Strafgerichtshof in Den Haag:Warum Assad weiter ungehindert morden kann

Lesezeit: 3 Min.

Wenn nichts als Schutt bleibt. (Foto: AFP)

Die Präsidentin des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag über die schwierige Verfolgung von Despoten - und warum das Recht trotzdem langsam an Gewicht gewinnt.

Interview von Ronen Steinke

SZ: Frau Fernández, warum kann der syrische Diktator Baschar al-Assad seit sechs Jahren morden und Gräuel verüben, ohne Strafe fürchten zu müssen? Warum sind selbst die Ermittlungen zum Giftgas-Einsatz letztlich nur für die Schublade?

Silvia Fernández de Gurmendi: Es ist sehr, sehr frustrierend. Aber ich würde hinzufügen: Es ist nicht die internationale Justiz in Den Haag, welche die Augen verschließt vor den Verbrechen in Syrien. Es ist die gesamte internationale Gemeinschaft.

Wie meinen Sie das?

Es wäre notwendig, dass der UN-Sicherheitsrat uns Juristen autorisiert, gegen die Verantwortlichen in Syrien zu ermitteln. Das geschieht trotz aller Appelle nicht. So haben wir keine Handhabe.

Die Argentinierin Silvia Fernández de Gurmendi, 63, ist Präsidentin des Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Sie war eine der ersten Staatsanwältinnen am Weltstrafgericht. 2010 wurde sie zur Richterin gewählt. (Foto: Bas Czerwinski/AP)

Können Sie verstehen, wenn die Menschen in Syrien Ihre hehren Versprechungen von Gerechtigkeit allmählich für einen zynischen Witz halten?

Für mich ist das ein Antrieb, die politischen Verhältnisse zu verändern. Der Strafgerichtshof muss endlich globale Geltung erhalten, auch in Syrien. Sodass er nicht mehr auf das Gutdünken des UN-Sicherheitsrats in einem Einzelfall angewiesen ist, sondern auf eigene Initiative überall ermitteln kann. 124 Staaten sind dem Gericht bislang beigetreten. Ich werbe dafür, dass weitere dies tun, in allen Weltregionen, auch dem Nahen Osten.

Dabei scheint der Trend eher in die Gegenrichtung zu gehen. Drei afrikanische Staaten kündigten zuletzt an, sich vom Gericht wieder lossagen zu wollen. Man habe es satt, dass immer nur Afrikaner angeklagt würden.

Das war zwischenzeitlich ein Problem, ist aber gelöst. Zwei dieser Staaten haben ihre Meinung wieder geändert. Uganda hat sogar einen Kandidaten für einen Richterposten am Gerichtshof nominiert. Das zeigt, dass sie eher versuchen wollen, das Gericht von innen zu verändern.

Ist Ihr Versprechen von Gerechtigkeit jemals einlösbar?

Unser heikelstes Problem ist einfach zu beschreiben. Die Verbrechen, von denen wir sprechen, haben riesige Ausmaße. Meist betreffen sie viele Täter und Tausende Opfer. Die internationale Justiz hingegen ist klein. Es ist unvermeidlich, dass sie selektiv herangeht. Ob es uns gefällt oder nicht: Wir müssen auswählen, womit wir uns befassen und womit nicht. Darüber müssen wir offen sprechen. Im Prozess gegen den kongolesischen Milizenführer Thomas Lubanga, dem ersten Prozess, den wir am Gerichtshof führten, entschied sich die Staatsanwaltschaft aus pragmatischen Gründen, den Beschuldigten nur wegen eines einzigen Verbrechens anzuklagen, der Versklavung von Kindern als Kindersoldaten. Viele Menschen kritisierten dies. Denn es gab noch viele andere Vorwürfe gegen ihn.

War das der falsche Weg?

Daraus hat man gelernt. Bei unserem aktuellen Prozess gegen den ugandischen Milizenführer Dominic Ongwen, der übrigens seinerseits als Kind zum Kindersoldaten gemacht wurde, hat die Staatsanwaltschaft ihre ursprüngliche Anklage erweitert auf 70 Anklagepunkte, darunter Mord, Folter, Vergewaltigung, sexuelle Versklavung und Plünderung. So zeichnet die Anklage ein vollständigeres Bild dieses Bürgerkriegs. Trotzdem muss uns klar sein: Die Justiz kann sich nur mit einem kleinen Ausschnitt der Wirklichkeit befassen.

Einer der ersten Haftbefehle des Strafgerichtshofs erging gegen den sudanesischen Diktator Omar al-Baschir wegen Beteiligung an Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord und Kriegsverbrechen in Darfur. Das ist acht Jahre her - und Baschir reist immer noch als Präsident durch die Welt. Ein Symbol für die Unantastbarkeit der Mächtigen.

Bedenken Sie: Vor dreißig Jahren wäre ein Herr Baschir überhaupt nichts Besonderes gewesen. Damals war diese Straflosigkeit normal. Heute fällt Herr Baschir Ihnen auf - auch deshalb, weil seine Straflosigkeit von vielen als Skandal angeprangert wird, vor allem von uns in Den Haag. Das zeigt einen Bewusstseinswandel in der internationalen Politik. Das ist natürlich keine Arbeit, bei der man am Montag etwas anstößt und am Freitag die Ergebnisse sieht. Aber dieser Wandel ist unübersehbar im Gang.

Die EU umwarb Herrn Baschir zuletzt sogar als Partner bei der Flüchtlingsabwehr. Hat die Politik Sie vergessen?

Zwischen Politik und Recht herrscht immer Spannung. Wenn Machtinteressen dem Recht entgegenstehen, verliert in der Abwägung oft das Recht. Aber die Dinge sind in Bewegung. Das Recht gewinnt langsam an Gewicht.

Schreckt man Fanatiker und Diktatoren überhaupt ab mit Strafen?

Skepsis ist zulässig. Wir haben vor dreißig Jahren begonnen mit der heutigen internationalen Strafjustiz in Den Haag, zunächst für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda. Gräuel gegen Zivilisten sind seither nicht zurückgegangen. Im Gegenteil. Die gewaltsamen Konflikte werden immer unübersichtlicher - asymmetrisch, hybrid, innerstaatlich. Desto mehr leiden Zivilisten. Aber eine Sache haben wir in jedem Fall erreicht in den dreißig Jahren. Heute herrscht eine Erwartung, dass sich für schwerste Gräuel jemand wird verantworten müssen - selbst wenn der Verantwortliche ein hohes Amt bekleidet hat. Und es wächst die Einsicht, dass dies für einen nachhaltigen Frieden auch notwendig ist. Völlige Straflosigkeit ist keine Option mehr, wenn über die Beilegung eines Konflikts verhandelt wird. Auch in Syrien.

© SZ vom 30.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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