Stolpersteine in Österreich:"Da drückt's einen schon stark"

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Stolpersteine in Salzburg, hier für zwei katholische Geistliche, deren zwischenzeitliche Heimat die Erzabtei Sankt Peter war.. Einer wurde ermordet, weil er psychisch krank war. Der andere war im Widerstand und wurde deshalb umgebracht. Gerhard Geier hat beide Stolpersteine gereinigt und poliert. (Foto: Oliver Das Gupta)

Gerhard Geier kennt alle Salzburger Stolpersteine - er hat sie geputzt. Nun erzählt er von mutigen Frauen, dem Schicksal von 18 Kleinkindern und einem Mord wenige Stunden vor Kriegsende.

Interview von Oliver Das Gupta, Salzburg

Vor einem Jahr begann Gerhard Geier damit, die Stolpersteine von Salzburg zu putzen. Der bald 80 Jahre alte ehemalige Eisenbahner reinigt mit Lappen und Bürsten die in den Boden eingelassenen Gedenktafeln für Opfer der nationalsozialistischen Terrorherrschaft. Nachdem der Sozialdemokrat verschiedene Reinigungsmittel ausprobiert hat, blieb er bei einer einfachen Mixtur aus Wasser, Salz und etwas Essig oder Zitrone.

SZ: Herr Geier, Sie haben vor einem Jahr damit angefangen, alle Stolpersteine Salzburgs zu putzen ...

Gerhard Geier: ...fast alle! Einer fehlt mir noch. Der befindet sich an einer Baustelle und ist momentan verdeckt von einer Metallplatte. Inzwischen dürften es mehr als 400 sein.

Wie kamen Sie überhaupt auf diese Idee?

Da muss ich etwas ausholen. 2017 bin ich mit meiner Frau von Pongau nach Salzburg gezogen. Mir ist damals gleich aufgefallen, dass die Oberflächen der Stolpersteine in unserer Wohnumgebung dunkel angelaufen und verdreckt sind. Die gehören mal geputzt, dachte ich. Und weil im Jahr darauf der 80. Jahrestag der Reichspogromnacht gegen jüdische Mitbürger anstand, habe ich das zum Anlass genommen. Obwohl ich ein paar Bedenken hatte, dass ich durch das Putzen Schmierereien provoziere. Aber das ist zum Glück bislang nicht passiert.

Nun kennen Sie über die Arbeit mit den Stolpersteinen die Lebensgeschichten von fast 400 Menschen. Gab es Momente der Überraschung?

Ich habe mich mehrmals gewundert. Ein Beispiel: Es waren überraschend viele Salzburgerinnen gegen Hitler aktiv. Gerade hier, in der Neustadt, erinnern zahlreiche Stolpersteine an diese Widerstandskämpferinnen. Diese Frauen hat ihr Kampf für das Leben in Freiheit das Leben gekostet, das war auch ein Kampf für Demokratie mit freien Wahlen. Wenn dann, wie vor wenigen Wochen, nicht einmal jeder Zweite an der Gemeindewahl teilnimmt, dann finde ich das schon traurig.

Gerhard Geier stammt ursprünglich aus Bischofshofen, einer Stadt im Pongau im Bundesland Salzburg (Foto: Oliver Das Gupta)

Welche Schicksale haben Sie besonders berührt?

Am meisten beeindruckt haben mich die 18 Stolpersteine für Sinti und Roma, dort wo sich das sogenannte "Zigeunerlager Maxglan" befunden hat, ein 19. befindet sich etwas davon entfernt. Diese Steine erinnern alle an Kinder im Alter zwischen sechs Monaten und vier Jahren. Sie sind alle in Auschwitz ermordet worden. Da drückt's einen schon stark.

Kannten Sie einige der Namen auf den Stolpersteinen?

Natürlich, zum Beispiel den Schriftsteller Stefan Zweig, der seinen Stein vor seinem früheren Wohnhaus am Kapuzinerberg hat. Und einen, den ich zufällig gleich zu Beginn gereinigt habe: der für Karl Steinocher, einem Eisenbahner im Widerstand. Dessen gleichnamiger Sohn war hier nicht nur Landeshauptmann-Stellvertreter in den sechziger und siebziger Jahren, sondern auch ein väterlicher Freund für mich.

Und Ihren bislang letzten Stein, wann haben Sie den geputzt?

Das war im August 2018, als ich den Stein für Michael Chartschenko im Salzburger Volksgarten gereinigt habe. Der sowjetische Kriegsgefangene war vom KZ Dachau nach Salzburg gebracht worden, damit er Schutt wegräumt und Bombenblindgänger entschärft.

Eine lebensgefährliche Aufgabe.

Ja, aber die hat er überstanden. Das KZ Dachau wurde am 29. April 1945 befreit. Fünf Tage später kamen die Amerikaner auch nach Salzburg, aber das hat Chartschenko nicht mehr erlebt. Er wurde wenige Stunden vorher von SS-Männern im Volksgarten erschossen.

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