Sondierungen:Was sie wollen

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Europa, Pflege, Diesel, Zuwanderung und vieles mehr: Worauf sich CDU, CSU und SPD in den Sondierungsgesprächen geeinigt haben.

Von M. Balser, M. Bauchmüller, C. von Bullion, C. Gammelin, K. Ludwig und H. Roßbach

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(Foto: Ben Birchall/dpa)

28 Seiten hat das Papier, in dem die bisherigen und vielleicht auch künftigen Koalitionäre ihre Ergebnisse aufgeschrieben haben. Bei Europa,...

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(Foto: Jens Kalaene/dpa)

...Pflege...

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(Foto: Swen Pförtner/dpa)

...und Flüchtlingen werden sie relativ konkret,...

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(Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

...beim Thema Diesel jedoch nicht.

Es ist erst das Vorspiel zum eigentlichen Koalitionsvertrag, aber an vielen Stellen wird das Sondierungspapier schon sehr konkret. Europa, Steuern, Bildung, Klima: eine Übersicht über die wichtigsten Dinge, die sich Union und SPD im Falle einer neuerlichen Koalition vornehmen wollen.

Finanzen und Steuern

Eine kräftige Steuersenkung soll es nicht geben. Der im Wahlkampf von allen Parteien angekündigte Abbau von Steuern im Volumen von mindestens 15 Milliarden Euro jährlich ist im Sondierungspapier nicht enthalten. Stattdessen wollen Union und SPD "die finanziellen Spielräume, die aufgrund der guten wirtschaftlichen Lage bestehen, verantwortlich und sozial ausgewogen für politische Gestaltung nutzen". Die 46 Milliarden Euro Überschuss, die der geschäftsführende Bundesfinanzminister Peter Altmaier (CDU) auf den Tisch gelegt hat, sollen vor allem in Investitionen und in Sozialpolitik fließen, etwa in Bildung, sozialen Wohnungsbau oder höheres Kindergeld. Von Entlastungen für Facharbeiter ist so wenig die Rede wie von einem höheren Spitzensteuersatz.

Der Solidaritätszuschlag soll jedoch abgebaut werden, bis 2021 um zehn Milliarden Euro. Ziel sei es, dass mittels einer Freigrenze für 90 Prozent aller Soli-Zahler dieser Zuschlag künftig "vollständig" entfällt. Sinken soll auch der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung, um 0,3 Prozentpunkte. Geringverdiener dürfen hoffen, niedrigere Sozialbeiträge zahlen zu müssen, Details sind dazu offen. Festgeschrieben ist dagegen, dass die Steuerbelastung der Bürger insgesamt nicht erhöht werden soll. Steuererhöhungen müssten also durch Senkungen an anderer Stelle ausgeglichen werden. An der "Schwarzen Null" wollen die drei Parteien festhalten. "Wir sind uns über das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts ohne neue Schulden einig."

Europa

Gleich zu Beginn des Papiers steht das Kapitel "Ein neuer Aufbruch für Europa". Mehr Geld für die EU, ein Investitionsbudget für die Euro-Zone, ein Europäischer Währungsfonds für Krisenfälle, ein Rahmen für soziale Mindeststandards in allen EU-Staaten und mehr Engagement für Europas Jugend und seine Kinder - die Liste der Vorhaben ist lang. Die Partner in den europäischen Hauptstädten dürften aufatmen. Union und SPD haben sich deutlich mehr vorgenommen als das karge Bekenntnis zu Europa, das die gescheiterten Jamaika-Verhandler zustande gebracht hatten. "Die EU muss ihre gemeinsame politische und wirtschaftliche Kraft nutzen, um Frieden nach außen und Sicherheit und Wohlstand nach innen zu schaffen", heißt es. Insbesondere "in enger Partnerschaft mit Frankreich" soll die Euro-Zone reformiert werden, "sodass der Euro globalen Krisen besser standhalten kann".

