Experten-Check:Das ist dran an den Argumenten gegen ein Tempolimit

Umstrittenes Tempolimit auf A 81 tritt in Kraft; Tempolimit 130

Der Antrag der Grünen auf ein generelles Tempolimit fiel im Bundestag durch - doch die Mehrheit der Deutschen ist dafür.

(Foto: Patrick Seeger/dpa)

Wenn es um eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf deutschen Autobahnen geht, kochen schnell die Gemüter über. Das sagen Forscher zu den häufigsten Gegenargumenten.

Von Felix Reek

Kaum ein Thema sorgt für so heftige Reaktionen wie die Forderung eines generellen Tempolimits auf deutschen Autobahnen. Viele Menschen fahren gar nicht so schnell, der Nutzen für die Umwelt ist gering, deutsche Autobahnen sind die sichersten Straßen, heißt es immer wieder in den Diskussionen. Stimmt das überhaupt? Der Faktencheck der häufigsten Gegenargumente.

Ich lasse mir meine Freiheit nicht nehmen

Es ist eine der häufigsten Aussagen, wenn es um ein mögliches Tempolimit auf Autobahnen geht - und die emotionalste, am wenigsten rationale: Ich lasse mir meine persönliche Freiheit nicht beschneiden. Denn eigentlich ist "der Verkehr einer der am geregeltesten Lebensbereiche, die wir haben", sagt Psychologe Bernhard Schlag von der TU Dresden. Jedes Detail ist vom Gesetzgeber festgelegt, es existieren Verordnungen fürs Parken, für den Abstand beim Autofahren, für die Vorfahrt. Nur ein generelles Tempolimit auf Autobahnen gibt es nicht. Deswegen klammern wir uns an dieses Fitzelchen Freiheit, ohne zu realisieren, dass diese gar nicht existiert, da sie immer in Relation zu anderen Verkehrsteilnehmern steht und letztlich eine Durchsetzung von eigenen Vorteilen ist, so der Verkehrspsychologe. "In anderen Lebensbereichen wäre das undenkbar."

Die Demokratie hat entschieden und die meisten sind gegen ein Tempolimit

Das gilt für die Abstimmung im Bundestag am 17. Oktober, aber nicht für die deutsche Bevölkerung. Immer wieder wurden 2019 repräsentative Umfragen zu diesem Thema erhoben. Das Ergebnis aller ist eindeutig: Eine knappe Mehrheit der Deutschen spricht sich für ein Tempolimit auf Autobahnen aus. Nur wie hoch dieses sein sollte, darüber variieren die Meinungen. Bei YouGov sprachen sich 53 Prozent für maximal Tempo 130 aus, bei Forsa fordern 57 Prozent eine Geschwindigkeitsbegrenzung im Schnitt von 136 km/h, in einer weiteren Umfrage des Meinungsforschungsinstituts sprechen sich 52 Prozent für maximal 130 km/h aus. In einer reinen Online-Befragung von Civey fordern 38,5 Prozent 130 km/h und 15,6 Prozent eine noch niedrigere Geschwindigkeit.

Es gibt kaum noch freie Autobahnstrecken

Vielen Menschen mag es durch das steigende Verkehrsaufkommen und die gefühlt hohe Anzahl von Baustellen so vorkommen, aber für mehr als zwei Drittel aller Autobahnkilometer gibt es kein permanentes Tempolimit. Das Gesamtnetz deutscher Autobahnen umfasst 25 767 Kilometer in beide Fahrtrichtungen (laut Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, 2017, Stand 2015), auf 18 115 Kilometern gibt es keine Geschwindigkeitsbegrenzung. Das entspricht 70,4 Prozent.

So viele Menschen fahren gar nicht schneller als 130 km/h

Das stimmt - zumindest in Relation. Zwischen 2010 und 2014 untersuchte die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) die Auswirkungen eines Tempolimits von 120 km/h auf deutschen Autobahnen. Demnach fahren 60 Prozent aller Autofahrer maximal 130 km/h. 15 Prozent pendeln sich bei 130 bis 140 km/h ein, 25 Prozent fahren schneller als Tempo 140. Die Studie kommt zu dem Schluss: Will man die Durchschnittsgeschwindigkeit senken, wäre ein Tempolimit von 120 km/h sinnvoller, da in diesem Fall nur noch sieben Prozent schneller als 140 km/h fahren würden.

