Szenen am Tag danach:Ein Angriff auf alles, was schön ist

Die Attentäter zerschossen den Feierabend der Franzosen, der Terror traf sie im Fußballstadion, in Restaurants, in der Konzerthalle. Am Tag danach trauen sich manche kaum, einen Kaffee trinken zu gehen.

Von Alex Rühle, Paris

Natürlich, sie können es alle nicht fassen. Wie auch, "so was hat es nie gegeben, das ist ein Angriff auf uns alle, auf unsere Kultur, auf alles, was schön ist". Alexandre Schrepfer steht an der Absperrung am Boulevard Voltaire. Der 40-jährige Elsässer war auch am Freitagabend hier, seine Freundin suchen, die hier war, als der Terror losging - halb Paris war hier. Die Gegend zwischen Oberkampf und Bastille ist eines der angesagtesten Ausgehviertel.

Als er sie gefunden hatte, rannten ihnen schon blutverschmierte Besucher aus der Konzerthalle Bataclan entgegen. Alexandre und seine Freunde flüchteten mit ihnen in Richtung Place de la Republique. "Da liefen uns panische Menschen entgegen und riefen, dort gebe es einen Anschlag. Wir so: Nein, nein, der Anschlag war auf der anderen Seite. Und die wieder: Nein, nein, ihr täuscht euch, der Anschlag ist vorm McDonald's. Da wussten wir alle noch nicht, wie groß das Ganze ist."

Ein japanischer Reporter stellt sich dazu und fragt, ob denn das hier ein irgendwie ganz besonderer Ort sei. "Eh bien, non, c'est ca, le problème", sagt Alexandre mit einem bitteren Lachen, "eben nicht, das ist ja das Problem".

Was er meint: Die Attentäter hatten es auf den ganz normalen Alltag abgesehen. Restaurants, Cafés, Fußball - sie haben einfach mitten in den Feierabend der Franzosen geschossen. "Bei Charlie Hebdo haben sie ganz gezielt eine Gruppe Journalisten angegriffen. Diesmal geht es gegen uns alle." Die ehemaligen Redaktionsräume der Satirezeitschrift liegen gerade mal 200 Meter von hier in einer Nebenstraße.

"Das hier ist immer noch nicht Beirut, okay?"

Man spürt bei allen, die an der Absperrung stehen, wie der Freitagabend noch in ihnen nachzittert. Paul Ghanem, ein feiner 60-jähriger Herr, der unten am Kiosk seinen Kaffee aus einem Plastikbecherchen trinkt, hörte um viertel nach neun die Schüsse. Er wohnt in der Rue de Crussol, einer Seitenstraße des Boulevard Voltaire, im vierten Stock. "Erst dachte ich, das sind Knallfrösche, weil Frankreich ein Tor geschossen hat. Aber dann sah ich das Blaulicht an meiner Zimmerdecke. Und die Schüsse hörten nicht auf, immer neue Salven. Als ich auf den Balkon trat, rannten unten die Leute und auf dem Boulevard gab es schon einen Blaulichtstau, all die Polizeiautos und Ambulanzen ..."

Ein Anruf unterbricht ihn, sein Nachbar will ihn treffen, ist aber anscheinend so verwirrt und aufgebracht, dass er Ghanems einfache Erklärungen nicht versteht. Ghanem: "Hör mal, atme zweimal tief und dann hör zu. Ich bin am Kiosk. Wie immer. Ich bestell dir einen Kaffee. Das hier ist immer noch nicht Beirut, okay? Wir trinken jetzt erst mal Kaffee." Das ist wahrscheinlich das Beste, was man momentan tun kann: Weitermachen. "Sie wollen doch, dass wir alles aufhören: Konzerte, Restaurantbesuche, Fußballspiele ... Also müssen wir Fußball spielen."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: