Terrorismus:Der Bekannte, dem er einen Anschlag zutraut

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Geplanter Anschlag auf die Eislaufbahn vor dem Karlsruher Schloss: Wer sagt die Wahrheit, Dasbar W. oder der V-Mann, den er beschuldigt? (Foto: Illustration: Stefan Dimitrov)

Der mutmaßliche Terrorist Dasbar W. geht zur Polizei, um vor einem Bekannten und dessen Terrorplänen zu warnen. Wollte er nur einen V-Mann diskreditieren - oder steckt mehr dahinter?

Von Georg Mascolo und Ronen Steinke, Berlin

Der junge Mann, der am 27. November am Karlsruher Hauptbahnhof die Wache der Bundespolizei betrat, wirkte etwas wirr. Er wolle eine Strafanzeige erstatten, sagte er. Zu der Polizistin war er freundlich, er bemühte sich, klar und verständlich zu sprechen. Andererseits hatte er die Adresszeile seines Personalausweises abgeklebt. Es gebe da einen Bekannten von ihm, einen etwa 50-jährigen Türken, dem er einen Terroranschlag zutraue.

Sofort wurde der junge Mann zur Kriminalpolizei gefahren, und dort begann der 29 Jahre alte Deutsche kurdischer Herkunft, der sich als Dasbar W. auswies, zu erzählen. Von den radikalen Sprüchen und düsteren Andeutungen, die sein türkischer Bekannter seit einiger Zeit mache. Von den Geschäften, die er mache: Schreckschusswaffen umbauen zu scharfen Waffen. Zwar sei von genauen Anschlagszielen nie die Rede. Aber womöglich habe der Türke es auf den Karlsruher Weihnachtsmarkt abgesehen.

Die Sicherheitsbehörden waren alarmiert - und vier Wochen später ist in Karlsruhe nun tatsächlich ein Mann wegen eines mutmaßlichen Anschlagsplans auf Menschen in der Nähe des Weihnachtsmarkts verhaftet worden, angeblich war die Eislaufbahn am Karlsruher Schloss sein Ziel. Aber es ist nicht der Türke, von dem Dasbar W. gesprochen hat. Sondern es ist Dasbar W. selbst, der junge Mann, der die Anzeige erstattet hat. Er sitzt seit vergangenem Donnerstag unter Terrorverdacht in Untersuchungshaft.

Seinen türkischen Bekannten, vor dem er so eindringlich gewarnt hatte, kannten die Staatsschützer im Landeskriminalamt (LKA) Baden-Württemberg nach Recherchen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR schon. Er arbeitet für sie, als sogenannter V-Mann, als Informant, der ihnen aus der Mitte der islamistischen Szene heraus Insider-Wissen zuträgt. Wochenlang ist dieser V-Mann auf den 29-jährigen Dasbar W. angesetzt gewesen.

Es ist die Geschichte einer seltsamen Männerfreundschaft. Der V-Mann hat die Beziehung einmal so beschrieben: "Wir denken beide voneinander, dass wir radikale Islamisten sind." Gleichzeitig sprachen die beiden Männer offenbar hinter dem Rücken des jeweils anderen mit der Polizei.

Kennengelernt hatten sie sich in Karlsruhe bei einem Lehrgang für Gabelstapler-Fahrer. Sie waren die einzigen Muslime dort. Angeblich machte jemand abfällige Sprüche über den Islam, und die beiden hielten zusammen. Gemeinsam gingen sie Kuchen essen, saßen bei Bäckerei-Filialen in Karlsruhe draußen in der Sonne. Einmal gab es Streit mit einer Kellnerin, wegen Gelatine im Kuchen. Die wird aus Schwein gemacht, ist für gläubige Muslime also haram, unrein.

Und nun? Vier Tage vor Heiligabend haben sich die Ermittler entschieden, einem der beiden Männer Glauben zu schenken, dass sein Kumpan ein Terrorist sei. Das ist der Hintergrund, als am vergangenen Donnerstag eine Wagenkolonne mit schwer bewaffneten Polizisten vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe vorfährt. Der am Tag zuvor festgenommene Dasbar W. soll dem Haftrichter vorgeführt werden. Die linke Stirnseite ist noch rot und geschwollen, ein Polizist eines Spezialeinsatzkommandos hat den 29-Jährigen mit einem Faustschlag auf offener Straße außer Gefecht gesetzt.

Manches ist sonderbar am Fall von Dasbar W.

Das wäre gar nicht notwendig gewesen, sagt dazu sein Anwalt Marc Jüdt. Noch wenige Stunden zuvor habe Dasbar W. ganz freiwillig bei der Polizei gesessen. Um seine Vorwürfe gegen den V-Mann zu untermauern, der angeblich versuche, ihn zu radikalisieren und in seltsame Geschäfte hineinzuziehen.

Vom weiteren Verlauf der Ermittlungen in der Strafsache 2 BJs 1123/17-9 wird nun abhängen, ob die deutschen Sicherheitsbehörden ihre Zählung der im Jahr 2017 verhinderten terroristischen Anschläge von drei auf vier erhöhen müssen. Aber noch, so scheinen es selbst die Ermittler zu sehen, ist es nicht so weit. Manches ist sonderbar am Fall von Dasbar W.

