten sogar dezidiert Geld für das ukrainische Freiwilligenbataillon "Charter".

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Der ukrainische Präsident kündigt bei seinem Besuch in der Region Charkiw ein weiteres Vorrücken seiner Armee an. Brüssel will der Ukraine Zugang zum EU-Binnenmarkt ermöglichen.

Ihr Auftritt in München vergangene Woche ließ aber auch erkennen, dass es um mehr geht als um Spenden für Helme und Splitterschutzwesten. Es war zu spüren, dass in der Ukraine gerade eine Nation auch um ihre kulturelle Identität kämpft - und dass dieser Kampf, selbst wenn er nicht in wilden Ska-Punk verpackt wird wie von der Band um den Schriftsteller und Musiker Serhij Zhadan, bei den Verteidigern immense Kräfte freisetzt.

Nun wurden bei der Großstadt Charkiw Erfolge der ukrainischen Armee gemeldet. Die lange angekündigte ukrainische Gegenoffensive war eigentlich für die Region um Cherson im Süden des Landes angekündigt gewesen und mit gezielten Angriffen auf russische Munitionsdepots, Flugplätze und Infrastruktur auch vorbereitet worden. Die eigentlichen Angriffe kamen dann in den letzten Tagen aber wohl nicht richtig voran.

Ukrainische Erfolgsmeldungen aus allen Regionen

Unter anderen teilt jetzt der britische Geheimdienst mit, es werde auch im Donbass und bei Charkiw wieder heftig gekämpft. Aus allen Regionen werden kleinere Erfolge der ukrainischen Truppen gemeldet, teils auch russische Vorstöße, die aber abgewehrt worden sein sollen. Die genaue Lage ist unklar, der ukrainische Generalstab gibt seit Tagen kaum Auskunft zu Erfolgen oder Misserfolgen der Offensive. Experten gehen davon aus, dass die ukrainische Armee eigentlich derzeit nicht über die eigentlich nötige Übermacht für einen Angriff verfügt.

Bei Charkiw sollen ukrainische Streitkräften nun aber wichtige Erfolge bei dem Ort Balaklija gelungen sein. In sozialen Netzwerken kursieren viele, teilweise angeblich geolokalisierte Videos, die ukrainische Truppen in der Region zeigen. Sollte ihnen eine Einnahme des Ortes gelingen, wäre der russische Vormarsch im Donbass von Norden bedroht. Dort kämpft Moskaus Armee seit Monaten um jeden Kilometer Geländegewinn.

Der britische Geheimdienst interpretiert diese ukrainische Offensive als "Test" der russischen Fähigkeiten, Operationen über ein 500 Kilometer messendes Gebiet zu koordinieren. Zu Beginn des Krieges scheiterten die russischen Streitkräfte nämlich kläglich an genau diesen Kämpfen an mehreren Fronten.

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Der ukrainische Herbst kann Vorstöße erschweren

Herbst und Winter setzen aber auch die Streitkräfte beider Seiten unter Zeitdruck. Wenn im Herbst die schwarze Erde der Ukraine matschig wird, sind Vorstöße mit Panzerverbänden und das derzeit im Donbass wichtige, schnelle Verlegen von Artillerie nicht mehr so einfach möglich. Auch diese Erfahrung musste die russische Armee schon im Frühjahr machen. Wenn eine der beiden Seiten noch etwas erreichen möchte, muss sie sich also wahrscheinlich beeilen.

Derzeit sieht es aber nicht so aus, als könnten die Verteidiger oder die Angreifer in absehbarer Zeit entscheidende Erfolge erzielen. Am Mittwoch teilte auch der ukrainische General Walerij Saluschnji mit, er gehe nicht davon aus, dass der Krieg in diesem Jahr beendet wird. Auch dazu, dass dieser Konflikt kein Ende zu kennen scheint, gibt es einen Text von Zhadan i Sobaki. In dem Lied "Diti" (Kinder) heißt: "Es bleibt von der Nacht der dunkle Himmel,/ Der Krieg geht weiter, die Kinder wachsen."

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