Michael Müller gegen Sawsan Chebli:"Aber meine Mutter kennt sie nicht"

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Beide wollen für Charlottenburg in den Bundestag: Noch-Bürgermeister Michael Müller und seine Staatssekretärin Sawsan Chebli. (Archivbild von 2017) (Foto: Jörg Carstensen/dpa)

Wird da eine talentierte Frau in der SPD von einem langjährigen Amtsträger um einen aussichtsreichen Bundestags-Wahlkreis gebracht? Wie der Regierende Bürgermeister in Berlin und seine Staatssekretärin gegeneinander kämpfen.

Von Jan Heidtmann, Berlin

Sawsan Chebli ist genervt. Sie würde lieber "mal wieder über die Inhalte reden, die mich beschäftigen", doch seit einer Woche geht es immer nur um sie selbst. Und um den Regierenden Bürgermeister Michael Müller, dessen Staatssekretärin sie ist. In den Medien, auf Twitter und auch ein bisschen jetzt, an diesem Mittwochabend, im Willy-Brandt-Haus, wo die SPD Friedrichshain-Kreuzberg ihr Büro hat.

Es trifft sich die AG Vielfalt, zehn Leute, es sollte eine Art Auszeit sein für Chebli. Sie habe hier keine "aktive Rolle", sagt sie, "ich will nur zuhören". Doch der Moderator der Runde, der sie vorstellt, sagt, "wegen dieser Kandidatur in Charlottenburg-Wilmersdorf" sei Chebli derzeit mal wieder in den Medien.

Diese Kandidatur in Charlottenburg-Wilmersdorf. Seit einer Woche beschäftigt sie die Landespolitik, selbst der mutmaßlich islamistische Anschlag auf der Stadtautobahn am Dienstagabend konnte das Thema nicht verdrängen. Chebli, 42, ist dabei wahlweise die junge, talentierte Frau, die von Männern in Hinterzimmergesprächen verdrängt wird - oder die illoyale Twittergröße, die in Wahrheit nur ein Thema kennt: sich selbst. Müller wiederum ist der baldige Bürgermeister a.D., der rücksichtslos um seine politische Zukunft kämpft - oder der langjährige Landeschef, der einen würdigen Abgang verdient.

Unumstritten ist: Im Herbst 2021 wird nicht nur im Bund, sondern auch im Land Berlin gewählt. Müller wird nicht mehr als Bürgermeister antreten und will in den Bundestag. Seinen Heimatwahlkreis Tempelhof-Schöneberg hat ihm Juso-Chef Kevin Kühnert genommen, weil der, während Müller zögerte und zauderte, einfach dort seine Kandidatur für den Bundestag anmeldete.

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Mit ihrer Ankündigung, sich in Charlottenburg-Wilmersdorf für ein Bundestagsmandat zu bewerben, macht Staatssekretärin Chebli Berlins Regierendem Bürgermeister Müller Konkurrenz.

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Doch statt gegen Kühnert anzutreten, ist Müller in den Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf ausgewichen. Dort regieren zwei seiner engsten Vertrauten den SPD-Kreisverband, der Chef seiner Senatskanzlei und sein Strategieberater. Sawsan Chebli ist hier seit Jahren Mitglied. Wenige Tage nachdem Müller seine Kandidatur in dem Westberliner Bezirk angemeldet hatte, gab auch Chebli ihre Bewerbung ab. Es ist ein Zweikampf, der der SPD in Berlin schadet und Müllers Ruf ramponiert.

Für Sawsan Chebli hingegen scheint noch alles möglich zu sein, je nachdem, mit wem man redet. Wobei reden derzeit heißt: keine Namen, kaum direkte Zitate, niemand möchte in den Streit hineingezogen werden. Redet man also unter diesen Bedingungen mit den Leuten, die zu Müllers Lager gehören, heißt es, Chebli habe keine Chance, in Charlottenburg-Wilmersdorf gegen Müller zu gewinnen. Gediegen-bürgerlich, ältere Mitgliedschaft, zu den wichtigsten Themen gehöre Wohnen und Mieten. Ein Bezirk maßgeschneidert für den 55-jährigen Müller. Seit 2013 wird der Wahlkreis von der CDU vertreten, Müller wäre bekannt genug, um das zu ändern, Chebli nicht. "Sie ist vielleicht twitterbekannt, auch deutschlandweit", sagt einer, der sich nicht zu den Müller-Fans zählt. "Aber meine Mutter kennt sie nicht."

Es gibt zwei Grundvorhalte, die einem bei diesen Gesprächen über Sawsan Chebli immer wieder begegnen. Sie habe ein recht enges Spektrum an Themen, das sie bediene: Gleichstellung, Migration, Anti-Rassismus, oft abgeleitet aus ihrer eigenen Herkunft als Kind einer palästinensischen Flüchtlingsfamilie. Und natürlich Twitter, wo Chebli mit übelsten Tweets überzogen wird und ihrerseits harte Debatten führt. Außerdem wird kritisiert, dass Chebli nicht in der Partei verwurzelt sei, weil sie keine Kärrnerarbeiten leiste.

Netzwerkerin mit eigener Agenda

Tatsächlich ist sie eine gute Netzwerkerin. Dabei verfolgt sie aber mehr ihre eigene Agenda als die der Parteifunktionäre. Doch Andreas Czubaj kennt auch eine andere Seite. Er ist Vorsitzender der SPD-Abteilung Ku'damm, dem Unterverband, in dem Chebli Mitglied ist. "Da kämpfen zwei Politgrößen um die Macht", sagt er. "Aber das, was sie hier gemacht hat, hat sie gemacht, ohne dass immer Chebli draufstand." Seit gut zwei Jahren sei sie regelmäßig zu den Treffen gekommen, habe sich in den Diskussionen engagiert.

Während des Europawahlkampfes sei sie an Infotischen "für ganz andere Kandidaten" gestanden. Sie sei eine von vielleicht zehn Leuten gewesen, die Wahlzettel verteilt hätten. Auch deshalb habe die Abteilung sie einstimmig dem Bezirk als Bundestagskandidatin vorgeschlagen.

Die Lage zwischen Müller und Chebli erinnert inzwischen an einen jahrelangen Beziehungsstreit: Wer hat wann was gesagt? Das Lager Müller meint, Chebli habe nie deutlich gemacht, dass sie in dem Bezirk kandidieren wolle. Chebli sagt, dass sie bereits vor einem Jahr dem Kreisvorsitzenden ihr Interesse signalisiert habe. Nur aus Rücksicht auf Müller habe sie ihre Kandidatur nicht früh offiziell angemeldet. Sie wollte nicht so ruchlos sein wie Kevin Kühnert. Aber jetzt, da Müller seinerseits keine Rücksicht auf sie genommen habe, "sehe ich für mich überhaupt nicht, warum ich ausweichen sollte".

Vielleicht aus Loyalität ihrem Chef gegenüber, der sie 2016 zur Staatssekretärin gemacht hat? Sie sei Müller für diese Chance sehr dankbar, sagt Chebli. "Ich bin aber nicht deshalb undankbar, weil ich in meinem Heimatbezirk kandidiere."

Chebli will jetzt die Parteibasis entscheiden lassen. Dabei könnte sie bessere Chancen auf die Kandidatur haben, als Müller annimmt. Denn viele Mitglieder verübelten ihm sein Manöver, sagt jemand, der den Bezirk gut kennt. "Ich halte die Situation für sehr gefährlich für Michael Müller."

© SZ vom 22.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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