Erneuerbare Energie:Kohle muss endlich richtig Kohle kosten

Braunkohle-Tagebau

Braunkohlekraftwerk Jänschwalde in Brandenburg - noch immer gehen auf der Welt jede Woche fünf neue Kohlekraftwerke ans Netz.

(Foto: dpa)

Der Großteil des Stroms wird noch immer aus fossilen Brennstoffen erzeugt, trotz weltweiter Energiewende. Eine Katastrophe - doch es gibt eine Lösung.

Kommentar von Marlene Weiß

Man soll ja gute Nachrichten würdigen, wenn es denn mal eine gibt. Also bitte sehr, hier noch mal zum laut Vorlesen: 11,3 Prozent des weltweit verbrauchten Stroms wurde 2016 aus erneuerbaren Quellen erzeugt. Stimmt schon, das ist gut, das ist sehr gut. Noch vor zehn Jahren war der Anteil nicht einmal halb so groß, und wer hätte damals gedacht, dass schon 2016 bei den Ökoenergien weit mehr neue Kapazität zugebaut würde als bei Kohle, Gas und Atomkraft zusammen? Nur Spinner.

Aber es liegt im Wesen des Nicht-Spinners, also des prinzipiellen Pessimisten, dass er eine gute Nachricht nicht einfach so stehen lassen kann. Die 11,3 Prozent mögen ein neuer Rekord sein, aber es bedeutet auch: Der Großteil des Stroms wird noch immer aus fossiler Energie erzeugt, allein rund 40 Prozent aus Kohle. Auch das ist viel mehr als früher. Seit 1992 hat sich die installierte Leistung aller laufenden Kohlekraftwerke mehr als verdoppelt, noch immer gehen jede Woche rund fünf neue Kohlekraftwerke ans Netz. Das ist eine Katastrophe.

In Großbritannien liegen die Emissionen auf dem Niveau des 19. Jahrhunderts

Denn ein Kohlekraftwerk pustet oft 40 Jahre und länger CO₂ in die Luft. All die heute oder kürzlich neu gebauten Kohlemeiler können die Atmosphäre noch in den 2050er-Jahren belasten. Dann, wenn sich die Emissionen zur Einhaltung des in Paris vereinbarten Zwei-Grad-Ziels eigentlich schon der Nulllinie annähern sollten. Dabei ist längst völlig klar, dass das Zeitalter der Kohle dem Ende zugeht. Aber wird es schnell genug gehen?

In vielen Teilen der Welt haben sich die wirtschaftlichen Realitäten bereits geändert. In Donald Trumps Amerika zum Beispiel mag der Präsident den "Krieg gegen die Kohle" seines Vorgängers Barack Obama beenden wollen. Aber sein Friedensangebot dürfte nach Aussage vieler Energieversorger verpuffen: Der Gegner Kohle hat dort ohnehin schon praktisch kapituliert, weil Erdgas und Wind langfristig schlicht billiger sind. Hinzu kommt, dass viele Betreiber künftige politische Entscheidungen einpreisen: Sie rechnen damit, dass es früher oder später eben doch strengere Emissions-Grenzwerte oder eine CO₂-Steuer geben dürfte, die teure Kohlekraftwerke wertlos macht.

Was so eine Steuer bewirken kann, hat Großbritannien vorgemacht. Dort sind die CO₂-Emissionen auf ein Niveau gefallen, das sie Ende des 19. Jahrhunderts hatten - ein erstaunlicher Erfolg. Das mag auch mit der Deindustrialisierung zu tun haben. Der Hauptgrund dürfte jedoch die Mindestabgabe auf CO₂-Emissionen sein; sie hat enorm dazu beigetragen, die Kohle vom Markt zu drängen.

Das zeigt, wie man das Ende der Kohleära beschleunigen kann: mit wirtschaftlichen Anreizen. Emissionen müssen teuer werden, die Kapitalkosten für Wind- und Solarenergieanlagen niedrig, dann könnte die Sache tatsächlich noch gut ausgehen. Um heute daran zu glauben, muss man wohl ein Spinner sein. Aber auch die behalten ja manchmal recht, wie man sieht.

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