SPD-Parteitag:Ein bisschen Voodoo für die Seele

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"Wir werden das Ding gewinnen": Wie Steinmeier nach einer historischen Schlappe auf dem Parteitag seine Genossen mobilisiert.

Nico Fried, Berlin

Es gibt, noch bevor Frank-Walter Steinmeier seine Rede beginnt, schon ein kleines Indiz, dass an diesem Sonntag etwas anders sein könnte. Vorne auf der Bühne ehrt der stellvertretende Parteivorsitzende Steinmeier einige SPD-Mitglieder, die an diesem 14. Juni Geburtstag haben. Blumensträuße wandern von Hand zu Hand.

Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier (vorne) lässt sich nach seiner Rede von den Genossen feiern - auch die SPD-Linke Andrea Nahles und Parteichef Franz Müntefering (erste Reihe hinter Steinmeier) zollen ihm Beifall (Foto: Foto: dpa)

Plötzlich ist über die offenen Mikrofone dieses ziegenbockhafte, ein wenig dreckige Lachen Steinmeiers zu hören. Es ist ein Lachen, das er nicht imitieren kann, nur um gute Laune vorzuspielen. Wenn er so lacht, dann ist er wirklich gut gelaunt. Man hat das länger nicht gehört.

"War Mist"

Wieder mal ein Parteitag der SPD in Neukölln, am Rande von Berlin. Das Hotel Estrel haben die Sozialdemokraten in den vergangenen Jahren so oft gebucht, dass sie es allmählich vielleicht besser kaufen sollten. Wiederholt wurden hier Parteivorsitzende ausgetauscht und einmal, 2005, gab ein amtierender Bundeskanzler namens Gerhard Schröder in diesem Saal das Signal zu einer bemerkenswerten Aufholjagd im Bundestagswahlkampf. Schröder aber sitzt nur noch in Reihe 1 bei den Ehrengästen und wartet auf das, was da nun kommt.

Es kommt: Frank-Walter Steinmeier, der Kanzlerkandidat. Er streift das Ergebnis der Europa-Wahl; fast ist man versucht zu sagen: Er streift es ab. Der letzte Sonntag sei kein guter Tag gewesen, sagt Steinmeier. "War Mist, hat mich geärgert wie Euch." Aber nun sei ein neuer Sonntag, an dem es um Orientierung gehe, um "das Fundament für einen fulminanten Wahlkampf". Dafür wolle er sich "reinhängen". Er sehe keinen Grund, "uns kleinere Ziele zu stecken", sagt er.

Steinmeier wirkt konzentriert, aber nicht angespannt. Das ist schon erstaunlich angesichts der Erwartungen an ihn und seinen Auftritt heute. Er braucht nicht lange, um in Fahrt zu kommen. Er hat sich etwas vorgenommen, und schon nach wenigen Sätzen wird klar, dass er einen selbstbewussten Ton trifft, der für diesen Anlass genau richtig ist. "Das Ding ist offen, wir werden es offen halten, und am Ende werden wir es gewinnen", ruft Steinmeier und alle jubeln.

Die Wirklichkeit draußen ist hart genug, hier drinnen wünschen sich die Delegierten Suggestion. Ein bisschen Voodoo.

Die Kanzlerin bekommt die Stiche ab. Steinmeier kritisiert sie so deutlich wie noch nie, nennt sie sogar beim Namen, was er bisher meist vermieden hat. Angela Merkels Politikstil beschreibt er so: "Abwarten, abgucken - und dann draufsetzen". Die Union, so schimpft der Kandidat weiter, habe hinterher immer alles besser gewusst, "aber wir waren die, die vorher die Arbeit gemacht haben".

Die Moderation Merkels könne sich das Land nicht mehr leisten, es bedürfe jetzt der Führung, sagt Steinmeier, und damit meint er sich, was man dazu sagen muss, schließlich war seine Stärke bislang auch eher die Moderation.

An dieser Stelle nun entwickelt sich ein kleiner Dialog zwischen dem Kandidaten und seinen Zuhörern. Steinmeier nimmt eine motivische Anleihe bei Gerhard Schröder, der zur Eröffnung seiner Erfolgsgeschichten gerne den Satz röhrte: "Wir sind es doch gewesen, nicht die anderen, die ...".

Steinmeier allerdings bedient sich eines Werbespruchs für Schweizer Hustenbonbons: Mindestlohn, Managergehälter, Schulstarterpaket - wer hat's erfunden? "Die SPD", schallt es aus dem Saal zurück. Es ist eine etwas kindliche Form der Kommunikation, aber sie verbreitet doch eine gewisse Fröhlichkeit, noch so etwas, was man zuletzt in der SPD selten finden konnte.

