Nur etwas mehr als eine Woche ist es her, dass sich Österreichs Ex-Kanzler Sebastian Kurz, mittlerweile im Dienst des US-Investors Peter Thiel, mit einem Tweet an seine Landsleute richtete: Er sehe sich "vollumfänglich entlastet" durch Aussagen der Meinungsforscherin Sabine B. vor der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA). Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Vorwurfs der Inseratenkorruption, also der Erstellung von Umfragen im Auftrag des Finanzministeriums, die tatsächlich aber der ÖVP unter Kurz genutzt haben sollen. Im Gegenzug für Inserate des Ministeriums sollen die teils geschönten Umfragen dann vom Medienhaus Österreich veröffentlicht worden sein. Kurz, den die Ermittler als in die ganze Sache eingeweihten "Bestimmungstäter" unter Verdacht haben, war deswegen im Oktober zurückgetreten.
Als er unlängst jubilierte und auf seine Unschuld pochte, war die Aussage von B., die im vergangenen Oktober kurzzeitig festgenommen worden war, gerade bekannt geworden. Diese hatte alle Vorwürfe eingeräumt, darüber hinaus noch einiges mehr an Details preisgegeben, aber gesagt, sie kenne den Kanzler selbst nur vom Vorübergehen.
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Haben Österreichs Konservative über das Finanzministerium Umfragen finanziert, die Sebastian Kurz beim Aufstieg zum Kanzler halfen? Das soll jetzt ein Untersuchungsausschuss klären.
Nun ist am Mittwoch eine zweite zentrale Figur in den Ermittlungen zur Inseratenkorruption festgenommen worden, was die Einlassungen des Ex-Kanzlers noch ein Stück voreiliger erscheinen lässt, als sie womöglich waren: die frühere Familienministerin Sophie Karmasin, die von 2013 bis 2o17 Regierungsmitglied war. Die Staatsanwaltschaft bestätigte am Donnerstag, dass nach wie vor gegen Kurz und neun weitere Personen aus seinem Umfeld sowie gegen drei Verbände, darunter die ÖVP, wegen Untreue, Bestechlichkeit und Bestechung ermittelt werde. Nun seien außerdem Ermittlungen wegen illegaler Absprachen und Geldwäsche hinzugekommen.
Karmasin wurde offenbar am Donnerstag vernommen; ihr Anwalt war nicht zu erreichen. In einer Pressemitteilung der WKStA ist von "Tatbegehungs-und Verdunklungsgefahr" die Rede. Gut möglich, dass Karmasin nun auch über ihre Kontakte zu Kurz im Kontext der Ermittlungen auspackt.
Bestellte und bezahlte Umfragen
Die Festnahme folgt offenbar auf konkrete Details in der Aussage der Meinungsforscherin B. Diese hatte bestätigt, dass sie vom Finanzministerium bestellte und bezahlte Umfragen gefertigt, Fragen für die ÖVP eingefügt und Ergebnisse angepasst - und die Studien dann zur Veröffentlichung an das Medienhaus Österreich weitergeleitet habe. Ex-Familienministerin Sophie Karmasin, selbst langjährige Inhaberin eines Meinungsforschungsinstituts, habe die Aufträge von Anfang an vermittelt und dafür jeweils 20 Prozent Vermittlungsprovision vom Umsatz erhalten, die über die Firma ihres Mannes abgerechnet wurde.
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Die Kooperation habe bereits 2013 begonnen und sei auch fortgesetzt worden, als Karmasin Ministerin war. Auftraggeber und Ansprechpartner im Finanzministerium seien Generalsekretär Thomas Schmid und Pressesprecher Johannes Frischmann gewesen, der später als Pressesprecher zu Kurz wechselte.
Auch im parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur ÖVP-Korruption, der am Mittwoch mit dem Aufritt von Bundeskanzler Karl Nehammer seine Befragungen begann, ist die Inseratenkorruption ein wesentliches Thema. Am Donnerstag war unter anderem dazu der Kurzzeit-Finanzminister und jetzige Leiter der Finanzmarktaufsicht, Eduard Müller, gebeten. Er sollte angeben, ob und wie er in Aufträge mit politischem Kontext involviert gewesen sei. Auf die Frage einer grünen Abgeordneten, ob er in seiner Zeit als Finanzminister in der Expertenregierung 2019 Studien mit parteipolitischer Fragestellung in Auftrag gegeben habe, konnte er sich allerdings nicht erinnern. Überrascht gab sich Müller, dass im Finanzministerium offenbar eine Studie über seine eigene Performance als Minister in Auftrag gegeben worden war.
Im Ausschuss soll es auch um Postenbesetzungen gehen, die auf parteipolitisch opportune Bewerber angepasst wurden. Bekanntestes Beispiel bislang ist die Bewerbung des Ex-Generalsekretärs im Finanzministerium, Thomas Schmid, für den Vorstandsposten der Staatsbeteiligungsgesellschaft. Die Ausschreibung soll er entsprechend seiner Biografie selbst formuliert haben. Der SPÖ-Abgeordnete Jan Krainer legte nun am Donnerstag Eduard Müller den Ausschreibungstext für seinen Posten als Leiter der Finanzmarktaufsicht vor, der nach seinem Dafürhalten extra für die Bewerbung Müllers abgeändert worden sein dürfte. Müller wies das als Unterstellung zurück.