Gesundheit und Pflege

Die Bürgerversicherung kommt nicht. Nachdem die Sozialdemokraten Gesundheitspolitik zu einem zentralen Thema erklärt hatten, wird sie im Einigungspapier bloß in vier Absätzen abgehandelt. Die Koalitionäre haben sich darauf verständigt, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer künftig wieder gleich hohe Beiträge zur Krankenversicherung zahlen sollen. Außerdem soll mehr Steuergeld in die Krankenversicherung fließen, auch um die Versorgung von Arbeitslosen zu finanzieren.

Umfangreicher sind die Pläne zur Pflege: Kinder von pflegebedürftigen Eltern sollen künftig erst von einem Jahreseinkommen von 100 000 Euro an vom Staat um Unterstützung gebeten werden. In Pflegeheimen versprechen die Parteien 8000 neue Fachkraftstellen "im Zusammenhang mit der medizinischen Behandlungspflege". In Kliniken wollen sie dafür sorgen, dass Pfleger besser bezahlt werden: Der Staat ist bereit, ihnen Lohnzuschüsse zu zahlen. Gegen den Personalnotstand soll außerdem ein Qualifizierungsprogramm aufgelegt werden. Dass eine solche Offensive notwendig ist, darüber waren sich nicht nur SPD und Union einig.

Rente

Die Mütterrente, eine Herzensangelegenheit der CSU, kommt: "Mütter, die ihre Kinder vor 1992 auf die Welt gebracht haben, sollen künftig auch das dritte Jahr Erziehungszeit in der Rente angerechnet bekommen." Aber: Diese Regelung gilt nur für Mütter, die drei oder mehr Kinder vor 1992 bekommen haben. Die Deutsche Rentenversicherung rechnet dadurch mit Kosten von vier Milliarden Euro im Jahr. Auch die SPD bekommt ihre Wünsche erfüllt. Das heutige Rentenniveau von 48 Prozent wird bis zum Jahr 2025 gesetzlich abgesichert. Dazu wird die Rentenformel geändert. Eine Rentenkommission soll sich mit der Rente nach 2025 befassen. Zudem hat die SPD die Solidarrente durchgesetzt, die jetzt Grundrente heißt. Wer 35 Jahre Beitragszahlungen, Erziehungs- oder Pflegezeiten nachweisen kann, hat Anspruch auf eine Rente, die zehn Prozent über jener des regionalen Grundsicherungsbedarfs liegt. Neu ist auch die geplante Altersvorsorgepflicht für alle Selbständigen; sie sollen zwischen der gesetzlichen Rentenversicherung und anderen "insolvenzsicheren Vorsorgearten" wählen dürfen.

Arbeit

Die SPD hat sich durchgesetzt mit ihrer Forderung nach einem Rückkehrrecht aus Teilzeit in Vollzeit. Eingeführt werden soll "ein Recht auf befristete Teilzeit". In Anspruch nehmen können es alle Arbeitnehmer, die in einem Unternehmen mit mehr als 45 Mitarbeitern beschäftigt sind. Um mittelgroße Unternehmen mit bis zu 200 Beschäftigten nicht zu überfordern, einigten Union und SPD sich auf eine Härtefallklausel. Demnach darf in diesen Firmen je 15 Mitarbeiter nur einer das Recht auf befristete Teilzeit in Anspruch nehmen. Einen Schwerpunkt wollen Union und SPD auch auf die bessere Qualifizierung von Langzeitarbeitslosen legen - allerdings ohne die von der SPD ursprünglich geforderte Verlängerung des Arbeitslosengeldbezugs. Geplant ist ein neues Instrument im Rahmen des Hartz-IV-Systems. Es soll "Teilhabe am Arbeitsmarkt für alle" heißen und 150 000 Teilnehmer haben. Zur Finanzierung wird der Etat für die Eingliederungshilfe um eine Milliarde Euro im Jahr erhöht. Hinzu kommt, dass alle Arbeitnehmer bei der Bundesagentur für Arbeit "ein Recht auf Weiterbildungsberatung" haben sollen. Die Beitragszahler wiederum werden durch eine Senkung des Arbeitslosenbeitrags um 0,3 Prozentpunkte entlastet; Studenten sollen mehr Bafög bekommen.

