SPD-Parteitag:Die Gewinner und Verlierer des SPD-Parteitags

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Schulz und Dreyer können sich freuen auf dem SPD-Parteitag - Scholz wurde abgestraft. (Foto: AFP)
  • Die SPD-Basis hat auf dem Bundesparteitag neben Parteichef Martin Schulz auch anderes Spitzenpersonal neu gewählt.
  • Olaf Scholz wird abgestraft, Malu Dreyer mit großer Mehrheit zur stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt.
  • Die Wahlergebnisse zeigen ein tiefes Misstrauen gegen die Führung.

Von Christoph Hickmann, Berlin

Als Olaf Scholz am Donnerstagabend mal wieder ans Rednerpult eilte, schaute er einen Augenblick nicht genau hin. Er setzte den Fuß falsch, geriet ins Stolpern und strauchelte kurz. Dann fing er sich wieder, doch mit ein bisschen Mut zum Aberglauben konnte man den Stolperer im Nachhinein durchaus zum bösen Omen umdeuten: Am späteren Abend straften die Delegierten des SPD-Bundesparteitags Scholz bei der Wiederwahl zum Parteivize mit dem schlechtesten Ergebnis aller sechs Stellvertreter ab. 59,2 Prozent. Das war selbst für die Verhältnisse des in der SPD noch nie rasend beliebten Hamburger Bürgermeisters ein Tiefschlag.

Wahlergebnisse auf Parteitagen sind stets aufschlussreich, was die internen Machtstrukturen angeht: Wer hat breiten Rückhalt, wer ist eher unpopulär, wer ist im Kommen, wer auf dem absteigenden Ast? Und nachdem am Donnerstag die große inhaltliche Richtungsentscheidung erledigt war, Parteichef Martin Schulz also das Mandat für weitere Gespräche mit der Union bekommen hatte, bot das Delegiertentreffen in Berlin noch einige macht- und personalpolitische Erkenntnisse. Wie also sortiert sich hinter Schulz das sozialdemokratische Spitzenpersonal?

Scholz wird abgestraft

Und damit noch einmal zu Scholz. Wie gesagt, populär war er in der SPD noch nie - aber der Denkzettel vom Donnerstagabend fiel dann doch äußerst kräftig aus. Viele Delegierte, vor allem aus dem Schulz-Lager, dürften Scholz seine Wortmeldungen der vergangenen Wochen heimgezahlt haben. Der Bürgermeister hatte sich mit eigenen Vorschlägen in die Debatte über die künftige Ausrichtung der SPD eingeschaltet und Kontraste zum Vorsitzenden gesetzt. Außerdem hatte er in diversen Interviews demonstrativ darauf verzichtet, Martin Schulz mit den üblichen diplomatischen Formeln seine Ergebenheit auszusprechen.

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(Foto: Carsten Koall/Getty Images)

Liebling der Partei: Malu Dreyer.

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(Foto: Tobias Hase/dpa)

Misstrauisch beäugte Neue: Natascha Kohnen.

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(Foto: Carsten Koall/Getty Images)

Mit immer noch gutem Rückhalt: Manuela Schwesig.

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(Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Der neue Chef des Apparats: Lars Klingbeil.

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(Foto: Getty Images)

Vom Parteitag gestraft: Olaf Scholz.

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(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Nur spröde Zuneigung: Ralf Stegner.

Dass Scholz sich selbst für den besseren Vorsitzenden hält, daran bestand ohnehin nie ein Zweifel. Allerdings könnte auch mancher enttäuschte Scholz-Unterstützer dem Bürgermeister die Stimme verweigert haben - schließlich hatte er durch seine Nadelstiche bei manchen Genossen Hoffnung geweckt, er könnte womöglich doch noch putschen und nach dem Vorsitz greifen. Doch gesprungen war er dann am Ende nicht. Wieder mal nicht.

Den Gegenpol zum abgestraften Scholz verkörperte Malu Dreyer. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin fuhr mit 97,5 Prozent das mit großem Abstand beste Ergebnis aller Stellvertreter ein. Das hatte sich abgezeichnet. Dreyer gilt spätestens seit ihrem Sieg bei der Landtagswahl im vergangenen Jahr als Liebling der Partei. Damals hatte sie schon vermeintlich aussichtslos hinter ihrer CDU-Herausforderin Julia Klöckner gelegen, dann aber eine Aufholjagd gestartet und am Ende deutlich gewonnen - und zwar, mitten in der Debatte über die Flüchtlingspolitik, mit einer konsequent flüchtlingsfreundlichen Position.

