Tempolimit:Immer schön langsam

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Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hält nichts von einer neuen Debatte über ein Tempolimit auf Autobahnen, hier die A13 in Brandenburg. (Foto: dpa)
  • Der Bundestag hat ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen im Oktober abgelehnt.
  • Die SPD bringt Tempo 130 aus Umweltschutzgründen nun erneut ins Spiel, Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) ist dagegen.
  • Deutschland ist das einzige Land in der EU, in dem kein allgemeines Tempolimit auf Autobahnen gilt.

Von Markus Balser, Berlin

Deutschlands große Verkehrsadern waren am ersten Weihnachtsfeiertag noch ziemlich leer, als in den sozialen Netzwerken heftiger Streit entbrannte. Per Twitter ließ Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) das Land wissen, was er von den Plänen der neuen SPD-Spitze hält, ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen einzuführen. Er wolle den Verkehr digital und flexibel steuern - "ohne Verbote", kündigte Scheuer an. "Wir haben weit herausragendere Aufgaben, als dieses hoch emotionale Thema wieder und immer wieder ins Schaufenster zu stellen - für das es gar keine Mehrheiten gibt", wetterte der Minister.

Es war der entschlossene Versuch, eine Debatte gar nicht erst aufkommen zu lassen, die so allerdings überhaupt erst Fahrt aufnahm. Denn die SPD-Vorsitzende Saskia Esken, die das Tempolimit im Dezember auf die Wunschliste der SPD gesetzt hatte, reagierte pikiert auf die feiertägliche Attacke. "Ich kann ja verstehen, dass Verkehrsminister Scheuer versucht, Nachrichten abseits des Maut-Debakels zu produzieren", sagte sie. "Er ist aber nicht in der Position, im Alleingang die Angelegenheiten der Koalition zu regeln." Esken machte damit klar, dass sie nicht klein beigeben will. Ein Tempolimit auf den Autobahnen sei gut für den Klimaschutz, diene der Sicherheit und schone die Nerven der Autofahrer. Esken verschärfte sogar die Tonlage: "Deshalb werden wir darüber auch im neuen Jahr wieder sprechen." Außerhalb Deutschlands sei ein Tempolimit der Normalfall. "Nur die CSU macht noch so einen unbegreiflichen Bohei draus."

Die SPD hat eine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung von 130 Kilometern pro Stunde als eines der Themen für zusätzliche Vorhaben genannt, über das sie nun mit der Union sprechen will. Dies leiste einen Beitrag zur Verkehrssicherheit und sei eine "kostenlose Klimaschutzmaßnahme", heißt es in einem Parteitagsbeschluss von Anfang Dezember. Damit zeichnet sich ein ernster Koalitionskrach für das neue Jahr ab. Einer mit Vorgeschichte: Denn die große Koalition hatte bei den Klimaschutz-Beratungen im Herbst bereits über ein Tempolimit verhandelt. Die Union lehnte die Maßnahme jedoch ab. Erst im Oktober scheiterten die Grünen im Bundestag mit einem Vorstoß zur Einführung von Tempo 130. Dafür votierten damals lediglich 126 Abgeordnete, dagegen sprachen sich 498 aus. Sieben enthielten sich. Auch die meisten SPD-Abgeordneten stimmten dagegen. Dies gilt allerdings bei Oppositionsanträgen als übliches Verfahren.

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SPD-Politiker wie die Verkehrspolitikerin Kirsten Lühmann machten in der Debatte deutlich, dass das Thema etwa bei Beratungen über mehr Verkehrssicherheit im neuen Jahr wieder auf die Agenda soll. Auch im Bundesumweltministerium geht man davon aus, dass kaum ein Weg am Höchsttempo vorbeiführt. "Tempo 130 auf Autobahnen halte ich für sinnvoll - aus Sicherheits- und aus Klimaschutzgründen", sagt Umweltministerin Svenja Schulze (SPD). Um die Erderhitzung aufzuhalten, komme es auf jede Tonne CO₂ weniger an. "Bis jetzt konnten wir uns damit bei der Union nicht durchsetzen", sagt Schulze. "Wir werden uns deshalb aber nicht davon abhalten lassen, unsere eigene Position klar zu benennen." Teile der Opposition sind gegen den Vorstoß: "Der Beitrag eines generellen Tempolimits zur globalen CO₂-Einsparung wäre marginal", sagt der FDP-Vorsitzende Christian Lindner.

Experten sehen die freie Fahrt schon länger kritisch. Deutschland ist das einzige Land in der EU, in dem kein allgemeines Tempolimit auf Autobahnen gilt. Überall sonst gibt es Begrenzungen zwischen 120 und 130 km/h. Die Statistik weist das Fahren in Deutschland als gefährlicher aus. Mit durchschnittlich drei getöteten Personen im Jahr je 100 Kilometer Autobahn liegt Deutschland über den Werten von Großbritannien, den Niederlanden, der Schweiz, Dänemark, Finnland und Frankreich. Dort schwankt die Zahl zwischen einem und 2,5 Getöteten je 100 Kilometer. Und auch in Deutschland zeigen Beispiele, wie effektiv Tempolimits wirken.

Als etwa 2003 auf einem 63 Kilometer langen Abschnitt der A 24 in Brandenburg das Höchsttempo 130 eingeführt wurde, sank dort die Anzahl der Unfälle und Verletzten um 50 Prozent. Auf der A 4 wurde im September 2017 zwischen Merzenich und Elsdorf nach einer Unfallserie mit neun Toten Tempo 130 eingeführt. Auch die Gewerkschaft der Polizei spricht sich für niedrigere Geschwindigkeiten aus. In ihrem aktuellen verkehrspolitischen Programm fordert sie, dass Tempo 130 auf Autobahnen zur Regel wird.

© SZ vom 27.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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