Sudan:Neue Chancen für das alte Regime

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Soldaten der paramilitärischen Truppen von General Hamdan Dagalo in der sudanesischen Hauptstadt Khartum. (Foto: Hussein Malla/dpa)

In Khartum bekriegen sich zwei Generäle. Aber welche Rolle spielt dabei der gestürzte Machthaber Omar al-Baschir und dessen Herrschaftsapparat? Über das Kalkül der alten Kräfte, die jetzt wieder Machtoptionen sehen.

Von Arne Perras, München

Manchmal entfuhren Omar al-Baschir, dem Langzeitherrscher des Sudan, Sätze wie dieser: "Das sudanesische Volk bestimmt, wer es regiert." Natürlich war das gelogen, denn unter Baschir, der von 1989 bis 2019 das Land führte, gab es keine freien und fairen Wahlen. Für jene Sudanesen, die unter seiner Brutalität litten - und das war die große Mehrheit -, klangen seine Phrasen oft wie Hohn.

Das Volk war Baschir herzlich egal, für ihn zählte nur, wie er seine engste Klientel bei Laune halten konnte, vor allem die privilegierten Zirkel aus dem Niltal, die Geheimdienste und Offiziere im Militär. Dabei war er ein gewiefter Stratege, dem es gelang, die einzelnen Gruppen stets gegeneinander auszuspielen, um so seine eigene Macht an der Spitze zu festigen.

Das System Baschir war strukturell auf Rivalität angelegt, ein Faktor, der nun maßgeblich mitbestimmt, dass sich zwei Generäle und ehemalige Gefolgsleute Baschirs so erbittert bekriegen. Dessen Erbe sei, wie die Historikerin Willow Berridge von der Universität Newcastle schreibt, zentral für die gegenwärtige Eskalation der Gewalt im Sudan.

Zwei Lehrlinge des Ex-Diktators kämpfen um die Macht

Beide Männer, die Baschir 2019 stürzten, sind Lehrlinge seines Systems: Da ist auf der einen Seite der Milizenführer aus Darfur, Mohammed Hamdan Dagalo, genannt Hemeti. Und auf der anderen der Chef der regulären Streitkräfte, General Abdel Fattah al-Burhan. Beide befehligen jeweils mehr als 100 000 Mann. Die Hoffnung demokratischer Kräfte, die vor wenigen Jahren noch darauf setzten, dass friedliche Proteste gegen die Diktatur Früchte tragen könnten - sie ist erst mal unter den Trümmern von Khartum begraben.

Die Demokratiebewegung, deren Druck auf der Straße maßgeblich dazu beigetragen hatte, den Diktator loszuwerden, ist wohl für lange Zeit kaltgestellt. Die Putsch-Generäle, die 2019 noch vorgaben, demokratischen Wandel mitzutragen, spielten falsch. Und nun sieht es so aus, als wollten sie die Sache ganz unter sich ausmachen. Doch so einfach ist das nicht. So sehr nun das militärische Duell der beiden Rivalen in den Vordergrund gerückt ist - sie können kaum ohne einflussreiche Verbündete siegen. Sie brauchen nicht nur Feuerkraft und viele Kämpfer, sondern müssen sich auch klar darüber werden, wie sie sich zu den Kräften des alten Regimes stellen. Denn die warten nur darauf, ihre Pfründen irgendwie in die Zukunft zu retten und bestenfalls wieder wichtige Positionen einzunehmen.

Ex-Diktator Omar al-Baschir beim Türkeibesuch im Jahr 2018. (Foto: Burhan Ozbilici/dpa)

Wer immer ihnen dabei helfen kann und bessere Chancen auf den Sieg hat, ist ihr Mann.

Vorerst aber frisst sich die Gewalt weiter durch das Land, neben der Hauptstadt Khartum leidet vor allem Darfur. Am Donnerstag sollte eine siebentägige Waffenruhe beginnen, doch es wurde zunächst weiter gekämpft. Nach drei Wochen schwerer Gefechte wächst die Gefahr eines anhaltenden Bürgerkrieges, der womöglich über die Grenzen schwappt.

Den Haag wartet auf die Auslieferung

Und Baschir, der einstige Pate der Kriegsherren? Der Internationale Strafgerichtshof will ihm längst den Prozess machen, wegen Völkermord und Kriegsverbrechen. Doch die Ankläger in Den Haag warten noch immer auf seine Auslieferung. Angeblich hält die sudanesische Armee den Ex-Diktator in einer Militärklinik fest, zweifelsfreie Belege dafür gibt es nicht.

