Die Tschechen haben die Kurve gekriegt, der Anstand hat gewonnen. Der umstrittene Premier Andrej Babiš, ständig im Konflikt mit dem Gesetz, konnte die Mehrheit nicht länger blenden. Statt für einen schwerreichen Unternehmer, der die Politik in den Dienst seiner wirtschaftlichen Interessen stellte und einen unklaren, populistischen Kurs fuhr, hat sich die deutliche Mehrheit der Wähler für politische Parteien entschieden, aus deren Sicht Babiš vor einen Richter und nicht ins Amt des Ministerpräsidenten gehört.
Die Parlamentswahl hat gezeigt, was möglich ist, wenn diejenigen zusammenhalten, denen Demokratie und Rechtsstaat am Herzen liegen. In der Parlamentswahl hat die Koalition von Andrej Babiš jetzt deutlich verloren, und es ist zu hoffen, dass er nun sehr bald von der politischen Bildfläche verschwindet. Nebenbei haben die Wähler auch noch die kommunistische Partei abgestraft, welche die Minderheitsregierung von Babiš toleriert hatte. Die Partei hatte sich nie reformiert oder von den alten Idealen gelöst - mehr als 30 Jahre nach dem Ende des sozialistischen Regimes hat sie nun endgültig die Macht verloren.
Die Opposition hat sich durchgesetzt - mit Kompromissfähigkeit und einem gemeinsamen Bekenntnis zum Rechtsstaat. Dazu war Idealismus nötig und bei dem ein oder anderen auch etwas Bescheidenheit, gar Selbstlosigkeit. Ein breites Parteienbündnis von links bis tief-konservativ hat sich zusammen in den Dienst einer Sache gestellt: Andrej Babiš, gegen den in verschiedenen Sachen strafrechtlich ermittelt wird und der als ehemaliger Stasi-Spitzel gilt, aus dem Amt zu werfen.
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Mit hanebüchenen Behauptungen reagiert Tschechiens Premier Babiš auf den Verdacht der Geldwäsche - wenige Tage vor der Parlamentswahl.
Dass dies nun gelungen ist, ist auch ein überragender Sieg der Zivilgesellschaft. Aus einer Aktion von ursprünglich drei Studenten war eine Bewegung entstanden, die das gesamte Land erfasste. Die Organisation "Eine Million Augenblicke für die Demokratie" brachte Hunderttausende zu den größten Kundgebungen seit 1989 zusammen. Sie beließen es aber nicht beim Demonstrieren, sie verschrieben sich der Debatte und der politischen Aufklärung. Im ganzen Land gründeten sich Diskussionsforen, mit Begeisterung schlossen sich prominente Dissidenten aus der Zeit des sozialistischen Regimes an, Stadt und Land, Rentner und Auszubildende kamen zusammen.
Das Wahlergebnis ist ein Signal der Hoffnung für die Opposition in den Nachbarländern
Vor der Wahl führten die Aktivisten auf den Straßen Tausende Gespräche - um die Errungenschaften der Revolution von 1989 zu verteidigen. Das erklärte Vorbild: Václav Havel, dessen Konterfei und dessen Zitate immer wieder auf T-Shirts und Plakaten zu sehen waren. Als der Schriftsteller und ehemalige Präsident starb, waren die Gründer der Organisation noch Teenager. Zu ihren Forderungen hatte genau das gehört, was die Oppositionsparteien dann taten: Kooperieren, gemeinsam antreten, statt sich in Lagerkämpfen zu verrennen und sich vom Premier und seiner populistischen Partei weiter spalten zu lassen.
"Wir wollen nicht den Weg Ungarns und Polens gehen", das war ein erklärtes Ziel der Aktivisten. Tatsächlich wäre Tschechien davon noch weit entfernt gewesen, dennoch wurde eine gefährliche Entwicklung früh genug beendet. Ein Signal der Hoffnung ist es allemal für die Opposition in den Nachbarländern. Im Dezember jährt sich der Todestag Havels zum zehnten Mal. Bis dahin hat das Land sehr wahrscheinlich eine neue Regierung. Ob sie in Havels Sinne wäre, kann nicht mehr geklärt werden. Entstanden ist sie in seinem Geiste und aus seinem Vermächtnis.