Um 13.00 Uhr begann am Dienstag in Washington der zweite Impeachment-Prozess gegen Donald Trump. Nur gut vier Stunden später war das Verfahren schon wieder vorbei. Zwar nicht in formeller Hinsicht - der US-Senat wird voraussichtlich noch bis Anfang kommender Woche die Frage erörtern, ob der frühere Präsident seine Anhänger am 6. Januar zum Sturm auf das Kapitol aufgehetzt und sich damit der "Aufstachelung zum Aufstand" schuldig gemacht hat, wie die Anklage es ihm vorwirft.
In praktischer Hinsicht freilich wurde schon am Dienstagnachmittag klar, wie das zweite Amtsenthebungsverfahren gegen Trump enden dürfte: ohne Schuldspruch. 100 Männer und Frauen sitzen im Senat. Um Trump zu verurteilen wäre laut der amerikanischen Verfassung eine Zweidrittelmehrheit von 67 Stimmen nötig. Die Demokraten halten aber nur 50 Sitze, sie bräuchten mithin die Unterstützung von mindestens 17 Republikanerinnen und Republikanern.
US-Politik:Die Köpfe im Trump-Impeachment
Das Amtsenthebungsverfahren gegen Trump beginnt. Den Vorsitz führt ein Batman-Fan, dem "Der Joker" einst ein Messer an den Hals setzte. Die Verteidigung leiten zwei Anwälte, die als skrupellos gelten.
Am Dienstag fanden sich jedoch lediglich sechs Republikaner, die zusammen mit den Demokraten dafür votierten, dass der Prozess gegen Trump verfassungsgemäß ist und fortgesetzt werden soll. Das war ein republikanischer Senator mehr als noch vor wenigen Tagen, als nur fünf Angehörige der Partei gegen eine sofortige Einstellung des Verfahrens gestimmt hatten. Aber ob fünf oder sechs ist in diesem Fall unerheblich - 17 müssten es sein, und dass in den kommenden Tagen noch elf Republikaner ihre Meinung ändern und sich gegen Trump stellen, gilt als so gut wie ausgeschlossen. Insofern muss man weder ein politisches noch ein mathematisches Genie sein, um vorherzusagen, dass Donald Trump auch das zweite Impeachment überstehen wird.
Trotzdem wird das Verfahren stattfinden. Ob es dazu beitragen wird, die tragischen Ereignisse des 6. Januar tatsächlich aufzuklären, ob es Trumps Mitschuld an diesen Ereignissen belegt oder die Meinung einer nennenswerten Anzahl von Amerikanern über Trump und dieses Ereignis ändern wird, ist allerdings offen. Am Dienstag jedenfalls, dem ersten Prozesstag, konnte man sehen, dass Anklage und Verteidigung auf sehr effektive Weise aneinander vorbeiargumentieren wollen.
Zunächst die Anklage: Für die Demokraten ist die Sache klar. Donald Trump, so sehen sie es, hat seinen Anhängern nach der Wahlniederlage am 3. November erst wochenlang vorgelogen, er sei um den Sieg betrogen worden; dann hat er sie für den 6. Januar, den Tag, an dem der Kongress den Sieg von Joe Biden offiziell bestätigen sollte, zu einer Großdemonstration nach Washington gerufen; und bei dieser Demo hat er seine Gefolgsleute dann in einer Rede aufgefordert, zum Kapitol zu marschieren und für ihn "zu kämpfen".
Damit die Amerikaner nicht vergessen, was im und um das Kapitol an jenem Nachmittag passiert ist, zeigte der Wortführer der Anklage, der demokratische Abgeordnete Jamie Raskin, am Dienstag im Senat ein Video - 13 Minuten Geschrei, Hass, Wut und Gewalt von Leuten, die Trump-Mützen trugen und Trump-Fahnen schwenkten und "Trump ist unser Boss" brüllten. Dazwischen geschnitten waren Szenen von Trumps Rede bei der Demo, in der der Präsident von Wahlbetrug und dem geraubten Sieg schwafelte und davon, dass alle Patrioten nun "kämpfen müssen wie die Hölle". Man sieht in dem Video Abgeordnete und Senatoren, die ihre demokratische Pflicht tun, das Ergebnis einer fairen Wahl zu bestätigen. Man sieht einen Präsidenten, der dagegen schimpft und wettert. Und man sieht einen entfesselten Mob, der mit Mord in den Augen durchs Kapitol tobt.
Die Botschaft, die in dem Video steckte, was unmissverständlich, sie war emotional und wirkungsvoll: Trump ist direkt und persönlich verantwortlich für die Gewalt am 6. Januar und für den Tod von mindestens sieben Menschen, die an jenem Tag und in den Tagen danach ums Leben gekommen sind. Dafür, so führte Raskin aus, müsse er zur Rechenschaft gezogen werden, selbst wenn er sein Amt als Präsident bereits verlassen habe.
