Der Strafparagraf 103, der die Ehre von ausländischen Staatsoberhäuptern besonders schützt und der besonders markant straft, ist antiquiert, er ist überflüssig und albern; in ihm werden die Reste der alten Majestätsbeleidigung konserviert. Was soll man damit machen? Man soll diesen Paragrafen, der im Jargon "Schah-Paragraf" heißt, abschaffen. Denn warum soll die Beleidigung eines Staatsmanns, ob es nun um Erdoğan oder Obama geht, anders geahndet werden als die Beleidigung anderer Menschen? Diese Strafvorschrift ist ein Überrest aus obrigkeitsstaatlichen und monarchischen Zeiten. Die Strafvorschrift stammt aus dem 19. Jahrhundert; und da gehört sie auch hin.
Aber solange dieser seltsame Strafparagraf noch existiert, muss man mit ihm umgehen; umgehen muss man solange auch mit der im Gesetz formulierten Prozessvoraussetzung, wonach die Bundesregierung "die Ermächtigung zur Strafverfolgung" erteilen muss. Auch das zeigt, dass dieser Paragraf viel mit politischem Opportunismus zu tun hat. Das ist nicht gut. Die Bundesregierung sollte daher nicht mehr lang herumeiern; sie sollte schnell sagen, dass sie den Fall der Justiz überlässt - ohne sich noch lang dazu zu äußern, ohne vorzuverurteilen, ohne das Gedicht rechtlich zu qualifizieren. Die Justiz ist in einem Rechtsstaat dafür zuständig, sie muss entscheiden, was strafbar ist und was nicht.
Gerichte haben schon kompliziertere und heiklere Dinge geklärt
Wenn der seltsame Paragraf 103 eines Tages abgeschafft sein wird, dann gilt für die Präsidenten und Staatsoberhäupter der Ehrenschutz, der für jeden anderen auch gilt: Beleidigung, Verleumdung und üble Nachrede werden bestraft - es sei denn der vermeintliche Beleidiger kann sich auf Meinungs- oder Kunstfreiheit berufen oder auf die "Wahrnehmung berechtigter Interessen". Und das prüft wer? Die Justiz natürlich.
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Nun gibt es in Deutschland genügend Leute, die angesichts der halbdiktatorischen Politik des türkischen Präsidenten meinen, Erdoğan habe es verdient, beleidigt zu werden. Das ist ein berechtigter, aber kein sehr juristischer Gedanke. Für die Beurteilung der Rechtslage und für die Prüfung der Frage, ob eine Straftat vorliegt oder nicht, sind in einem Rechtsstaat nicht ein Präsident, nicht eine Kanzlerin und nicht die vereinigten Feuilletons zuständig, sondern, wie gesagt, die unabhängigen Richter. Die Staatsanwaltschaften und die Gerichte sind explizit dafür da, solche Fragen zu klären. Sie haben schon kompliziertere und heiklere Dinge geklärt als den Fall Böhmermann. Und sie stehen, anders als die Kanzlerin, nicht in politischen Abhängigkeiten.
Zu erwarten ist eine neue Vermessung der alten Frage: Was darf Satire?
Also bitte: Die Regierung möge die Strafverfolger ermächtigen, zu tun, was deren Sache ist - die Sache zu prüfen. Das ist keine Vorverurteilung; das ist in einem Rechtsstaat der Gang der Dinge. Zu erwarten ist eine neue Vermessung der alten Frage: Was darf Satire? Das ist kein Anlass für Wehleidigkeit, sondern zur Vorfreude - auf wunderbare juristische und gesellschaftliche Debatten und auf eine Befestigung der Meinungsfreiheit und der Kunstfreiheit.
Die Meinungsfreiheit und die Kunstfreiheit sind ebenso große wie barmherzige Grundrechte: Die Meinungsfreiheit deckt auch Gedanken, die viele als Krampf oder Schwachsinn qualifizieren mögen; und die Kunstfreiheit deckt auch Produkte, die viele für unsäglich halten mögen. Wären diese Freiheiten von einem Qualitätsurteil abhängig, wären sie nichts mehr wert. Und es ist wohl so, dass im politischen Meinungskampf, bei massiven Auseinandersetzungen, einiges erlaubt ist; und es ist auch so, dass auf einen groben Klotz auch ein grober Keil gesetzt werden darf.
Einer Justiz, deren oberstes Organ, das Bundesverfassungsgericht, vor mehr als zwanzig Jahren klipp und klar gesagt hat, dass der alte Tucholsky-Satz "Soldaten sind Mörder" keine Beleidigung ist - einer solchen Justiz darf man schon trauen.