Meine Reisezeit ist kürzer, wenn ich schneller fahre

Das lässt sich einfach nachrechnen. Ein Autofahrer, der konstant mit 130 km/h unterwegs ist, braucht für eine Strecke von 100 Kilometern 46 Minuten. Fährt er im Schnitt 160 km/h, sind es 37,5 Minuten. Eine Ersparnis von 8,5 Minuten. Auch ein Praxistest der Heilbronner Stimme bestätigt das: Sie schickten im Februar 2019 zwei Redakteure gleichzeitig in ihren Autos los. Einer fuhr stur Tempo 130, seine Kollegin gab Gas. Das Ergebnis: Die Fahrerin, die die Geschwindigkeit ausreizte, legte die 262 Kilometer lange Strecke von Heilbronn nach Trier auf der Autobahn in zwei Stunden und 15 Minuten zurück, ihr Kollege war 20 Minuten langsamer. Die theoretische Zeitersparnis ist allerdings abhängig von Faktoren wie Verkehrsaufkommen, Baustellen, anderen Autofahrern.

Die Konzentration lässt bei konstantem Tempo 130 nach

"Die Beanspruchung bei hohen Geschwindigkeiten ist höher. Dies führt in der Regel kurzfristig zu besserer Konzentration, um die Anforderungen angemessen bewältigen zu können", sagt Verkehrspsychologe Schlag. Das Problem ist: Diese lässt sich nicht konstant aufrecht erhalten. "Dies wird dadurch verschärft, dass wir es bei eher monotonen Autobahnfahrten wesentlich mit einer Überwachungsaufgabe zu tun haben - und die fällt Menschen generell und besonders bei längerer Dauer schwer. Die Wachsamkeit als ein wesentlicher Teil der Konzentration sinkt dann." Dieses Problem verschärft sich bei hoher Geschwindigkeit. Der norwegische Verkehrsforscher Rune Elvik warnt in seiner Veröffentlichung "Speed Limits, Enforcement, and Health Consequences": "Die Unterschiede in der Reaktionszeit sind in keiner Weise ausreichend, um die bei hohen Geschwindigkeiten längere zurückgelegte Strecke auszugleichen. Der Bremsweg wird immer größer, wenn das Tempo zunimmt, egal wie erfahren der Mensch am Steuer ist." Schlag empfiehlt, spätestens nach zwei Stunden Fahrt eine Pause einzulegen.

Ein Tempolimit verbessert die CO₂-Belastung durch Autos nur minimal

Unstrittig ist, dass ab einer Geschwindigkeit von 100 km/h auf Autobahnen der Verbrauch und der CO₂-Ausstoß stark ansteigen. Bei einer konstanten Fahrt von 200 km/h ist der Energieverbrauch doppelt so hoch wie bei 130 km/h. Die letzte Untersuchung des Umweltbundesamtes (UBA) dazu stammt allerdings von 1999. Anhand von Daten aus dem Jahr 1996 wurden die Auswirkungen eines Tempolimits von 120 km/h berechnet. Das Ergebnis: Hielten sich 80 Prozent der Autofahrer daran, würde die CO₂-Emissionen um neun Prozent und die NOₓ-Emissionen um 16 Prozent sinken. Rechnet man dieses Ergebnis auf den gesamten Straßenverkehr hoch, sinken die CO₂-Emissionen allerdings nur um zwei Prozent (Stand 1999). Aktuellere Daten gibt es von der Denkfabrik Agora Verkehrswende. Diese kommt zu dem Schluss, dass ein Tempolimit von 130 auf Autobahnen ab dem Jahr 2020 die Kohlendioxid-Emissionen des gesamten Autoverkehrs in Deutschland um 1,1 bis 1,6 Prozent senken würde - das entspricht mehr als einer Million Tonnen CO₂. Da das Umweltbundesamt diese nicht geprüft hat, kann es die Abschätzung von Agora Verkehrswende nicht offiziell bestätigen.

Deutsche Autobahnen sind die sichersten Straßen in unserem Land

Generell ist die Anzahl von tödlichen Unfällen über die Jahrzehnte gravierend gesunken - bei steigendem Verkehrsaufkommen. 1970 starben laut Statistischem Bundesamt 21 332 Menschen auf deutschen Straßen, 2017 nur noch 3180 Personen. Die Gründe hierfür reichen von verbesserten Fahrzeugen, niedrigeren Promillegrenzen bis hin zur Durchsetzung von Helm-, Gurt- und Kindersitzpflicht sowie Tempo 100 auf Landstraßen. Letztere sind immer noch der Spitzenreiter, wenn es um verunglückte Verkehrsteilnehmer geht. 1795 Menschen starben 2017 auf Landstraßen. Autobahnen hingegen sind die sichersten deutschen Straßen, wenn es um die gefahrenen Kilometer geht. Obwohl 2017 dort ein Drittel aller Kraftfahrtkilometer zurückgelegt werden, starben nur 12,9 Prozent der Verkehrstoten auf Autobahnen, auf Landstraßen waren es 52,5 Prozent.