Mit der Festnahme durch Spezialkräfte kurz vor Weihnachten endete eine monatelange Ermittlung, die die Sicherheitsbehörden in Baden-Württemberg an die Grenze der Belastbarkeit brachte. Dasbar W.s Kommunikation wurde rund um die Uhr überwacht, selbst seine Wohnung wurde verwanzt, Observations-Trupps beschatteten ihn. Doch viel wird nun von der Glaubwürdigkeit des V-Mannes abhängen. Von ihm stammen alle wesentlichen Vorwürfe, die sich auf einen möglichen Anschlag in Karlsruhe beziehen.

Zwar ist Dasbar W. mindestens seit 2015 in der islamistischen Szene unterwegs gewesen, in Chatrooms verbreitete er Propaganda. Er setzte Links zu IS-Videos, darunter schrieb er: "IS ist stark und bleibt stark und wird stärker, bis zur Befreiung von Rom, so Gott will". Auch meldete der Bundesnachrichtendienst schon im vergangenen August, Dasbar W. habe bei einem Besuch seiner Familie im Nordirak Kontakt zu Mitgliedern des IS "gesucht" (also nicht unbedingt gefunden). Aber allein von dem V-Mann stammt die Geschichte, dass Dasbar W. im Irak einen Auftrag von einem hochrangigen IS-Mann erhalten haben soll, der schon zu Zeiten Saddam Husseins General war. Es gehe um einen Anschlag in Europa, so der V-Mann. Mal hieß es, Frankreich oder Belgien seien das Ziel. Dann, dass es Karlsruhe selbst sein könnte.

Unter vier Augen mit dem V-Mann soll Dasbar W. den Anschlag von Anis Amri auf den Berliner Weihnachtsmarkt im vergangenen Jahr gerühmt haben, er bekomme einen "Orgasmus", wenn er sich daran erinnere, soll er gesagt haben. Auf Deutsch, weil der Türke und der Kurde Dasbar W. keine andere gemeinsame Sprache hatten.

Die Ermittler vermuten, dass hier ein Islamist seinen vermeintlichen Gesinnungsbruder opfern wollte

Was die Ermittler zudem beunruhigte: Wenn er allein in seiner Wohnung im Karlsruher Stadtteil Rüppurr war, murmelte Dasbar W. manchmal Unzusammenhängendes, es ging da um Waffen und den Märtyrertod. Oder rappte er nur Propagandalieder nach? Einmal soll Dasbar W. davon gesprochen haben, den Christen ein "Geschenk" zu machen. Das Wort "Glaubenstag" sei gefallen. Das klang nach Weihnachten. Dazu schien zu passen, dass sich Dasbar W. am 17. Dezember auf Youtube eine Reportage des MDR ansah. Titel: "Wie sicher sind Antiterror-Betonsperren." Die Ermittler entschieden sich zur Festnahme.

Es kommt öfter vor, dass in einem Terror-Verdachtsfall die Beweislage schwierig ist. Die Sicherheitsbehörden müssen zur Abwehr von Gefahren handeln, auch wenn die Dinge noch unklar sind. Sie können nicht immer abwarten, bis alle Zweifel ausgeräumt sind. Erst recht nicht, wenn Menschenleben auf dem Spiel stehen. Dabei spielte auch eine Rolle, dass Dasbar W. als suizidgefährdet gilt. Er war deshalb schon einmal in Behandlung. Ein Grund mehr, vorsichtig zu sein. Aber dass ein angeblicher Terrorist selbst zur Polizei hingeht, um vor einem Terrorplan zu warnen, wie Dasbar W. am 27. November, das dürfte es noch nicht gegeben haben.

Bei seinen Gesprächen mit dem V-Mann war niemand dabei, Zeugen gibt es nicht, und auch beim LKA notierte man einmal vorsichtige Zweifel am eigenen Informanten. Schon einmal sei dieser dabei ertappt worden, wie er seinen Ansprechpartnern beim LKA nur die halbe Wahrheit erzählte. Aufgrund "fehlender objektiver Überprüfungsmöglichkeiten" der Aussagen des V-Mannes über Dasbar W. könne "keine abschließende Bewertung des Wahrheitsgehalts erfolgen", heißt es dort.

Die Geschichte stellt auch die Ermittler der Bundesanwaltschaft vor ein Rätsel. Trotzdem halten sie daran fest, dem V-Mann zu glauben. Die Strafanzeige gegen ihn sei nur ein taktisches Manöver von Dasbar W. gewesen, der schon spürte, wie sich die Schlinge um ihn zuzog. Womöglich habe W. seinen vermeintlichen Gesinnungsgenossen, den Türken, "sozusagen opfern" wollen, indem er ihn bei der Polizei anzeigte, "um sich selbst als rechtstreuen Bürger zu gerieren und zu versuchen, die Ermittlungsbehörden in die Irre zu führen". Vielleicht habe Dasbar W. sogar schon geahnt, dass sein türkischer Bekannter für die Polizei arbeitete. Dann habe er durch die Anzeige versuchen wollen, dessen Glaubwürdigkeit zu untergraben.

© SZ vom 27.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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