Zuwanderung

Die große Koalition bekennt sich "strikt" zum Grundrecht auf Asyl, zur Genfer Flüchtlingskonvention und der UN-Kinderrechtskonvention. Gleichzeitig soll Zuwanderung begrenzt werden. "Wir sind uns darüber einig, dass die Integrationsfähigkeit unserer Gesellschaft nicht überfordert werden darf", heißt es. So ist zwar ein "geordneter und gestaffelter" Familiennachzug für Flüchtlinge mit subsidiärem, also eingeschränktem Schutz geplant - allerdings "nur aus humanitären Gründen". Pro Monat können auch nur 1000 Familienangehörige solcher Flüchtlinge nach Deutschland nachkommen. Insgesamt werde die Zahl der Zuwanderer jährlich 180 000 bis 220 000 Neuankömmlinge "nicht übersteigen". Nicht erklärt wird allerdings, was passiert, falls diese Regelgröße überschritten wird.

Alle Asylverfahren sollen künftig in zentralen Aufnahme-, Entscheidungs- und Rückführungseinrichtungen durchgeführt werden. Neuankömmlinge dürfen sie erst verlassen, wenn sie eine Bleibeperspektive haben. Alle anderen sollen - "wenn in angemessener Zeit möglich" - abgeschoben werden. Auch unbegleitete minderjährige Flüchtlinge müssen zur Identitätsfeststellung zunächst in solchen Sammelunterkünften bleiben. Algerien, Tunesien und Marokko werden zu sicheren Herkunftsländern erklärt. Asylbewerber aus diesen Ländern können dann schneller abgeschoben werden. Zugleich wollen Union und SPD ein "modernes, in sich konsistentes Migrationsrecht" schaffen. Damit soll der Zuzug von Fachkräften attraktiver gemacht und die Zuwanderung gesteuert werden.

Familie

Union und SPD wollen das Kindergeld pro Kind um 25 Euro im Monat erhöhen, ebenso den Kinderzuschlag für Ärmere. Für Kitas will der Bund Geld an Länder und Kommunen überweisen. So sollen die Kita-Gebühren sinken. Im Grundschulalter will die Koalition einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung schaffen. Von dem Vorstoß der SPD-Familienministerin Katarina Barley, dass sich geschiedene Väter und Mütter künftig gleichberechtigter um die Kinder kümmern sollen, findet sich nichts im Papier. Auch für Alleinerziehende ist keine Verbesserung vorgesehen. Dafür will eine neue große Koalition die Frauenquote ausbauen. Künftig sollen Firmen begründen müssen, wenn sie sich gegen eine Frauenquote entscheiden. Im öffentlichen Dienst sollen bis 2025 genauso viele Frauen wie Männer Führungskräfte sein.

Bildung und Forschung

Den Bildungsförderalismus wollen Union und SPD nicht im Handstreich abschaffen. Allerdings planen sie einen "nationalen Bildungsrat", um die Bildungschancen "im gemeinsamen Schulterschluss von Bund und Ländern zu verbessern". Hinzu kommt eine "Investitionsoffensive für Schulen". Die Länder sollen bei ihren Investitionen in Ganztagsschulen oder die digitale Infrastruktur unterstützt werden. Bis 2025 sollen zudem die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung von Bund, Ländern und Unternehmen auf 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen. Den "Pakt für Forschung und Innovation" wollen Union und SPD von 2012 an jährlich um mindestens drei Prozent aufstocken.

Wohnungsbau

Bis 2021 wollen die Partner in spe 1,5 Millionen neue Wohnungen gebaut sehen. Das wären im Jahr 375 000 - und damit weit mehr, als zuletzt hierzulande errichtet wurden. Union und SPD wollen deshalb mehr Bauland mobilisieren: bundeseigene Grundstücke oder bisherige Äcker. Auch den sozialen Wohnungsbau soll der Bund weiter finanzieren. Er war mit der Föderalismusreform 2006 zur Ländersache geworden, der Bund sollte nur noch bis 2019 Zahlungen leisten. Diese sollen nun auch für 2020 und 2021 "auf rechtssicherer Grundlage" garantiert werden. Auch gegen "unverhältnismäßig steigende Mieten" wollen sie weiter vorgehen, etwa durch Ausweitung "qualifizierter" Mietspiegel.