Die meisten der knapp 500 Delegierten werden später sogar an jener Stelle jubeln, an der Steinmeier die ganze mühsame Reformpolitik der Schröder-Regierung als Grund dafür nennt, dass die Sozialkassen heute der Krise standhalten. "Gerd", sagt Steinmeier und blickt dabei zu seinem ehemaligen Vorgesetzten, "wir haben das Land wieder handlungsfähig gemacht." So heftig wurde die Agenda 2010 auf einem SPD-Parteitag noch nie beklatscht.

Nahles nickt wie ein Wackeldackel

Mit dieser Rede verhält es sich anders als mit Steinmeier-Ansprachen in der Vergangenheit. Die waren meist schon nach zehn, zwanzig Minuten, nun ja, etwas langatmig. Diesmal schafft es der Kandidat, dass man ihm auch nach einer halben Stunde und später durchaus immer noch zuhört. Dabei sagt er gar nichts Neues, er nennt die wichtigsten Botschaften des Wahlprogramms, Sicherheit für Arbeitsplätze, Mindestlohn, Bildung für alle, Ausgleich zwischen Wirtschaft und Umwelt und natürlich, dass die starken Schultern künftig mehr tragen sollten.

Es ist eher eine linke Rede, was man zum Beispiel daran sehen kann, dass Andrea Nahles in einer Frequenz zu Steinmeiers Sätzen nickt wie ein Wackeldackel im Heck eines Porsches bei Tempo 190. Am Ende sagt Steinmeier zwar ausdrücklich, die SPD bleibe auch die Partei der neuen Mitte, der kleinen Unternehmer, Existenzgründer, aber auch der Künstler und Kreativen. Doch das Links-Rechts-Schema ist eigentlich gar nicht so wichtig an diesem Tag.

Es ist einfach eine kämpferische Rede, nicht weinerlich, ohne Schuldzuweisungen, selbstbewusst. Eine Rede, von der Thomas Oppermann, der parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion und einer der Gefolgsmänner Steinmeiers später sagen wird, ihm sei ein Stein vom Herzen gefallen.

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Interessant an dieser Rede ist auch, was Steinmeier weglässt. Kein Wort mehr von der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP, jenem Konstrukt, das den eigenen Leuten und potentiellen Wählern eine reale Machtoption suggerieren sollte. Steinmeier sagt zwar immer noch, er wolle Kanzler werden, aber nicht mehr so genau, wie. Er leitet es jetzt ex negativo ab, also daraus, dass eine schwarz-gelbe Koalition verhindert werden müsste.

So ähnlich sagen er und Parteichef Franz Müntefering das zwar schon länger, aber diesmal packt Steinmeier es in eine griffige Formel: "Die marktradikale Ideologie, die uns in diese Krise geführt hat, kann doch nicht die Antwort darauf sein."

Es ist die Stelle, an der er den meisten Applaus erhält, ja geradezu Jubelstürme. Es ist die Stelle, an der Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul aufspringt, um den Redner da vorne im Stehen zu beklatschen; ausgerechnet Wieczorek-Zeul, die Steinmeier nicht nur, sagen wir, mäßig eng verbunden ist, sondern die als dienstälteste SPD-Ministerin auch aus eigener Erfahrung weiß, dass die Ideologie, die sie mit ihrem Applaus verteufelt, zumindest nicht die war, die in den letzten elf Jahren in Deutschland regiert hat.

Aber um solche Spitzfindigkeiten geht es nicht an diesem ersten Sonntag nach der brutalsten Wahlschlappe der SPD seit 60 Jahren. Die Fähigkeit der Sozialdemokraten, sich gegenseitig zu bekämpfen, wird nur übertroffen von der Fähigkeit, sich selbst zu feiern. Allerdings geht das eine seit einigen Jahren nicht mehr ohne das andere.

Seit etwas mehr als einer Stunde steht Steinmeier nun auf diesem runden Podium, eher mittig im Saal, nicht mehr an der Rampe einer breiten Bühne. Die neue Anordnung erinnert ein bisschen an einen Boxring, der Redner erhöht, die Zuschauerplätze drumherum. Verschwunden sind die Reihen mit den Vorstandsmitgliedern im Hintergrund, verschwunden ist das, was immer aussah wie ein Zentralkomitee, wie es Franz Müntefering scherzhaft sagt, wobei sein unbewegter Blick während Steinmeiers Rede lange wie das letzte Relikt dieser Zeit anmutet.

Am Ende dieser beachtlichen Rede aber lacht auch Müntefering wie befreit. Während des Schlussapplauses ignoriert er den Wink Steinmeiers, zu ihm aufs Podium zu kommen. Der Parteichef überlässt dem Kandidaten die Bühne. Das hat sich geändert, im Vergleich zu den vergangenen Tagen und Wochen. Auch das.

© SZ vom 15.06.2009/aho - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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