Erstmals mit Geschlechterquote:Sozialwahl - was ist das eigentlich?

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Peter Weiß, Bundeswahlbeauftragter für die Sozialversicherungswahlen mit seiner Stellvertreterin Doris Barnett (r.) und Gundula Roßbach, Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung Bund. (Foto: IMAGO/Jürgen Heinrich/IMAGO/Jürgen Heinrich)

Es ist die drittgrößte Wahl Deutschlands: 52 Millionen Deutsche sind dieser Tage zur Sozialwahl aufgefordert. Aber irgendwie weiß kaum jemand, was das eigentlich ist. Ein Aufklärungsversuch.

Von Nadja Tausche, Berlin

Die meisten Leserinnen und Leser dürften bereits Post bekommen haben: Per Brief werden sie zur Teilnahme an der "Sozialwahl" aufgefordert. Aber was ist das eigentlich und sollte man da mitmachen?

Was ist die Sozialwahl?

Bei der Sozialwahl stimmen Wahlberechtigte darüber ab, wer sie in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Unfallversicherung vertritt. Die Idee: Wer Sozialversicherungsbeiträge zahlt, soll auch ein Mitspracherecht haben, für was diese Beiträge eingesetzt werden. Dazu stimmen die Wähler über Vertreterinnen und Vertreter ab, die sich in den Kranken-, Pflege-, Renten- und Unfallversicherungen für ihre Interessen einsetzen. Diese gewählten Vertreterinnen und Vertreter arbeiten ehrenamtlich.

Die Sozialwahl findet seit 1953 alle sechs Jahre statt. Wahlberechtigt sind in diesem Jahr rund 52 Millionen Versicherte. Die Organisatorinnen und Organisatoren sprechen von der drittgrößten Wahl in Deutschland nach der Bundestagswahl und der Europawahl.

Wie läuft die Wahl ab?

Wahlberechtigte finden die Wahlunterlagen zwischen April und Mitte Mai in ihrem Briefkasten. Wer bis zum 11. Mai keinen Brief bekommen hat, kann diesen auch aktiv anfordern. Möglich ist die Wahl für Versicherte der Techniker Krankenkasse, DAK-Gesundheit, Barmer, KKH und Handelskrankenkasse hkk sowie der Deutschen Rentenversicherung Bund. Wählerinnen und Wähler müssen die Briefwahlunterlagen dann bis spätestens 31. Mai ausgefüllt zurückgeschickt haben.

Sie wählen dabei eine Liste: Davon stellt jede Krankenkasse mehrere auf, eine Übersicht ist hier zu finden. Dabei treten Gewerkschaften wie Verdi oder die IG Metall an, aber auch gewerkschaftsunabhängige Gruppen. Die Wahl ist ab 16 Jahren möglich, wenn man eigenständig versichert ist, auch Menschen mit ausländischer Staatsbürgerschaft können wählen. Die Ergebnisse der Wahl sollen im Juni vorliegen.

Was ist dieses Jahr neu?

In diesem Jahr können Wahlberechtigte erstmals auch online an der Sozialwahl teilnehmen. Spätestens am 31. Mai müssen sie dabei ihr Kreuz setzen, möglich ist die Online-Wahl nur bei den Krankenkassen. Peter Weiß, der Bundesbeauftragte für die Sozialversicherungswahlen, nannte die Wahl am Donnerstag in Berlin einen "Modernisierungstreiber des Wählens in Deutschland". Durch das Online-Angebot werde das Wählen niedrigschwelliger, sagte Uwe Klemens, Verbandsvorsitzender des Verbandes der Ersatzkassen (VDEK): "Wir erhoffen uns, dass wir dadurch möglichst viele junge Leute erreichen."

Zum ersten Mal gibt es bei der Sozialwahl in diesem Jahr zudem eine Geschlechterquote. Mindestens 40 Prozent der Plätze mussten bei der Aufstellung der Listen mit Frauen besetzt werden. Verpflichtend ist die Quote für die Krankenkassen, bei der Rentenversicherung ist es eine "Soll-Vorschrift".

Was konkret entscheiden die gewählten Vertreterinnen und Vertreter?

Bei der Deutschen Rentenversicherung Bund entscheiden die gewählten Vertreter über die Leistungen der Rentenversicherungen mit. Das heißt: Welche Leistungen bietet die Rentenversicherung ihren Versicherten an? Die sogenannte Vertreterversammlung wählt außerdem die Mitglieder des Vorstands und des Direktoriums und kontrolliert die Verwaltung. Sie stellt dabei sicher, dass die Verantwortlichen die eingezahlten Beiträge im Sinne der Versicherten verwenden. Die Vertreter bilden außerdem den Widerspruchsausschuss: Wenn die Versicherung den Antrag eines Versicherten ablehnt, prüft der Ausschuss diesen Antrag.

Bei den Krankenkassen tun sich die gewählten Vertreter in sogenannten Verwaltungsräten zusammen. Auch sie wählen die Vorstände und entscheiden mit, wie die Beiträge der Versicherten verwendet werden. Sie legen also fest, welche Vorsorgeleistungen die Krankenkasse übernimmt: zum Beispiel die Kosten für besondere Programme für Schwangere oder Vorsorgeleistungen für die Zahngesundheit. Die gewählten Vertreterinnen und Vertreter entscheiden allerdings nicht alleine über die Angebote der Sozialversicherungen. Die Politik legt den rechtlichen Rahmen fest: "In unserem Sozialstaat gibt es ein Zusammenspiel zwischen dem Gesetzgeber, der Pflichten und viele Leistungen vorgibt, und den Selbstverwaltungen der Sozialversicherungen, die ihre Spielräume nutzen", sagte Doris Barnett, stellvertretende Bundeswahlbeauftragte für die Sozialversicherungswahlen am Donnerstag.

Welche Kritik gibt es an der Sozialwahl?

Die Sozialwahl ist teuer. Kosten von 59,3 Millionen Euro sind im Zusammenhang mit der letzten Sozialwahl im Jahr 2017 angefallen. Die Wahlbeteiligung lag bei 30,42 Prozent. Damit haben zwar etwas mehr Menschen ihre Stimme abgegeben als bei der vorherigen Wahl, zuvor war die Wahlbeteiligung aber stetig gesunken: Vor 30 Jahren lag sie noch bei 43,85 Prozent. Kritikerinnen und Kritiker stellen die Frage, ob sich der finanzielle und personelle Aufwand bei so wenig Beteiligung überhaupt lohnt. Ein weiterer Kritikpunkt: Die aufgestellten Kandidaten sind den meisten Wählern unbekannt. Diese wissen also gar nicht, wem sie da ihre Stimme geben.

Bei vielen Versicherungen gibt es außerdem sogenannte "Friedenswahlen". Das heißt, dass eine Versicherung zum Beispiel nur eine einzige Liste aufstellt. Wenn das der Fall ist, können deren Versicherte nicht an der Sozialwahl teilnehmen: Wenn nicht verschiedene Listen zur Auswahl stehen, macht eine Wahl ja keinen Sinn. "Friedenswahlen" kommen etwa bei der gesetzlichen Unfallversicherung oft vor. Sie sind bei der Sozialwahl zwar legal, allerdings aus der Sicht vieler nicht gerade demokratisch.

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