Transitstreit:Was will Tirol mit den Fahrverboten erreichen?

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Warum das österreichische Bundesland die Passage zum Brenner erschwert hat - und wie sich das für den anstehen Urlaubsverkehr über die Alpen auswirken dürfte. Die wichtigsten Antworten.

Von Leila Al-Serori

Der Streit über die enorme Verkehrsbelastung auf den Transitstrecken in Österreich, vor allem auf der Brennerroute, schwelt seit Langem. Eine neue Dimension bekam er durch die Einführung von Fahrverboten und Straßensperren in Tirol für die vorwiegend deutschen Durchreisenden. Von diesen wollen die Tiroler trotz des am Donnerstag bei einem Krisentreffen mit Berlin vereinbarten Maßnahmenplans auch weiterhin nicht abrücken. Was beklagen die Österreicher? Was haben sie konkret vor, nicht zuletzt am Wochenende, wenn in Bayern und Baden-Württemberg die Schulferien beginnen? Wie reagieren die Deutschen? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Warum hat die Tiroler Landesregierung mitten in der Ferienzeit Fahrverbote eingeführt?

An vielen Wochenenden geht in Tirol auf der Inntalautobahn Richtung Süden streckenweise nichts mehr. Es ist die Route von Nord nach Süd, von Skandinavien zum Mittelmeer. Der Transitverkehr sei teilweise so enorm, dass selbst auf Ausweichrouten über Landstraßen und Dorfeinfahrten alles stillstehe, so die Behörden. Das sei eine zu große Belastung für die dortigen Bewohner. Für Stau-Umfahrer hat Tirol deshalb Fahrverbote eingeführt - wer nach Italien fährt, darf vielerorts die Autobahn über kleine Landesstraßen nicht mehr verlassen. Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) sieht das als "Notwehr". Mit den Fahrverboten sei die Versorgungs- und Verkehrssicherheit wiederhergestellt.

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Wann gelten diese Fahrverbote und wo?

Durchreisende dürfen samstags und sonntags in der Regel zwischen 7 und 19 Uhr die Autobahnen in den Regionen Innsbruck und Kufstein sowie die Fernpassstraße bei Reutte über kleine Nebenstraßen nicht mehr verlassen. Ortschaften in Autobahnnähe sollen somit vom Transitverkehr und dem damit verbundenen Lärm und Schadstoffausstoß entlastet werden. Dies gilt bis zum Ferienende im September. Wer abfahren möchte, um beispielsweise in einem Gasthaus oder Hotel einzukehren, darf dies weiterhin.

Was ist eigentlich die Blockabfertigung genau?

Die zweite Maßnahme der Tiroler betrifft den Güterverkehr. Bei der Blockabfertigung werden Lastwagen nur in bestimmten Kontingenten über die Grenze gelassen, meist zwischen 250 und 300 Lkw. Damit wollen die österreichischen Behörden Staus auf der Brennerautobahn verhindern. Der Preis dafür sind allerdings Staus auf deutscher Seite. Vom 1. August an dürfen Lkw mit mehr als zwölf Metern Länge auch nicht mehr über Landesstraßen zu Tankstellen fahren.

Was will Tirol mit den Maßnahmen erreichen?

Zum einen, dass der Verkehr auf Tiroler Seite merklich zurückgeht und die Bevölkerung entlastet wird. Zum anderen sollte damit wohl auch der Druck auf Deutschland erhöht werden, eine funktionierende grenzübergreifende Verkehrspolitik mit aufzubauen. Der Tiroler Landeshauptmann Platter sagte der SZ über sein Vorpreschen: "Die deutschen Kollegen verstehen offenbar nur diese Sprache." Da Deutschland viel zu lange nicht auf Tirols Bitten reagiert habe, müsse es den Alleingang der Nachbarn nun akzeptieren. Platter fordert seit Langem eine Korridormaut, um die Lkw-Fahrten über die gesamte Brennerstrecke von München bis Verona teurer zu machen. Der Verkehr rolle nur über den Brenner, weil er die billigste Nord-Süd-Verbindung über die Alpen sei, sagt Platter. Beim Verkehrsgipfel in Berlin einigte man sich nun zumindest, bei der EU-Kommission auf eine entsprechende Erhöhung zu dringen. Vom 1. Januar 2020 an soll es zudem ein grenzüberschreitendes intelligentes Lkw-Leitsystem zwischen dem Brenner und München geben.

