Politische Kultur:Mut der Minderheit

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So etwas wie der Gründer des modernen Spanien: der Sozialist Felipe González im Jahr 1996. (Foto: Denis Doyle/AP)

Warum die Sozialdemokratie und das linke Lager in Spanien noch Erfolge feiern können - im Gegensatz zu den meisten Ländern Europas.

Von Sebastian Schoepp

Spanien ist sich treu geblieben. Sozialisten und Linksalternative zusammengenommen haben am Sonntag gleich drei rechte Parteien überflügelt. Der weitverbreitete Trend einer Neuordnung der politischen Landschaft der EU in ein liberal-marktorientiertes und ein identitär-nationalistisches Lager hat die iberische Halbinsel nicht erreicht. "In Spanien gewinnt die Linke immer dann, wenn die Wahlbeteiligung hoch ist", schrieb Ignacio Escolar, Journalist und Zeitungsgründer. Und die Beteiligung war am Sonntag so hoch wie fast nie zuvor. Es ging eben um etwas, nämlich darum, einen von vielen Analysten erwarteten Rechtsruck zu stoppen. Das mobilisiert die Wähler der Linken in Spanien.

"Während der gesamten Zeit der spanischen Demokratie haben sich in Umfragen stets mehr Spanier links verortet als rechts", stellte die Zeitung El País schon 2018 fest, kurz nachdem der Sozialdemokrat Pedro Sánchez den Konservativen Mariano Rajoy mit einem Misstrauensvotum gestürzt und eine Minderheitsregierung gebildet hatte, mit der er dann bis zuletzt achtbar regierte. Dass diese scheitern würde, war von Anfang an klar. Doch Sánchez schaffte es, dies in einen Erfolg umzumünzen, denn Schuld am Scheitern trug ja nicht er, sondern die Separatisten, die den Haushalt platzen ließen. Deshalb haben die Wähler am Sonntag die Separatisten abgestraft und nicht Sánchez. Sein Mut, etwas eigentlich Unmögliches zu versuchen, wurde honoriert. Jetzt spricht die wichtige Analyse-Plattform ctxt.es davon, dass es nur eine Links-Regierung schaffen könne, die "unverzichtbare zweite Modernisierung Spaniens hinzukriegen".

Die meisten Spanier trauen den Sozialisten am ehesten eine Erneuerung zu

Die ist in der Tat nötig. Der Streit um den Separatismus hat nicht verdecken können, dass das Krisenland eine wirtschaftliche Strukturveränderung dringend benötigt. Dass die meisten Spanier am ehesten den Sozialisten eine solche Modernisierung zutrauen, hat historische Gründe. Nach dem Putschversuch von 1981, dem letzten Aufbäumen der untergegangenen Franco-Diktatur, gewann der Sozialist Felipe González dreimal nacheinander die Wahlen. Er führte Spanien in die EU, holte das bis dato hinter den Pyrenäen irgendwie vergessene Land aus seiner Rückständigkeit. Auch wenn González heute mit den deutlich linkeren PSOE-Granden um Pedro Sánchez zerstritten ist, so wird dem Sozialisten doch kaum jemand die Rolle streitig machen, so etwas wie der Erfinder des modernen Spanien zu sein. PSOE-Politiker aus der González-Ära wie Javier Solana, Joaquín Almunia, Josep Borrell, Pedro Solbes prägten Europa mit.

Die PSOE als staatstragende Partei wird natürlich auch mal abgestraft wie 2011 nach der Regierungszeit des unglücklichen José Luis Rodríguez Zapatero. Doch sie in der Versenkung verschwinden lassen, wie in zahlreichen Ländern Europas? Dafür sind viele Spanier zu pragmatisch, man weiß, was man an den Sozis hat.

Der Rechten jedenfalls traut eine Mehrheit die Modernisierung offenbar nicht zu. Kein Wunder: Nach dem Interregnum Mariano Rajoys, der im Vergleich zu seinen jüngeren Nachfolger Pablo Casado fast ultramodern wirkte, hat sich die konservative Volkspartei (PP) ganz der Vergangenheit verschrieben. Casado pflegt einen Diskurs wie ein señorito, ein reiches Söhnchen des frühen 20. Jahrhunderts, der Epoche der Pfründe und Privilegien, der Kanzeln und Kutten, der Unterdrückung des Pluralismus. Noch extremer agiert die xenophobe Rechtsaußen-Partei Vox, die mit dem Spanien der Conquista kokettiert, als regiere im Königspalast nicht Philipp VI. sondern Philipp II. (1527 bis 1598). Manchen Vox-Parteigängern schien sogar Franco wieder salonfähig zu sein. Die Wahl hat gezeigt, dass nur eine Mini-Minderheit in diese Vergangenheit zurückwill.

Der katalanische Nationalismus bewirkte, dass der Patriotismus im ganzen Land neu auflebte

Dass überhaupt ein Rechtsruck für möglich gehalten wurde, lag am Katalonien-Konflikt. Der katalanische Nationalismus mit seiner Fahnenschwingerei führte dazu, dass auch viele Spanier ihren Patriotismus wiederentdeckten, nie sah man so viele spanische Flaggen auf der Straße wie zuletzt. Vox, die PP und auch die liberalen Ciudadanos versuchten, sich diese Dynamik zunutze zu machen, doch sie schossen mit ihrer Beschwörung der spanischen Einheit über das Ziel hinaus. Den Wählern schwante, dass Betonpolitik mehr zu einem Zerfall des Landes beigetragen hätte als Sánchez' zaghafter Dialog mit Barcelona.

Die Mischung aus Dialogbereitschaft und Standhaftigkeit, die Sánchez dabei an den Tag legte, passt gut zum Lebensgefühl Spaniens. Wie das aussieht, hat Ignacio Escolar nach der Wahl in Worte gefasst: "Spanien ist eine offene und tolerante Gesellschaft, viel moderner als die meisten Spanier selbst glauben, wesentlich weniger rassistisch als die meisten anderen europäischen Länder, es hat eine fortschrittlich denkende Mehrheit." Und es gilt dort nicht als Zeitverschwendung, wenn Ergebnisse stets neu herbeiverhandelt werden müssen. Deshalb ist auch eine Alleinregierung der PSOE denkbar, nach dem Modell Portugals, wo der Sozialdemokrat António Costa ein Minderheitskabinett führt, das sich von linken Parteien dulden lässt. Costa und Sánchez nennen als Vorbild übrigens gerne Willy Brandt. Jetzt ist es die SPD, die neidisch auf die iberische Halbinsel schielen kann.

© SZ vom 30.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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