Bundestag:Mützenich führt SPD-Fraktion bis 2025

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94,7 Prozent Zustimmung seiner Fraktionskollegen: Rolf Mützenich, der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion am Montag. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Er ist eine Stütze für Kanzler und Koalition, zuletzt musste er viele Konflikte entschärfen. Nun ist Rolf Mützenich erneut als Chef der Bundestags-SPD gewählt - einen Dämpfer gab es aber für eine wichtige Kollegin.

Von Georg Ismar, Berlin

Mit einer Zustimmung von 94,7 Prozent ist Rolf Mützenich erneut zum Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion wiedergewählt worden und soll helfen, die Koalition in ein ruhigeres Fahrwasser zu führen. Bei der Wahl in der Sitzung der Bundestagsfraktion erhielt der 64-Jährige am Montag bei 190 abgegebenen Stimmen 180 Ja-Stimmen, neun Abgeordnete stimmten mit Nein, zudem gab es eine Enthaltung. Damit bekam er ein etwas schlechteres Ergebnis als zuvor. Bei der Wahl 2021 bekam er 97 Prozent, bei der ersten Wahl 2019 gab es eine Zustimmung von 96,6 Prozent.

Damit führt Mützenich die Fraktion bis mindestens 2025. Er galt nach dem Rücktritt von Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles zunächst als Übergangslösung, ist aber nun der am längsten am Stück amtierende Fraktionsvorsitzende der SPD seit mehr als 30 Jahren, seit Hans Jochen-Vogel. Peter Struck war zwar länger im Amt seither, aber in zwei unterschiedlichen Amtszeiten (1998 bis 2002 und 2005 bis 2009). Mützenich sei in der jetzigen Lage, mit seiner ruhigen, auf Kompromisse ausgerichteten Art "ein Glücksfall" und ein "großer Integrator", meinten mehrere SPD-Abgeordnete nach der Wahl ihres alten und neuen Fraktionschefs.

Einen deutlichen Dämpfer gab es für die Parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion Katja Mast. Sie ist für die Koordination von Abstimmungen, Gesetzesvorhaben und der Tagesordnung mit den anderen Parteien verantwortlich, von einigen SPD-Politikern wird aber kritisiert, dass sie viel zu wenig öffentlich wahrnehmbar sei. Mast erhielt eine Zustimmung von nur 69,4 Prozent, bei ihrer ersten Wahl vor zwei Jahren kam sie auf 82,1 Prozent. Mast hatte die Nachfolge von Carsten Schneider angetreten, der zum Ostbeauftragten der Bundesregierung berufen worden war.

Er hat schon Ideen, wie der Haushaltsentwurf geändert wird

Mützenich ist zu einer wichtigen Stütze des Kanzlers geworden, bemüht, Ampel-Vorhaben mit FDP und Grünen im Bundestag in mehrheitsfähige Gesetze zu gießen. Olaf Scholz war am Montag auch anwesend, nach seinem Jogging-Sturz war sein schwer in Mitleidenschaft gezogenes rechtes Auge mit einer schwarzen Augenklappe bedeckt, der Kanzler gab sich aber vor den Kameras betont gut gelaunt. Da sich der Heilungsprozess noch einige Zeit hinziehen dürfte, ist geplant, dass der Kanzler mit dem piratenähnlichen Augenschutz unter anderem auch beim G-20-Gipfel in Indien auftreten wird.

Zuletzt war wegen der Umfragewerte auch in den eigenen Reihen die Nervosität gewachsen - mit dem Beschluss, der Industrie mit einem staatlich gedeckelten Strompreis zu helfen, stellte sich die Fraktion bei ihrer Klausur in Wiesbaden auch gegen die Linie des Kanzlers.

Ein Streitpunkt der kommenden Wochen dürfte der Bundeshaushalt für das kommende Jahr werden, in dem die Schuldenbremse wieder eingehalten werden soll. "Wir haben noch Ideen, wie wir als SPD-Fraktion noch einiges ändern können", sagte Mützenich vor der Fraktionssitzung. Der Haushalt werde den Bundestag nicht so verlassen, wie ihn die Regierung diese Woche einbringe. Da sehe er noch "Änderungsbedarf in einzelnen Titeln". Die Spielräume seien aber begrenzt, zudem könne es noch die eine oder andere Überraschung geben, auch bei der Steuerschätzung im November.

Ein Seismograf, der mögliche Rebellionen fühlen soll

Er werde weiter für einen Industriestrompreis kämpfen. "Ich suche keinen Streit, ich suche nach Lösungen", beschrieb Mützenich seinen Stil, den er fortsetzen wolle. Der Staat solle in Sachen Strompreise nicht mit einem Füllhorn durch die Gegend laufen, sondern versuchen, mit einem befristeten "Transformationsstrompreis" Industrieunternehmen im Lande zu halten: "Wir werden es auch nicht zulassen, dass der Wirtschaftsstandort Deutschland heruntergeredet wird."

Umstritten ist in der Koalition, gerade auch in der SPD, zudem die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine, damit diese bei der Offensive gegen die russischen Truppen besser vorankommt. Das Kanzleramt will verhindern, dass damit auch russisches Territorium angegriffen werden könnte. Mützenich, der lange auf einen Ausgleich mit Russland gesetzt und die Kriegsgefahr unterschätzt hatte, warnt immer wieder vor der Eskalationsgefahr durch solche Waffenlieferungen.

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Für Scholz ist der aus einer Kölner Arbeiterfamilie stammende Mützenich auch eine Art Seismograf, wann eine Rebellion gegen Regierungsvorhaben drohen könnte. Er war maßgeblich daran beteiligt, das Heizungsgesetz so zu entschärfen, dass es mehr Spielraum, längere Übergangsfristen und eine höhere Förderung für den Austausch alter Gas- und Ölheizungen gibt. Das Gesetz soll nun am Freitag vom Deutschen Bundestag beschlossen werden.

Bei der Wahl des Geschäftsführenden Vorstands wurden alle acht bisherigen stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden wiedergewählt: Gabriela Heinrich (Schwerpunkt: Außen, Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte); Verena Hubertz (Wirtschaft, Bau, Wohnen, Tourismus); Matthias Miersch (Umwelt, Klimaschutz, Energie, Landwirtschaft, Verbraucherschutz); Detlef Müller (Verkehr und Digitales); Achim Post (Haushalt, Finanzen, Europa); Sönke Rix (Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Bildung und Forschung); Dagmar Schmidt (Arbeit, Soziales, Gesundheit) und Dirk Wiese (Innen, Recht, Petitionen, Sport, Kultur).

Rolf Mützenich betonte, Kontinuität sei wichtig, man habe seiner Meinung nach bisher erfolgreich gearbeitet. Aber es zeichnet sich ab, dass die Konflikte in der Koalition nicht weniger werden dürften.

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