Resozialisierung:2,30 Euro pro Stunde sind nicht genug

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Ein Häftling bei seiner Arbeit in der Justizvollzugsanstalt Straubing, am Wochenende verkauft er dort Kunstwerke aus Holz. (Foto: Armin Weigel/dpa)

Strafgefangene müssen für ihre Arbeit im Gefängnis eine "angemessene Anerkennung" bekommen, hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Dürfen sie nun auf ein kräftiges Lohnplus hoffen?

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Das Bundesverfassungsgericht hat viele Baustellen, bei manchen davon kann es Jahrzehnte dauern, bis wirklich ein paar Mauern stehen. 1998 hatte das Gericht ein höheres Entgelt für die Arbeit von Strafgefangenen angemahnt. Ein wichtiges Urteil, allerdings mit kurzer Halbwertszeit. Die Vergütung wurde zuerst angehoben und dann irgendwie vergessen. Weshalb das Gericht nun ein Vierteljahrhundert später angetreten ist, die damals festgelegten Maßstäbe "auszuschärfen und fortzuentwickeln", wie es Vizepräsidentin Doris König ausdrückte.

Geklagt hatten zwei Strafgefangene aus Bayern und Nordrhein-Westfalen, denen die Stundenlöhne hinter Gittern - zwischen 1,30 und 2,30 Euro - als eklatant zu niedrig erschienen. In der Verhandlung vor gut einem Jahr machten die Länder geltend, die niedrige Produktivität sei der Grund für den schmalen Lohn. Mehr als die Hälfte der Gefangenen hätten keine Berufsausbildung, zwei Drittel seien vor der Haft nicht berufstätig gewesen, hinzu kämen häufig Suchtprobleme. Würde man mehr zahlen, fänden sich keine externen Betriebe, die im Gefängnis arbeiten ließen, hieß es damals.

Die Arbeit von Strafgefangenen müsse "angemessene Anerkennung finden", sagt das Verfassungsgericht

Das Bundesverfassungsgericht hat nun die entsprechenden Vorschriften Bayerns und Nordrhein-Westfalens gleichwohl für verfassungswidrig erklärt. Und auf den ersten Blick könnte es fast so aussehen, als erwarte die Strafgefangenen in den beiden Ländern ein kräftiges Lohnplus: Wenn Arbeit als Teil der Resozialisierung im Strafvollzug angeboten werde, dann müsse "die von den Gefangenen geleistete Arbeit angemessene Anerkennung finden", erläuterte Vizepräsidentin Doris König bei der Urteilsverkündung.

Doch bis dahin dürfte es noch ein weiter Weg sein, schon deshalb, weil die Länder bis Mitte 2025 Zeit zur Umsetzung haben - und rückwirkende Nachzahlungen ausdrücklich nicht vorgesehen sind, Verfassungswidrigkeit hin oder her. Noch wichtiger jedoch ist, dass das Gericht den Ländern einen "weiten Gestaltungsspielraum" eröffnet.

Immerhin stellt das Gericht unmissverständlich klar, dass die Resozialisierung von Strafgefangenen kein soziales Accessoire ist, sondern ein Gebot der Menschenwürde. Zudem sorge die Gemeinschaft auf diesem Weg für ihre Sicherheit: "Diese hat ein unmittelbares eigenes Interesse daran, dass Straftäter nicht wieder rückfällig werden und erneut ihre Mitmenschen und die Gemeinschaft schädigen", heißt es in dem Urteil.

Anerkennung kann für Strafgefangene auch Freiheit bedeuten

Der Faktor Arbeit, auch daran lässt das Gericht keinen Zweifel, hat für die Wiedereingliederung von Straftätern "erhebliches Gewicht". Denn wer arbeitet, der trainiert, einen strukturierten Tag durchzuhalten, mit Konflikten umzugehen, im günstigeren Fall ist sogar eine Portion Fortbildung dabei. Lauter Dinge, die grundlegend für ein straffreies Leben in Freiheit sind. Hinzu kommt die Erfahrung, dass Arbeit sich lohnt. Wenn es dafür eine "angemessene Anerkennung" gibt.

Hier öffnet das Gericht ein weites Feld. Das beginnt damit, dass Anerkennung nicht nur Geld, sondern auch Freiheit bedeuten kann. Gefangene in Bayern können sich durch Arbeit sechs "Freistellungstage" erarbeiten, in NRW acht. Der Deal Arbeit gegen frühere Entlassung ließe sich noch erweitern, so ist das Gericht zu verstehen. Die Länder würden damit nicht nur beim Lohn sparen; ein Hafttag kostet etwa 170 Euro.

Entscheidend ist laut Gericht, dass Gefängnisarbeit in ein schlüssiges, nach wissenschaftlichen Maßstäben nachvollziehbares Gesamtkonzept der Resozialisierung eingebunden ist. Und zwar in einem parlamentarischen Gesetz, nicht im Kleingedruckten des Vollzugsplans. Dort muss geregelt sein, wie genau man aus einem Strafgefangenen wieder einen zum selbständigen Leben befähigten Menschen machen will, durch Schule, Weiterbildung, Therapie, Fördermaßnahmen und eben durch Arbeit.

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Das lässt den Ländern viel Freiraum bei der Gestaltung ihrer Konzepte. Und bei der Antwort auf die Frage, wie sich nun die "angemessene Anerkennung" der Gefängnisarbeit in Euro umrechnen lässt. Hinzu kommt: Zulässig wäre im Gefängnis auch die Zahlung eines Bruttolohns, von dem es freilich viele Abzüge geben kann, man kennt das aus der Freiheit. Zum Beispiel für Schuldentilgung, Wiedergutmachung, Unterhalt, Zahlungen also, von denen Betroffene außerhalb des Gefängnisses profitieren. Vom Lohn darf der Staat aber auch Beträge fürs Telefonieren und für den Strom abziehen, für die Wäscherei und für die Krankenbehandlung.

Und auch für die Unterbringung können die Gefangenen herangezogen werden, wenn sie auf dem Papier genug verdienen. Bis zu welcher Grenze ein solcher Haftkostenbeitrag reicht, bleibt indes unbestimmt: Ihnen müsse ein "greifbarer Vorteil" bleiben, mahnt das Gericht.

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