Zwei Tage vor der Eröffnung des Prozesses gegen zwölf führende katalanische Separatisten haben am Sonntag in Madrid Zehntausende Anhänger der rechten Opposition den Rücktritt der sozialistischen Regierung unter Pedro Sánchez und die Ausschreibung von Neuwahlen gefordert.
Die Vorsitzenden der konservativen Volkspartei (PP) und der rechtsliberalen Bürgerpartei, Pablo Casado und Albert Rivera, warfen Sánchez übereinstimmend vor, mit seinem Kurs des Dialogs mit der katalanischen Führung "nationale Interessen zu verraten". Der Führer der rechtsradikalen Gruppierung Vox, Santiago Abascal, der gemeinsam mit ihnen auftrat, forderte die neuerliche Aufhebung der Autonomierechte Kataloniens, wie es bereits im Oktober 2017 geschehen war.
Nach den jüngsten Umfragen würden die drei rechts orientierten Gruppierungen im Falle von Neuwahlen gemeinsam die Mehrheit bekommen. Erst im Dezember war es ihnen gelungen bei den Regionalwahlen in Andalusien, der bevölkerungsreichsten Region Spaniens, die dort seit 36 Jahren regierende Sozialistische Arbeiterpartei (PSOE) in die Opposition zu schicken.
Als PSOE-Chef befindet sich Sánchez in einem Dilemma. Er führt in Madrid ein Minderheitskabinett, das ausgerechnet von den Abgeordneten der katalanischen Separatisten im nationalen Parlament abhängig ist. Vergeblich hat er in den vergangenen Monaten versucht, den katalanischen Regionalpräsidenten Quim Torra zur Beendigung des separatistischen Kurses zu bewegen.
Separatisten in Spanien:Anklage fordert bis zu 25 Jahre Haft für katalanische Unabhängigkeitsführer
Für den früheren Vizepräsidenten der Region, Oriol Junqueras, beantragt die Staatsanwaltschaft die Höchststrafe. Für acht weitere Angeklagte ebenfalls langjährige Haft - wegen Rebellion und Ungehorsam.
Als Gegenleistung hat Sánchez eine erweiterte Autonomie sowie die Erhöhung der Zuschüsse für die Regionalregierung in Barcelona um rund zwei Drittel angeboten. Doch Torra hält an der staatlichen Unabhängigkeit der Industrie- und Tourismusregion als politischem Ziel fest, obwohl sich bei den letzten Wahlen weniger als 40 Prozent der Wahlberechtigten dafür ausgesprochen haben. Die drei separatistischen Parteien verfügen im Regionalparlament über eine knappe Mehrheit.
Die Staatsanwaltschaft verlangt Gefängnisstrafen wegen Rebellion
Die Eröffnung des Prozesses überschattet eine Kontroverse staatlicher Justizinstitutionen über die zu verhandelnden Tatbestände. Die Staatsanwaltschaft verlangt für den katalanischen Ex-Vizepremier Oriol Junqueras, die Ex-Parlamentspräsidentin Carme Forcadell sowie die Vorsitzenden der größten separatistischen Vereinigungen, Jordi Sànchez und Jordi Cuixart, Gefängnisstrafen zwischen 16 und 25 Jahren wegen Rebellion. Doch diesen Tatbestand sieht die sogenannte Abogacía, ein offizielles Beratungsgremium des Justizministeriums, als nicht gegeben an, da dieser das Merkmal der Gewalt aufweisen muss.
Bei dem zu verhandelnden illegalen Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien am 1. Oktober 2017 war es aber nicht zu gewaltsamen Aktionen durch Unabhängigkeitsanhänger gekommen, sondern durch die spanische Polizei. Zu demselben Schluss waren Gerichte in Deutschland, der Schweiz, in Belgien und Großbritannien gekommen, die über die Auslieferung von katalanischen Politikern zu entscheiden hatten; so hat das Oberlandesgericht Schleswig im Juli 2018 das Auslieferungsbegehren Madrids im Fall des katalanischen Ex-Premiers Carles Puigdemont verworfen.
Umstritten ist auch die Anklage der "beiden Jordis", die Aktivisten Sànchez und Cuixart. Ihnen wird vorgeworfen, Demonstranten zur Behinderung einer Polizeiaktion aufgewiegelt zu haben. Videomitschnitte der Aktion belegen jedoch das Gegenteil. Die beiden Jordis haben die Demonstranten aufgefordert, friedlich nach Hause zu gehen. Ihrem Fall kommt eine besondere Bedeutung zu, ihre Verteidiger berufen sich auf die Meinungsfreiheit, die das Recht auf Propagierung einer Verfassungsänderung einschließe.
Nach Meinung der Verteidiger der Katalanen ist Madrid überhaupt nicht für das Verfahren zuständig, vielmehr müsste es in Barcelona stattfinden. Vorsorglich haben sie bereits den Gang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angekündigt und rechnen sich angesichts der bisherigen Entscheidungen der ausländischen Gerichte gute Chancen aus.
In einem offenen Brief haben 120 spanische Rechtsprofessoren vor einer drohenden Blamage für die Justiz gewarnt. Linksorientierte Medien haben nachgewiesen, dass das Justizministerium in der Amtszeit des im vergangenen Mai per Misstrauensvotum gestürzten konservativen Premiers Mariano Rajoy (PP) gezielt Staatsanwälte für den Prozess durchgesetzt habe, die der PP nahestehen. Das spanische Recht erlaubt auch Nebenkläger im Verfahren. Neben der Abogacía, die mildere Urteile fordert, tritt in dieser Eigenschaft die Partei Vox auf, die auf härtere Strafen setzt.
Parallel zu dem Madrider Prozess, der live im Fernsehen übertragen werden soll, finden mehrere Verfahren statt, die von katalanischer Seite angestrengt wurden. So hat Puigdemont in Brüssel Klage wegen Rechtsbeugung gegen den spanischen Staatsanwalt Pablo Llarena einreichen lassen; Llarena hat die Anklageschrift wegen Rebellion formuliert. Die Fassade seines Hauses in der Nähe von Barcelona wurde wiederholt von Verfechtern der katalanischen Unabhängigkeit mit Farbbeuteln beworfen. Ein Gericht in Barcelona führt überdies ein Verfahren gegen spanische Polizisten durch, die an gewaltsamen Übergriffen auf Teilnehmer des Referendums vom 1. Oktober 2017 beteiligt gewesen sein sollen. In Katalonien hat die nationalistische Studentengruppe CDR wiederholt Fernstraßen und Eisenbahnlinien blockiert; für die Zeit des Prozesses in Madrid sind weitere Aktionen angekündigt.