Ob Baschir selbst noch fähig ist, irgendwelche Strippen zu ziehen? Darüber ist nichts bekannt, aber sicher ist: Der Sudan ist überall mit Kräften durchsetzt, die in Baschirs islamischer Partei National Congress Party (NCP), in den Geheimdiensten und im Militär aufgestiegen sind. Sie alle schnüffelten einst im Dienst des Despoten, sie folterten wehrlose Menschen, rüsteten Milizen gegen Rebellen auf - oder sie bombardierten aufständische Völker aus der Luft. Und für manche dieser Leute, die seit der Entmachtung Bashirs im Gefängnis saßen, scheint das blutige Chaos schon neue Chancen zu eröffnen.

Zum Beispiel Ex-Minister Ahmad Harun. Auch gegen ihn hat das Tribunal in Den Haag einen Haftbefehl ausgestellt, ihm werden - wie Baschir - Kriegsverbrechen zur Last gelegt. Einst war er Minister für Humanitäre Angelegenheiten, ein perverser Name für das, was er im Dienste des Diktators in Darfur zu erledigen hatte.

Harun zählt zu jenen Gefolgsleuten des Ex-Diktators, die 2019 eingesperrt wurden. Doch Ende April, als die Kämpfe in Khartum eskalierten, kamen er und andere plötzlich unter nebulösen Bedingungen frei. Harun gab bekannt, dass er und die anderen fortan "ihre Sicherheit selbst organisieren" würden. Das ließ viele Möglichkeiten offen. Wer einst im System Baschir aufgestiegen ist, dürfte jetzt ausloten, mit wem er sich am besten verbünden kann.

Alte Seilschaften werden erneuert

Erkennbar ist bisher, dass Armeechef Burhan den Kontakt zu den alten Kräften sucht. Er hat bereits einige Männer aus dem Apparat Baschirs zurückgeholt, dazu gehört der erfahrene Kommandeur Ali Ahmed Karti, der auch schon mal Außenminister war. Ihn braucht Burhan jetzt offenbar als militärischen Taktiker.

Außerdem beklagen die Demokraten des Sudan, dass General Burhan schon vergangenes Jahr eine Kommission abgeschafft hat, die nach dem Sturz des Diktators die Aufgabe hatte, den alten Apparat aufzulösen. Dieses "Empowerment Removal Committee" (ERC) war noch vom zivilen Übergangspremier Abdallah Hamdok gegründet worden, der sich nicht lange im Amt halten konnte. Der ERC galt als Werkzeug, die Korruption des Baschir-Systems in den Griff zu bekommen und den tiefen Staat, mit all seinen Akteuren in Geheimdiensten, Milizen und Bürokratie, aufzulösen. Burhan hat dessen Arbeit gestoppt und Mitglieder des ERC verhaften lassen, was den alten Kräften des Regimes neuen Raum verschafft.

Die Beziehungen des alten Apparats zu Hemeti dürften komplizierter sein. Er stammt nicht aus dem Niltal, sondern aus Darfur. Viele Gefolgsleute von Baschir sehen ihn als Feind. Doch das muss nicht zwingend so bleiben. Gut möglich, dass sich manche der alten Schergen auf die Seite Hemetis schlagen, falls sie erkennen, dass es für ihn militärisch gut läuft. Geheimdienstleute stehen ohnehin im Verdacht, zusammen mit Kämpfern von Hemeti ein großes Massaker an protestierenden Zivilisten im Juni 2019 in Khartum mit mehr als hundert Toten begangen zu haben.

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Gegenwärtig sieht es noch nach einem militärischen Patt im Kampf um die Vorherrschaft aus. Es gibt keinen Sieger, auch wenn einige Analysten glauben, dass die Armee langfristig Vorteile haben könnte, besonders, wenn sie von Kräften aus dem alten Baschir-Apparat gestützt werden. Hemetis Truppen haben mehr Kampferfahrung am Boden, durch den Krieg in Darfur, sie sind teils mobiler als die Armee, aber müssen die Luftwaffe fürchten und haben offenbar auch größere Schwierigkeiten, ihren Nachschub in der Hauptstadt zu organisieren.

Halten die Kämpfe an, steigt die Gefahr, dass sich der Sudan immer stärker "somalisiert". Der Staat wird in diesem Fall nur noch als Ruine fortbestehen, die Kräfte des alten Regimes werden sich womöglich auf unterschiedliche Seiten schlagen, der Sudan zerfällt in eine fragmentierte Gewaltlandschaft - wie im östlich gelegenen Somalia. Sollte sich Khartum in ein neues Mogadischu verwandeln, wäre dies das Worst-Case-Szenario. Schlimmer könnte es nicht kommen.

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