Taiwan:Wenn zwei sich streiten, gewinnt dann der Dritte die Wahl?

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Lai Ching-te, Spitzenkandidat der DPP, ist aus Sicht Pekings ein "Unruhestifter". Seine Chancen auf den Wahlsieg sind nach dem Zerwürfnis der Oppositionsparteien gestiegen. (Foto: Sam Yeh/AFP)

Das Bündnis der Oppositionsparteien bei der Präsidentschaftswahl in Taiwan ist geplatzt. Der Spitzenkandidat der regierenden Partei dürfte davon profitieren. Doch auch ein Sieg garantiert ihm nicht, dass er seine Pläne umsetzen kann.

Von Lea Sahay, Taipeh

Seine Anhänger haben sich schon warm gejubelt, als der Mann mit dem jugendlichen Gesicht und dem breiten Lächeln auf die Bühne tritt: Lai Ching-te, der Spitzenkandidat der Demokratischen Fortschrittspartei (DPP). Am späten Sonntagabend ist er für seine Rede zu einer Schule in Taipeh gekommen, der Sportplatz ist voll besetzt. Lai trägt eine Jacke in der Parteifarbe Grün und streckt triumphierend die Faust in die Luft, "Taiwan, weiter so!", rufen seine Unterstützer. Und: "Für die Freiheit!"

Nach einer dramatischen Wahlkampfwoche sieht es wieder gut aus für Taiwans Vizepräsidenten, der sich bei den Wahlen Mitte Januar auf die Präsidentschaft bewirbt. Der 64-Jährige hatte in den letzten Monaten in den meisten Umfragen vor den anderen Kandidaten gelegen. Zuletzt drohte ihn aber ein von der Opposition anvisiertes Bündnis in Bedrängnis zu bringen. So planten die chinafreundliche Kuomintang (KMT) und die 2019 gegründete Taiwanische Volkspartei (TPP) einen Zusammenschluss.

Die Wähler müssen sich nun entscheiden - das erschwert den Wahlsieg für beide Parteien

Diese Pläne waren allerdings am Donnerstag in einer denkwürdigen Pressekonferenz in sich zusammengefallen: Nach wochenlangen Verhandlungen über die Frage, welche der zwei Parteien den Spitzenkandidaten stellen darf, hatten sich beide Lager in einem Luxushotel in Taipeh getroffen. Dort lieferten sich die zwei Oppositionsführer vor laufenden Kameras einen heftigen Schlagabtausch, der schließlich in einem Parteienzerwürfnis endete.

Am Freitag meldeten sich der KMT-Kandidat Hou Yu-ih und TPP-Kandidat Ko Wen-je dann nur wenige Stunden vor der Deadline separat als Präsidentschaftsbewerber an - die Zusammenarbeit war geplatzt. Der Bruch führt nun dazu, dass sich sympathisierende Wähler für eine der zwei prochinesischen Parteien entscheiden müssen, was einen Wahlsieg für beide erschwert.

In Peking dürfte die Entwicklung mit großem Missfallen betrachtet werden. Wahlen in Taiwan sind immer auch eine Abstimmung über das zukünftige Verhältnis zum großen Nachbarn. Lai ist für die KP-Führung eine Reizfigur und ein "Unruhestifter". 2017 hatte sich der Politiker als "politischer Arbeiter für die taiwanische Unabhängigkeit" bezeichnet und damit die Wut Pekings auf sich gezogen.

Eine Vereinigung mit China lehnen die meisten ab, einen Krieg wünscht sich aber niemand

Der Inselstaat nur 160 Kilometer entfernt von Chinas Küste ist zwar faktisch unabhängig von der Volksrepublik. Aber um Peking nicht zu provozieren, hat Taiwan nie offiziell seine Unabhängigkeit erklärt. Die KP erhebt historisch fragliche Ansprüche auf den Inselstaat, Staats- und Parteichef Xi Jinping droht mit einer gewaltsamen Einnahme, sollten die Taiwaner sich nicht freiwillig anschließen.

Auch wenn Lai gewinnen sollte, gilt eine Unabhängigkeitserklärung als fast ausgeschlossen: Bereits vor seiner offiziellen Kandidatur hatte der Vizepräsident angekündigt, sein Land sei schon eine "souveräne und unabhängige Nation", deshalb sei eine weitere Erklärung gar nicht nötig. Die Äußerung war auch als eine Rückversicherung an Wähler gemeint, die eine zu radikale Haltung als Gefahr für Taiwan verstehen. Eine Vereinigung mit China lehnen die meisten der 24 Millionen Taiwaner zwar ab, aber einen Krieg wünscht sich niemand. "Wir dürfen uns von China nicht einschüchtern lassen. Lasst uns keine Angst haben", ruft Lai an diesem Abend seinen Anhängern zu.

Seit die Fortschrittspartei unter Führung von Präsidentin Tsai Ing-wen 2016 an der Macht ist, haben sich die Beziehungen zur Volksrepublik stetig verschlechtert. Im August 2022 erreichten diese einen Tiefpunkt, als die Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, zu einem Besuch auf die Insel geflogen war. Peking hatte daraufhin mit einer Militärübung zum ersten Mal faktisch eine militärische Blockade um Taiwan errichtet.

Die zahlreichen Militärübungen sollen die Taiwaner zermürben

Ein Wahlsieg der chinafreundlichen Kuomintang oder der Taiwanischen Volkspartei dürfte es für Peking leichter machen, mit Taipeh über eine Wiederannäherung zu verhandeln. Chinas Drohungen gegen Taiwan ist auch einer der zentralen Streitpunkte zwischen den USA und der Volksrepublik. Washington wirft Peking vor, den Status quo in der Taiwanstraße ständig zu verschieben. Nach dem Scheitern der Partei-Allianz dürfte Peking den Druck auf Lais Kampagne erhöhen. Schon jetzt berichten Experten von Wahleinmischung aus Festlandchina.

Bisher setzt Peking vor allem auf eine Mischung aus ökonomischem Zwang und militärischen Drohgebärden im Umgang mit seinem kleinen Nachbarn. Experten warnen längst vor einem Krieg in der Grauzone: Fast jeden Tag dringen Kampfflugzeuge in die taiwanische Luftraumüberwachungszone ein; die andauernden Militärübungen sollen die Taiwaner zermürben. Dazu kommen Cyberattacken und Falschnachrichten, auch diplomatisch versucht Peking, das Land weiter zu isolieren.

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Die USA dürften wiederum einen Wahlsieg von Lai begrüßen: Das Land verkauft nicht nur Waffen an Taiwan, im August hatte die Regierung zum ersten Mal direkte Militärhilfe für Taiwan im Rahmen eines Hilfsprogramms für ausländische Regierungen genehmigt. Spitzenkandidat Lai hatte erst vor einer Woche Hsiao Bi-khim für die Vizepräsidentschaft nominiert. Die von China sanktionierte Politikerin war zuvor Vertreterin Taiwans in den USA. Eine Nominierung, die in Peking als die nächste Provokation wahrgenommen werden dürfte.

Neben der Präsidentschaftswahl im Januar entscheidet Taiwan auch über ein neues Parlament. Viele Ankündigungen der Präsidentschaftskandidaten sind ohne die Zustimmung des Parlaments nicht umsetzbar. Dort sehen die Prognosen für die Fortschrittspartei deutlich schlechter aus. Eine Niederlage würde Lai blockieren und die Umsetzung viele seiner Zukunftspläne erschweren. "Wir sind geeint", das ist noch so etwas, das der Politiker am Sonntag über den Sportplatz ruft. Spätestens im Januar wird sich zeigen, ob er recht behält.

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