Für Verkehrsforscher Bernhard Schlag keine Überraschung: "Sie haben einen Teil der Probleme, die unfallträchtig sind, dort gar nicht. Keine Radfahrer, keine Fußgänger, keinen Kreuzungsverkehr, kaum direkten Gegenverkehr. Insofern wundert es nicht, dass die Autobahnen relativ sichere Straßen sind." Allerdings enden die Unfälle dort besonders oft tödlich. 409 Menschen starben 2017 auf Autobahnen, 44,3 Prozent (181) von ihnen wegen zu hoher Geschwindigkeit. In der Faktensammlung "Wirkungen eines Tempolimits von 130 km/h auf Autobahnen" für den Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR) finden sich außerdem Daten, wie viele davon auf Abschnitte mit und ohne Tempolimit entfallen: Die Anzahl der tödlich Verunglückten ist auf Strecken ohne Geschwindigkeitsbegrenzung zwischen 2011 und 2016 deutlich höher (2016: 283 versus 110).

Auch die Getöteten bei Geschwindigkeitsdelikten auf freien Strecken lag in fast allen Jahren höher - hier ist der Abstand allerdings wesentlich geringer. 2016 waren es laut BASt 15,6 Verkehrstote pro 1000 Kilometer Autobahn auf unbegrenzten Abschnitten versus 14,4 tödlich Verunglückte auf Strecken mit Tempolimit. Vorher-Nachher-Versuche in Deutschland, Schweden, Belgien, USA und Kanada zeigen aber, dass auf allen Versuchsstrecken, wo das Tempo gesenkt wurde, auch die Zahl der Unfälle sank. Erhöhte sich das Tempo im Vergleich zu vorher, stieg die Anzahl der Unfälle mit Personenschaden.

In Ländern mit einem Tempolimit auf Autobahnen sterben mehr Verkehrsteilnehmer

Ja und nein, müsste hier die korrekte Antwort lauten. Deutschland liegt als einziges Land ohne generelles Tempolimit im europäischen Vergleich im Mittelfeld - auf Platz acht. 1,9 Menschen sterben laut dem European Transport Safety Council pro eine Milliarde Fahrzeugkilometer auf unseren Autobahnen. Am wenigsten sind es in Dänemark (0,8 Tote pro eine Milliarde Kilometer).

Eine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung schadet der deutschen Autoindustrie

Die deutschen Hersteller sind berühmt für ihre großen Motoren, für luxuriöse Limousinen, schnelle Sportwagen und wuchtige SUVs. Nur, wer soll die kaufen, wenn sie nirgendwo ausgefahren werden können? So die Befürchtung. Stefan Reindl vom Institut für Automobilwirtschaft (IfA) gibt Entwarnung: "Ich sehe keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen einem möglichen Tempolimit und dem befürchteten Einbruch von Absatzzahlen der Automobilindustrie. In den USA beispielsweise gilt auf vielen Interstates ein Tempolimit zwischen 70-75 mph, also 112-120 km/h. Dennoch sind die Fahrzeuge deutscher Premium-Hersteller sehr präsent. Auch dort werden Porsche gekauft, die über 300 km/h fahren könnten, die aber im Realbetrieb niemand ausfahren kann."

Ein Verkehrsleitsystem wäre die bessere Alternative

Tatsächlich sind Verkehrsleitsysteme eine gute Idee, argumentiert das Institut für Verkehrssystemtechnik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Sie werden aber vor allem dort eingesetzt, wo viel Verkehr herrscht. Sie ließen sich natürlich auch mit verschiedenen Maximalgeschwindigkeiten verwenden, ihre Wirkung wäre bei diesem Einsatz nicht besser oder schlechter. Für die Vermeidung eines Tempolimits sind sie laut DLR unerheblich, weil sie ihre Wirkung nur bei kleineren Geschwindigkeiten zur Vermeidung von Staus entfalten.

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