Wie sieht es mit der Lösung über die Schiene aus?

Bei dem Krisentreffen in Berlin versprachen sich beide Seiten gegenseitig treuherzig eine stärkere Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene. Doch auch da sind die Österreicher sauer auf die Deutschen. Denn Österreich und Italien bauen mithilfe der EU schon seit 2008 am insgesamt 64 Kilometer langen Brennerbasistunnel. Er soll 2028 in Betrieb gehen. Auf deutscher Seite hat man sich hingegen noch nicht einmal auf eine mögliche Trasse für die nötigen Zulaufgleise geeinigt, was den Zeitplan in Gefahr bringt und von Tirol immer wieder kritisiert wird.

Was wollen eigentlich die Deutschen, der Bundesverkehrsminister und Bayerns Staatsregierung?

Aus bayerischer Sicht schon lange höchste Priorität hätte ein Ende der Lkw-Blockabfertigungen am Grenzübergang Kiefersfelden. Diese hatte Tirol 2017 an besonders verkehrsreichen Tagen eingeführt, um die Belastung auf der Brennerroute auf ein erträgliches Maß zu senken. Die Folge sind Lkw-Staus in Deutschland. Ein Dauerärgernis im bayerischen Grenzland. Dazu ist nun der Zoff um die Wochenendfahrverbote für Pkw gekommen. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer bezeichnet diese als "diskriminierend" und hat gemeinsam mit Italien angekündigt, zu klagen.

Wie positioniert sich die EU?

Erst Anfang des Monats hatte die EU-Kommission den Deutschen Rückendeckung gegeben. In einem Brief schrieb Verkehrskommissarin Violeta Bulc, sie habe Österreich wegen der Blockabfertigung abgemahnt: "Wir haben die Behörden in Österreich darüber informiert, dass wir die häufige Anwendung der Maßnahme missbilligen." Tatsächlich hatten die Tiroler Behörden 2018 an 26 Tagen Blockabfertigung angeordnet, in diesem Jahr ist sie an 32 Tagen geplant, dazu kommen noch kurzfristig anberaumte Sperrungen. Der Brief enthielt allerdings auch eine Zahl, die etwas Verständnis für die genervten Österreicher wecken könnte. Demnach benutzten den sogenannten Brennerkorridor im vergangenen Jahr etwa 2,5 Millionen schwere Lkw - eine Zunahme gegenüber dem Vorjahr um satte 6,4 Prozent.

Und wie steht die EU zu den Fahrverboten an Stauwochenenden?

Eine abschließende Bewertung hat Brüssel noch nicht getroffen. Verkehrskommissarin Bulc kündigte allerdings "in Kürze eine Stellungnahme zur Vereinbarkeit mit EU-Recht" an.

Droht der Verkehrskollaps?

Bisher haben die Fahrverbote keine gravierenden Auswirkungen gehabt. Wegen der Blockabfertigungen gab es aber an Pfingsten 44 Kilometer Lkw-Rückstau in Bayern. Dem ADAC Südbayern zufolge könnte es an diesem Wochenende schlimmer werden, wenn die Ferien in Bayern und Baden-Württemberg beginnen. Zudem könnte der Rückreiseverkehr schleppend verlaufen - das allerdings vor allem wegen der deutschen Grenzkontrollen. Zuletzt mussten Autofahrer laut ADAC an den Grenzübergängen der Autobahnen bis zu eine Stunde warten.

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© SZ vom 26.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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