Malu Dreyer nimmt den Platz von Hannelore Kraft ein

Auch in den vergangenen Wochen, seit dem Platzen der Jamaika-Sondierungen, hatte Dreyer vielen Genossen aus dem Herzen gesprochen, indem sie immer wieder ihre Sympathie für eine Minderheitsregierung zu erkennen gab. Das kam und kommt bei all jenen gut an, die gegen eine große Koalition sind. Und das sind offenkundig viele in der SPD.

Als neue stellvertretende Parteivorsitzende nimmt Dreyer den Platz von Hannelore Kraft ein, die ihren Posten nach der Niederlage bei der nordrhein-westfälischen Landtagswahl im Mai geräumt hatte. Und nicht nur rein formal füllt die Frau aus Rheinland-Pfalz mehr und mehr jene Rolle aus, die Kraft einmal für die SPD gespielt hat. Auch Kraft war zeitweise in der Partei äußerst populär, auch sie hielt stets eine gewisse Distanz zum Berliner Betrieb - so wie es ihre Nachfolgerin aus Mainz tut. Da Dreyer außerdem immer wieder glaubhaft jedwede Ambitionen auf Parteivorsitz oder Kanzlerkandidatur verneint hat, steht sie auch nicht gleich unter Obstruktionsverdacht, wenn sie eigenständige Positionen vertritt.

Und hinter Dreyer? Kam bei den Wahlergebnissen der Stellvertreter erst mal länger nichts. Dann folgte mit 86 Prozent, also einem noch ordentlichen Ergebnis, Manuela Schwesig. Anders als Dreyer, dürfte sich die Regierungschefin von Mecklenburg-Vorpommern auf mittlere Sicht allerdings nicht mit der Rolle als Ministerpräsidentin zufriedengeben. Sie gilt als Kandidatin für die Zeit nach Schulz. Ihr Ergebnis zeigt, dass es ihr an Rückhalt unter den Delegierten schon mal nicht mangelt.

Ansonsten kam in den Wahlergebnissen etwas zum Ausdruck, was schon in der Debatte über eine mögliche Regierungsbeteiligung deutlich geworden war: ein tiefes Misstrauen gegen die Führung. Viele Genossen sind offenbar überzeugt, dass die Parteispitze zwar "ergebnisoffene" Gespräche mit der Union proklamiert, in Wahrheit aber längst auf die große Koalition zielt und überhaupt ihr eigenes Spiel spielt.

Global betrachtet, Wie Schulz die Union mit Europa aushebeln will (Video: SZ/wochit/Reuters)

Nur so sind Ergebnisse wie die von Natascha Kohnen und Thorsten Schäfer-Gümbel zu erklären. Beide haben 2018 als Spitzenkandidaten Landtagswahlen zu bestehen, Kohnen in Bayern, Schäfer-Gümbel in Hessen. Üblicherweise stattet die Partei ihre Wahlkämpfer mit guten Ergebnissen aus. Doch Kohnen kam bei ihrer Wahl zur Stellvertreterin nicht über 80,1 Prozent hinaus, während Schäfer-Gümbel bei seiner Wiederwahl 78,3 Prozent erhielt. Ähnlich lief es am Freitag bei der Wahl von Lars Klingbeil zum Generalsekretär: Er kam auf nur 70,6 Prozent. Ihm dürften aber auch diverse Frauen die Stimme verweigert haben, die auf eine weibliche Generalsekretärin gehofft hatten.

Sigmar Gabriel hält sich wohlweislich zurück

Und dann sind da noch zwei Figuren, die beim Parteitag gar nicht zur Wahl standen. Zum einen ist da Andrea Nahles, Chefin der SPD-Bundestagsfraktion. In der Debatte zur Regierungsbildung zeigte sie mit einer kurzen Rede, dass sie im Auftritt besser geworden ist - auch wenn sie mit dem Ausruf "Bätschi" der Union verbal die Zunge herausstreckte und damit einmal mehr einen Hang zum Infantilen zeigte. Ihre Position ist trotzdem stärker denn je, sie dürfte in den nächsten Wochen eine entscheidende Rolle spielen.

Zum anderen ist da Sigmar Gabriel. Als er im Januar die Führung an Martin Schulz abgab und ins Außenministerium wechselte, da hieß es in der Partei, seine Zeit sei nach der Wahl endgültig vorbei. Doch seit über eine neue große Koalition diskutiert wird, ist Gabriel wieder im Spiel. Aus der Debatte am Donnerstag hielt er sich wohlweislich heraus. Der Ex-Parteichef weiß: Je weniger er öffentlich sagt, desto besser seine Chancen, auch im nächsten Kabinett zu sitzen.

© SZ vom 09.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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