Türkei:Erdoğans Strategie funktioniert nicht mehr

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Die Türkei ist wirtschaftlich in einer prekären Lage, das Verhältnis zu den USA angespannt. Für Hilfe aus Deutschland muss es Ankara mit seinem neuerlichen Interesse an Europa ernst meinen.

Kommentar von Christiane Schlötzer, Istanbul

Bevor Heiko Maas Außenminister wurde, war er fünf Jahre lang Bundesjustizminister, das gibt ihm in Rechtsstaatsfragen zusätzliche Glaubwürdigkeit. Wäre Maas nicht am Mittwoch, sondern schon zwei Tage zuvor nach Ankara gereist, zur prunkvollen Eröffnung des neuen Justizjahres, dann hätte er sich vermutlich während der Zeremonie die Augen gerieben. Die fand nicht in einem Gericht statt, sondern im Präsidentenpalast von Recep Tayyip Erdoğan, und einer der höchsten Richter des Landes zitierte islamische Alltagsweisheiten. Die Türkei hat sich weit von europäischen Rechtsstaatsprinzipien entfernt, Richter und Staatsanwälte dienen der Macht, sie kontrollieren sie nicht mehr. Gewaltenteilung existiert nicht einmal mehr auf dem Papier. Und Erdoğan wird den Zugriff nicht lockern, zu groß ist die Angst vor Machtverlust.

Mit Nettigkeiten ist in Ankara daher wenig auszurichten, eher schon mit einer schonungslosen Analyse der Lage. Die Türkei steckt in einer tiefen Wirtschaftskrise; die Gründe für den jähen Sturz der Lira sind nicht allein hausgemacht. Aber Erdoğans Strategie, sich immer neue Feinde in der Welt zu schaffen, um das Volk zu Hause zusammenzuhalten, hat den Niedergang beschleunigt. Nun funktioniert diese einfache Formel nicht mehr, die Türkei braucht dringend Hilfe, nicht nur aus Deutschland.

Ein Klima der Angst ist kein gutes Geschäftsklima

Es ist richtig, dass Maas jetzt in Ankara das Gespräch sucht, denn die Krise, in der die Türkei steckt, ist - so banal das klingt - auch eine Chance. Weil sich Deutsche und Türken bewusst werden, wie eng ihre Interessen verknüpft sind: Türkische Firmen sind auch bei deutschen Banken verschuldet; Inflation und Geldentwertung treffen auch 7000 deutsche Unternehmen, die in der Türkei aktiv sind. Ankara braucht dringend neue Investitionen, aber das wichtigste Kapital ist gegenseitiges Vertrauen - womit man wieder beim Zustand von Justiz und Demokratie ist. Ein Klima der Angst ist kein gutes Geschäftsklima. Deutsche Staatsbürger ohne Anklage zu inhaftieren, passt nicht zu dem Wunsch nach deutscher Unterstützung, zum Beispiel im Handelskrieg mit den USA.

In diesem Konflikt mit Washington hat sich Erdoğan an Europa erinnert, erstmals seit Langem spricht er von dem Wunsch, sich der EU anzunähern. Berlin kann das nutzen, um wieder eine Verbesserung der deutsch-türkischen Beziehungen zu erreichen, die beiden Seiten nützt. Dazu gehört auch, sich türkische Sorgen anzuhören. Zum Beispiel wegen einer neuen Flüchtlingswelle aus Syrien, der dschihadistische Kämpfer folgen könnten, wenn das Regime in Damaskus nun zum letzten Schlag in Idlib ausholt. Wobei es Deutschland gewiss lieber wäre, die Flüchtlinge kämen nur bis in den Osten der Türkei und nicht weiter.

Die Türkei ist derzeit aus vielen Gründen in einer prekären Lage, ihr Verhältnis zu den USA ist äußerst angespannt, das mit Russland bleibt kompliziert, die Beziehungen zur EU sind ungeklärt. Eine deutsch-türkische Wiederannäherung wäre in diesem größeren Kontext ein positiver Schritt, ein Signal, dass Europa die Türkei nicht vergessen hat.

In drei Wochen kommt Erdoğan nach Berlin. Bis dahin sollte Ankara zeigen, ob das so plötzlich wiedererwachte türkische Interesse an Europa ernst gemeint ist. Häftlinge zu entlassen, nicht nur deutsche, wäre ein Anfang.

© SZ vom 06.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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