Die Zahl war eines der wichtigsten Argumente der EU-Gegner im Wahlkampf vor dem Referendum: 350 Millionen Pfund schicke Großbritannien nach Brüssel - und zwar jede Woche. Eine Wahnsinnssumme, zwar falsch, aber so plakativ, dass sie der frühere Bürgermeister von London und prominente EU-Gegner Boris Johnson auf einen Bus kleben ließ. Mit dem fuhren die Mitarbeiter der Brexit-Kampagne wochenlang quer durch Großbritannien.
"Lasst uns stattdessen unser Gesundheitswesen finanzieren", stand auf dem Bus; und in Werbevideos und Broschüren propagierten die Brexit-Fürsprecher außerdem: Mit dem Geld für die EU könne man "jede Woche ein neues Krankenhaus eröffnen".
Die Botschaft kam an: Knapp 52 Prozent der Briten haben am Donnerstag für den Austritt aus der EU gestimmt. Mehr als 58 Prozent waren es einer Yougov-Umfrage gar bei den über 65-Jährigen - also bei jenen, die sich altersbedingt besonders für die Sanierung des chronisch klammen staatlichen Gesundheitsfonds interessieren dürften, in dem alle Bürger des Vereinigten Königreichs automatisch krankenversichert sind.
Ukip-Führer zu Brexit:Farage: "So gut wie keiner von Ihnen hat je richtig gearbeitet"
Der Brexit-Befürworter frohlockt im Europäischen Parlament, er provoziert - und droht ein bisschen in Richtung Deutschland.
Ihre Hoffnung auf mehr Krankenhäuser und einen besser ausgestatteten National Health Service (NHS) bekommt allerdings schon am Freitagmorgen einen kräftigen Dämpfer. Die Ergebnisse des Referendums sind noch nicht komplett ausgezählt, da tritt Nigel Farage im Frühstücksfernsehen "Good Morning Britain" auf. Farage ist Vorsitzender der EU-feindlichen UK Independence Party (Ukip) und neben Johnson einer der prominentesten Köpfe der Brexit-Bewegung. Er gehört der offiziellen Leave-Kampagne mit dem umstrittenen roten Bus zwar nicht an, unterstützt sie aber.
Die Moderatorin fragt Farage, ob er garantieren könne, dass das Geld in den NHS fließe? "No, I can't", sagt der Ukip-Mann. Er selbst habe das nie gesagt und die Behauptung sei "einer der Fehler, den die Brexit-Kampagne gemacht hat". Keine befriedigende Antwort, findet die Moderatorin und setzt empört nach: "Das war eines der Kernargumente Ihrer Kampagne. Und jetzt können Sie es nicht garantieren?" Farage gerät ins Stottern: Es sei genug Geld da für den NHS, für Schulen, für andere Dinge. Aber nein, garantieren könne er das nicht.
Von der Botschaft auf dem Kampagnenbus ist damit nicht mehr viel übrig - die Summe von 350 Millionen Pfund war ohnehin recht frei erfunden, wie Faktenchecker schon lange vor der Abstimmung ausgerechnet hatten: Die Zahl lässt die Subventionen außer Acht, die Großbritannien von der EU bekommt, und ignoriert auch die Rabatte, die Brüssel den Briten gewährt.
Die Aufschrift auf dem Kampagnenbus hätte also wahrheitsgemäß lauten müssen, wie es der britische TV-Comedian John Oliver in seiner Sendung vorschlug: "Wir schicken der EU eigentlich 190 Millionen Pfund pro Woche, was angesichts unseres Bruttoinlandsprodukts finanzpolitisch angemessen ist. Wenn man sich die Vorteile ansieht, die wir im Gegenzug bekommen ... oh Mist, auf dem Bus ist kein Platz mehr!"