Sozialpolitik:Merkels 25-Milliarden-Peinlichkeit

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Das Versprechen, mit dem Sparpaket Bürger und Wirtschaft gleichermaßen zu belasten, hat Angela Merkel gebrochen: Nach dem Karlsruher Atom-Urteil bleibt vom Beitrag der Unternehmen fast nichts übrig. (Foto: AP)

Versprochen, gebrochen: Im schwarz-gelben Sparpaket von 2010 wollte die Kanzlerin auch die Wirtschaft einen Beitrag zur Gerechtigkeit leisten lassen. Davon ist fast nichts übrig. Nur an Sozialausgaben wurde wie geplant gespart.

Von Nico Fried, Berlin

Das Bundesverfassungsgericht hat Sinn für Symbolik bewiesen - wenn auch wohl nur aus Versehen. Der 7. Juni war als Tag der Verkündung des Urteils zur Brennelementesteuer jedenfalls historisch bedeutsam, denn es war exakt der siebte Jahrestag jenes Sparpakets der schwarz-gelben Bundesregierung, mit dem die Brennelementesteuer überhaupt erst erfunden worden war.

Möglicherweise wollten die Richter so auch noch mal dazu animieren, die damalige Pressekonferenz von Angela Merkel und Guido Westerwelle nachzulesen. Denn daraus geht hervor, dass das Urteil vom Mittwoch nicht nur eine juristische Schlappe für die Kanzlerin darstellt, sondern auch eine sozialpolitische Peinlichkeit erster Güte.

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Die Kanzlerin und ihr damaliger Vize präsentierten am 7. Juni 2010 nach zweitägiger Klausur ein Sparpaket, das Merkel als "einmaligen Kraftakt" bezeichnete und Westerwelle als "ehrgeizig, umfassend und solide". Das Paket - damals die Grundlage, um in den folgenden Jahren die Vorgaben der in der Verfassung verankerten Schuldenbremse für den Bund zu erreichen - sah bei Sozialleistungen Kürzungen beim Elterngeld für Erwerbstätige sowie für Hartz-IV-Bezieher vor, zudem in der Arbeitsmarktpolitik. All diese Vorhaben wurden in den Monaten danach umgesetzt.

Halbe-halbe? Von wegen.

Im Gegenzug sollte es auch, so Merkel, "eine beträchtliche Beteiligung der Wirtschaft an den notwendigen Sanierungsanstrengungen" geben. Westerwelle setzte deshalb bei seiner Bewertung des Sparpakets noch drei weitere Adjektive hinzu: "ausgewogen, fair und gerecht". Doch davon ist fast nichts übrig geblieben.

Und das kam so: Auf die Nachfrage, ob das Sparpaket nicht eine soziale Schieflage habe, antwortete Merkel am 7. Juni 2010, die Kürzungen der Sozialleistungen seien "schmerzlich" und man hätte sie gerne vermieden. Im Gegenzug werde aber auch die Wirtschaft belastet und leiste mit der Finanztransaktionsteuer und der Brennelementesteuer einen "Beitrag zur Gerechtigkeit". Westerwelle taxierte den Anteil der Sozialkassen einerseits und der Wirtschaft andererseits dadurch sogar auf halbe-halbe. Von wegen.

Das Problem: Die Finanztransaktionsteuer - nur sinnvoll, wenn sie von möglichst vielen Staaten erhoben wird - gibt es bis heute nicht, allen internationalen Beschlüssen bis zur Ebene der G-20-Staaten zum Trotz. Und die Brennelementesteuer ist nun rückwirkend vom Bundesverfassungsgericht kassiert worden.

Für den Schaden dürfen die Steuerzahler aufkommen

In Zahlen liest sich das so: Seit 2012 hätte die Transaktionsteuer jeweils zwei Milliarden Euro bringen sollen, das Haushaltsjahr 2017 mitgerechnet also insgesamt zwölf Milliarden Euro. Die Brennelementesteuer war sogar von 2011 an mit 2,3 Milliarden Euro jährlich veranschlagt worden, der Ertrag fiel aber als Folge des Atomausstiegs ohnehin alsbald deutlich niedriger aus und brachte bis einschließlich 2016 statt etwa 13 Milliarden Euro nur etwa die Hälfte. Und die muss nun auch noch zurückgezahlt werden. Für den Schaden dürfen die Steuerzahler aufkommen. Der Fehlbetrag beläuft sich auf ganze 25 Milliarden Euro.

Ein kleiner Anteil der Wirtschaft an der Finanzierung des Sparpakets von 2010 ist übrigens geblieben: die ökologische Luftverkehrsabgabe, zu bezahlen von den Fluggesellschaften. Ertrag im Jahr: knapp eine Milliarde Euro. Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) kündigte allerdings bereits im März 2017 an, den Einstieg in den Ausstieg aus der Steuer anzupeilen.

Das Sparpaket der schwarz-gelben Regierung war mithin mit einem ursprünglichen Volumen von 80 Milliarden Euro für vier Jahre nicht nur eines der strammsten in der Geschichte der Bundesrepublik. Spätestens seit dem Urteil des Verfassungsgerichts ist es im Vollzug wohl auch ein besonders ungerechtes geworden.

© SZ vom 09.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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