Regierungsbildung in Spanien:Sánchez stellt sich dem Parlament

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Pedro Sánchez (li.) und sein möglicher Koalitionspartner Pablo Iglesias, Chef der linken Podemos-Partei. Iglesias verzichtete jüngst auf ein Regierungsamt. (Foto: dpa)
  • Sozialisten-Chef Sánchez stellt sich am Dienstag im spanischen Parlament der Wiederwahl zum Ministerpräsidenten.
  • Es zeichnet sich eine Koalition seiner PSOE mit dem linksalternativen Bündnis Podemos ab.
  • Die beiden Parteien verfügen aber über keine Mehrheit im Parlament. Sánchez ist deshalb auf die Stimmen kleinerer Regionalparteien angewiesen.

Von Thomas Urban, Madrid

Kurz vor der Parlamentsabstimmung über die neue Regierung zeichnete sich in Madrid eine Koalition aus der Spanischen Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE) und dem linksalternativen Bündnis Podemos ab. Der geschäftsführende Premierminister Pedro Sánchez (PSOE) gab sich am Wochenende optimistisch, dass er genügend Stimmen unter den Abgeordneten finden werde, um weiterhin im Amt zu bleiben.

Allerdings verfügen PSOE und Podemos zusammen nur über 165 der 350 Mandate in den Cortes, dem gesetzgebenden Unterhaus des Parlaments. Sánchez ist somit auf die Unterstützung mehrerer kleiner Regionalparteien angewiesen, an erster Stelle der Baskischen Nationalistischen Partei (EAJ-PNV), die trotz ihres Namens gemäßigte Positionen vertritt.

Der Zeitplan des Parlaments sieht vor, dass sich Sánchez am Dienstag dem Votum der Abgeordneten stellt. Für den wahrscheinlichen Fall, dass er die absolute Mehrheit von 176 Stimmen verfehlt, ist für Donnerstag ein zweiter Wahlgang angesetzt, bei dem ihm die einfache Mehrheit, also mehr Ja- als Nein-Stimmen, reichen würde.

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Dafür müssten sich allerdings die Abgeordneten der separatistischen Parteien aus Katalonien enthalten, falls sie nicht für ihn stimmen sollten. Denn die drei Fraktionen des rechten Spektrums haben angekündigt, geschlossen gegen Sánchez zu stimmen; die rechtsliberale Bürgerpartei (Ciudadanos), die konservative Volkspartei (PP) und die nationalistische Gruppierung Vox verfügen zusammen über 147 Sitze.

Noch am Donnerstag hatte Sánchez die Gespräche mit Podemos-Chef Pablo Iglesias für gescheitert erklärt, PSOE-Politiker sprachen von Neuwahlen; es würden die vierten innerhalb von dreieinhalb Jahren sein. Iglesias hatte nicht nur ein Sozialprogramm gefordert, das nach Meinung der Wirtschaftsexperten der PSOE nicht finanzierbar ist, sondern auch eine Abkehr von der Abschottungspolitik Madrids gegenüber Migranten aus Afrika. Überdies bezeichnete er die katalanischen Separatistenführer, denen derzeit in Madrid der Prozess gemacht wird, als "politische Gefangene".

Diese Formulierung ist für Sánchez und die PSOE indes nicht akzeptabel. Der Premier steht an diesem Punkt unter Druck des rechten Lagers, das ihm vorwirft, der von Separatisten gestellten katalanischen Regionalregierung in Barcelona erweiterte Autonomierechte angeboten zu haben, falls diese Abstand vom politischen Ziel der staatlichen Unabhängigkeit nähme. Allein schon die Aufnahme von Gesprächen kritisierten die Parteien des rechten Lagers als "Verrat an der Nation"; stattdessen fordern sie geschlossen die erneute Absetzung der Führung in Barcelona.

Nach den Berichten der Madrider Presse hat Sánchez den Basken finanzpolitische Zugeständnisse für den Fall in Aussicht gestellt, dass sie seine Wahl unterstützen. Unklar aber war am Wochenende die Haltung der insgesamt 18 Parlamentsabgeordneten der separatistischen Gruppierungen aus Katalonien.

Im Mai 2018 hatten sie gemeinsam mit den Basken Sánchez bei seinem Misstrauensvotum gegen den bisherigen konservativen Premierminister Mariano Rajoy (PP) unterstützt, aber im Februar seinen Haushaltsentwurf scheitern lassen und somit vorgezogene Wahlen im April herbeigeführt. Diese gewann zwar die PSOE mit knapp 29 Prozent, doch wie schon bei den vorherigen Legislaturperioden sind Basken und Katalanen die Mehrheitsbeschaffer zwischen rechtem und linkem Lager geblieben.

Iglesias fordert fünf Ministerien für Podemos

Iglesias hatte Sánchez während der Verhandlungen vorgeworfen, sich so aufzuführen, als könne er sich auf die absolute Mehrheit der Abgeordneten stützen. Am Freitag gab er überraschend den Verzicht auf seine Forderung bekannt, als Minister dem künftigen Kabinett anzugehören.

Doch beanspruchte er für Podemos fünf Ministerien, darunter die Ressorts für Arbeit und Soziales sowie für Ökologischen Umbau. Iglesias hatte zuvor vergeblich versucht, auf Sánchez Druck auszuüben, indem er die Podemos-Basis über seine Forderung nach einem Ministeramt hatte abstimmen lassen; 70 Prozent stimmten dem zu.

Allerdings haben PSOE-Politiker auch unverhohlen mit Neuwahlen gedroht, falls Sánchez im Parlament scheitern sollte. Den Umfragen zufolge würde die PSOE dabei weiter zulegen - und zwar auf Kosten von Podemos. Iglesias war ohnehin einer der großen Verlierer der vorgezogenen Wahlen im April: Podemos hatte gegenüber dem letzten nationalen Urnengang vor drei Jahren ein Drittel seiner Wähler verloren und war auf 14,3 Prozent geschrumpft.

PSOE-Politiker gaben zu verstehen, dass Sánchez Podemos keinen Zugriff auf die Haushaltspolitik gestatten werde. Der Premier sieht sich hier offenbar unter Druck der konservativen Basken, die auf Haushaltsdisziplin bestehen und jederzeit das nun anvisierte Minderheitskabinett kippen könnten.

© SZ vom 22.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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