Sozialleistungen:Kommunen schlagen Kürzungen bei Kindern und Alten vor

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"Die Infrastruktur bröckelt", klagt Uwe Brandl, Präsident des Städte- und Gemeindebundes. (Foto: Jürgen Heinrich/Imago)

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund warnt, seinen Mitgliedern würden bald zehn Milliarden Euro im Jahr fehlen. Er plädiert dafür, "ans Eingemachte" zu gehen und Sozialleistungen abzubauen.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Wenn die Vertreter deutscher Kommunen nach Berlin reisen, dann meistens, um für ihre finanziellen Anliegen zu trommeln. Denn die Sorgen der Kleinen, der Städte und Gemeinden, stehen in der Bundespolitik nur selten in der ersten Reihe. Am Mittwoch allerdings ging es nicht nur ums Geld, als der Deutsche Städte- und Gemeindebund in Berlin zur Rückschau auf das Jahr 2023 einlud - und zum Ausblick auf ein 2024, das dem Land harte Entscheidungen abverlangen werde.

"Wir haben insbesondere im Bereich der kommunalen Ebene mittlerweile festzustellen, dass viele Aufgaben, die uns über Bundes- und Landesgesetzgebung vorgegeben werden, nicht mehr erfüllen können", sagte der Präsident des Städte- und Gemeindebundes, Uwe Brandl. Allerorten fehlten Finanzmittel "und vor allem auch die personellen Ressourcen". Viele Gesetzesvorgaben könnten nicht mehr in angemessener Frist erledigt werden, manches Planungsverfahren brauche zehn Jahre, das beschädige das Ansehen des Staates. Die Vielfalt der Krisen schlage auch volkswirtschaftlich "in einem mittlerweile beängstigenden Umfang" zu Buche. Deshalb sei es Zeit, "hergebrachte Ideologien" beiseitezulegen und das Land "auf einen neuen, gesunden Weg" zu bringen. Ein Weiter-so verbiete sich.

Seit 2005 hätten sich die Ausgaben für Soziales verdoppelt, rechnen sie vor

"Wir prognostizieren für das Jahr 2024 alleine für die kommunale Ebene ein finanzielles Defizit von zehn Milliarden Euro, übersetzt pro Minute 19 000 Euro", sagte Brandl. Der Investitionsstau in Kommunen, der sich durch die Haushaltskrise im Bund noch verschärfen dürfte, belaufe sich mittlerweile auf 166 Milliarden Euro. "Die Infrastruktur bröckelt, bei Straßen und öffentlichen Gebäuden besteht ein hoher Sanierungsbedarf und die Schulen und Sportstätten sind in einem schlechten Zustand", sagte Brandl. Zusätzlich kämen nun noch dreistellige Milliardenbeträge für Klimaschutz und die Bewältigung von Starkwetterereignissen dazu.

Allein bei den Sozialleistungen, so rechnete der Deutsche Städte- und Gemeindebund vor, hätten sich die Ausgaben seit 2005 verdoppelt. Sie lagen demnach 2023 bei 70 Milliarden Euro, Tendenz steigend. Mit den Mitteln, die zur Verfügung stünden, sei das nicht zu meistern. Es gelte also, wichtige Investitionen zu priorisieren, beispielsweise den Bereich Bildung. Deutschland müsse aber auch "ans Eingemachte" gehen, im Sozialbereich.

Auch die steigenden Asylzahlen belasteten die Kommunen

Brandl, lange CSU-Bürgermeister im bayerischen Abensberg, schlug beispielsweise vor, staatliche Fördergelder für die Schulwegbegleitung von Kindern einzuschränken. Sie ist vor allem für körperlich und geistig eingeschränkte Schülerinnen und Schüler gedacht. Pro Kind und Monat kämen hier 3500 bis 5000 Euro zusammen, unabhängig vom Einkommen der Eltern, so Brandl. Dies gelte es zu überdenken. Hinterfragt gehöre aber auch das Pflegegeld. Es werde - je nach Pflegegrad - jedem pflegebedürftigen Menschen gewährt, unabhängig von der Höhe seiner Rente. Hier schlummerten "deutliche Synergien und Potenziale". Auf den Hinweis, dass nicht die Kommunen, sondern die Pflegeversicherung fürs Pflegegeld aufkomme, ging der Städtebund nicht näher ein.

Der neue Hauptgeschäftsführer André Berghegger, vor wenigen Tagen noch Bundestagsabgeordneter der CDU, richtet den Blick bei der Jahresbilanz auf die steigenden Flüchtlingszahlen, die Kommunen stark belasteten. "Es sind 350 000 Ukrainerinnen und Ukrainer unter 18 Jahre zu uns gekommen", sagte er. Dazu komme eine wachsende Zahl von Asylbewerbern. Sprach- und Integrationskurse fänden "nicht in der notwendigen Zahl statt". In Kitas und Schulen sei das Personal "erschöpft". Die Migrationszahlen müssten gesenkt und Abschiebungen beschleunigt werden, "dass wir auch wieder Luft haben zum Atmen".

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Eine Absage erteilte der Städte- und Gemeindebund dem Vorhaben der Bundesregierung, in Deutschland bis 2045 klimaneutral zu heizen. Damit das klappt und auch private Immobilien energetisch saniert werden, sollen Großstädte bis 2026 eine Wärmeplanung vorlegen, kleinere Gemeinden etwas später. Daraus werde nichts, ließ Städtebund-Präsident Brandl wissen. "Es wird nicht der Fall sein." Schon wegen fehlender "Planungskapazitäten" sei eine so zügige Erarbeitung kommunaler Wärmeplanung nicht möglich, gerade in kleineren Kommunen. Das Gleiche gelte für die verpflichtende Bereitstellung von Ganztagsbetreuung ab 2026. "Leistungsversprechen" aus Bund und Ländern, die in Kommunen finanziell nicht einzulösen seien, seien aus der Zeit gefallen.

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