"Senatoren, das darf nicht unsere Zukunft sein", beschwor Raskin die Parlamentarier. "Das darf nicht die Zukunft Amerikas sein. Wir dürfen nicht zulassen, dass ein Präsident einen gewalttätigen Mob gegen unsere Regierung und unsere Institutionen mobilisiert und aufstachelt, weil er den Willen des Volkes nicht akzeptieren will."
Nach zwei Stunden war dann die Verteidigung an der Reihe. Für Trump sprachen zwei Anwälte, Bruce Castor und David Schoen, die in der Vergangenheit, um es vorsichtig zu formulieren, nicht als besonders glanzvolle Juristen in Erscheinung getreten sind und auch am Dienstag nicht immer auf der Höhe waren. Sie beschäftigten sich mit dem 6. Januar und Trumps Rede nur am Rande.
Natürlich sei die Gewalt an jenem Tag vollkommen unentschuldbar gewesen und müsse scharf verurteilt werden, sagte Castor. Aber Trump dafür verantwortlich zu machen, sei falsch. Der Präsident habe in seiner Rede nur von seinem in der Verfassung verbrieften Recht Gebrauch gemacht, frei und "robust" seine Meinung zu sagen. Donald Trump - ein bedauernswertes Opfer von Zensur und "cancel culture".
Danach verschoben Trumps Anwälte den Schwerpunkt ihrer Verteidigung auf formale Fragen. Die Verfassung, so argumentierten sie, erlaube lediglich ein Amtsenthebungsverfahren gegen einen amtierenden Präsidenten. Trump aber sei seit dem 20. Januar nicht mehr im Amt, sondern ein "privater Bürger", über den ein Parlament nicht zu urteilen habe. Insofern müsse die Impeachment-Anklage mangels Zuständigkeit des Kongresses abgewiesen werden.
Zudem habe das Repräsentantenhaus, als es die Anklageschrift geschrieben und darüber abgestimmt habe, alle Regeln eines fairen Prozesses gebrochen, sagte Schoen. Weder habe es ermittelt, noch Belastungszeugen vernommen, noch Trump die Möglichkeit gegeben, Entlastungszeugen vorzuladen oder auch durch einen Anwalt vertreten zu sein. Unterm Strich, so das Fazit der Verteidiger, sei der ganze Prozess eine verfassungswidrige Veranstaltung, eine rein durch Rachlust motivierte politische Show. In Wahrheit wollten die Demokraten Trump nur verurteilt sehen, damit er nicht wieder als Kandidat für ein Amt antretend dürfe. "Sie haben Angst vor der Demokratie", warf Castor den Demokraten vor.
Zumindest ein Teil dieser Argumente ist nachvollziehbar. Es gibt durchaus renommierte Verfassungsrechtler, die bezweifeln, dass der Kongress einem aus dem Amt geschiedenen Präsidenten noch ein Impeachment anhängen darf. Es gibt aber auch Rechtsprofessoren, die genau die gegenteilige Ansicht vertreten - zwei Juristen, drei Meinungen, so ist das zuweilen.
Für Trumps Prozess ist dieser Streit ironischerweise zugleich unerheblich und entscheidend. Unerheblich ist die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit deshalb, weil am Ende das Repräsentantenhaus und der Senat - zwei politische Gremien - über die Anklage entscheiden und das Urteil fällen. Politiker, nicht Juristen, halten Trumps politische Zukunft in ihren Händen.
Das aber wiederum gibt der Frage, ob das Impeachment nun rechtskonform oder rechtswidrig ist, eine äußerst wichtige Bedeutung. Denn hinter dem Argument, dass Trump aus verfassungsrechtlichen Gründen überhaupt nicht mehr angeklagt werden dürfe, können sich sehr viele republikanische Senatorinnen und Senatoren verstecken, die sich nicht trauen, ein inhaltliches Urteil über die Taten und Worte des immer noch einflussreichen Ex-Präsidenten am 6. Januar zu fällen. Formale Argumente sind immer eine beliebte Ausrede, um sich um eine heikle Entscheidung in der Sache zu drücken.
Wie das in der Praxis funktioniert, konnte man sich am Dienstag ansehen. 44 Republikaner stimmten gegen die Fortführung des Prozesses - angeblich wegen verfassungsrechtlicher Bedenken. Nur sechs Republikaner votierten mit den Demokraten dafür, dass das Verfahren fortgesetzt wird. Um Trump zu verurteilen, wird das nicht reichen.