Klima und Energie

Union und SPD wollen das Klimaziel für 2020 nun doch nicht mehr explizit aufgeben. Stattdessen wollen sie "die Handlungslücke" zur Erreichung des Ziels "so schnell wie möglich schließen". Die ist nicht klein: Bis 2020 soll Deutschland 40 Prozent weniger Treibhausgase verursachen als 1990. Erreicht sind erst gut 27 Prozent. Eine Kommission soll der Frage nun nachgehen, inklusive eines Plans zum Ausstieg aus der Kohle. Ähnliche Kommissionen sollen zu Gebäude und Verkehr ihre Arbeit aufnehmen. Am Ende soll ein Klimaschutzgesetz stehen, mit dessen Hilfe sich dann das nächste Klimaziel erreichen lässt: minus 55 Prozent Kohlendioxid bis 2030. Dem soll auch der stärkere Ausbau der Ökoenergie dienen. Bis 2030 soll ihr Anteil am Strommix auf 65 Prozent anwachsen. Das geht weit über das Ziel der bisherigen Koalition hinaus. Schon in den nächsten beiden Jahren sollen weitere Wind- und Solarparks den Zuschlag bekommen.

Verkehr und Digitalisierung

Union und SPD wollen trotz hoher Stickoxid-Belastungen Fahrverbote in Städten vermeiden, gleichzeitig aber die Luft verbessern. Dabei helfen soll die Förderung der Elektromobilität und des Nahverkehrs, Verbrennungsmotoren sollen sauberer und effizienter werden. Nötig sei ein ganzes "Bündel an Maßnahmen". Was genau die Parteien vorhaben, bleibt offen. Gleichzeitig sollen Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur mindestens auf dem heutigen "Rekordniveau" fortgeführt werden.

Härtere Zeiten könnten derweil für Internet-Multis wie Facebook und Amazon anbrechen. Die Koalitionäre planen eine "Modernisierung" des Kartellrechts "in Bezug auf die Digitalisierung und Globalisierung der Wirtschaftswelt". Union und SPD wollen zudem die hiesige Wirtschaft zu mehr digitaler Forschung bringen. Bis 2025 soll Deutschland flächendeckend mit Gigabit-Netzen überzogen sein. Die Kosten schätzen die Parteien auf zehn bis zwölf Milliarden Euro.

Landwirtschaft und Umwelt

Der Einsatz des Pestizids Glyphosat in Deutschland soll "deutlich" eingeschränkt werden. Geplant sei, "die Anwendung so schnell wie möglich grundsätzlich zu beenden". Beim Zeitplan dafür aber bleiben die Sondierer im Ungefähren. Beschlossen haben sie zudem, den Insektenschutz zu verbessern. Zu einem zentralen Ziel machen sie den Kampf gegen die von Brüssel geplante Senkung der Agrarsubventionen, einer wichtigen Einnahmequelle der Bauern. Vorgaben für den Tierschutz in Ställen sollen schärfer werden. Auch soll eine staatliche Kennzeichnung Verbrauchern ermöglichen, artgerechte Tierhaltung zu erkennen. Auch für den Artenschutz will eine neue Koalition mehr tun.

Außen und Entwicklung

"Die Schere zwischen Arm und Reich weltweit darf nicht weiter auseinanderlaufen", heißt es in dem Papier. Die Globalisierung müsse gerechter werden. Auch das Ziel, 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Entwicklungshilfe zu stecken, haben sich Union und SPD vorgenommen. Erreicht wurde diese Quote zuletzt nur durch großzügige Anrechnung der Flüchtlingskosten. Ohne diesen Effekt waren es 0,52 Prozent.

Deutsche Außenpolitik bleibe "dem Frieden verpflichtet", heißt es in dem Papier. Bundeswehreinsätze in Afghanistan und Mali sollen weiterlaufen, die Ausbildungsmission im Nordirak soll enden. Rüstungsexporte sollen weiter eingeschränkt werden, auch durch eine schärfere Rüstungsexportrichtlinie.

© SZ vom 13.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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