Terroranschläge in der belgischen Hauptstadt:Beobachtungen aus dem wunden Brüssel

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Belgische Polizistinnen patroullieren in der Brüsseler Innenstadt. (Foto: AFP)

Dass wir alle unser Leben ändern, das ist das Ziel des Terrors. Wie die Menschen in Brüssel den Tag der Anschläge erlebt haben.

Von Thomas Kirchner und Alexander Mühlauer, Brüssel

Der 59er Bus fuhr heute Morgen wie üblich durch Brüssel in Richtung Europaviertel. An der Station Flagey macht der Busfahrer plötzlich das Radio lauter. In den Nachrichten: Tote, Verletzte. Die Fahrgäste hören zu oder starren auf ihre Smartphones. In diesem Moment ist nur von Explosionen am Flughafen die Rede, weit draußen in Zaventem, östlich des Stadtrands. Die Menschen im Bus wissen nicht, dass sie in ein paar Minuten dort halten werden, wo die nächste Bombe gezündet wird: in Maelbeek. Dort hält auch die Metro, dort steigen all jene aus, die mit der U-Bahn ins Europaviertel kommen. Die Bombe zerreißt hier ein ganzes U-Bahn-Abteil, elf Menschen sterben, Dutzende werden verletzt.

Einen Steinwurf von dieser Explosion entfernt befindet sich das Machtzentrum der EU: die Gebäude der Europäischen Kommission, des Europäischen Rats und die Generaldirektionen. Ein Beamtenstadtteil, den der Durchschnittsbrüsseler gerne meidet.

Auf den Triumph folgt die Angst

Die Explosionen erschüttern die belgische Hauptstadt an diesem Morgen, an dem, wie der Premierminister sagt, "passiert ist, was wir befürchtet hatten". Sie kommen wenige Tage nach dem Triumphgefühl, das die Festnahme Salah Abdeslams, des letzten lebenden Teilnehmers an den Attentaten von Paris, auslöste.

Auf den Triumph folgt die Angst. Nun stellt sich die Lage so dar: In Brüssel und Umgebung sitzen noch immer Dutzende Dschihadisten, die zu allem bereit sind. Und man hat nicht den Eindruck, dass die Gegenseite auf Augenhöhe agiert.

Brüssel ist eine Art Paradies für Terroristen. Ihre Bekämpfung ist dort auch deshalb besonders schwierig, weil die Stadt zersplittert ist in 19 selbständige Bezirke mit jeweils einem eigenen Bürgermeister. Terroristen müssen nur den Stadtteil wechseln, schon ist wer anders für sie zuständig. Dabei könnte Brüssel auch so sein, wie es die Fremdenführer gerne darstellen: ein multikulturelles Hipsterparadies, in dem Flamen, Wallonen, Europäer, Maghrebiner, Kongolesen mehr oder weniger friedlich zusammenleben.

Heute aber müssen alle, die in Brüssel leben, eine Botschaft verinnerlichen, die der Terrorismus lehrt: dass es keinen endgültigen Schutz gibt, dass es ihn nicht geben kann, egal was die Innenminister dieser Welt auch sagen, wie viele hunderte oder tausende zusätzliche Polizisten nun die Grenzen schützen, die Verkehrsmittel und Plätze überwachen.

Was sich aus Anschlägen wie denen in Brüssel, Paris, Ankara und Istanbul entwickeln kann, ist eine klassische Angstneurose. Und sie ist ja auch gewollt. Terror heißt, wörtlich, Schrecken; Terroristen sähen Schrecken. Brüssel, dieser symbolische Ort Europas, ist heute Opfer dieses Schreckens geworden.

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