Somalia:Einmal Terror und zurück

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SOMALIA

Aufwachsen mit Anschlägen: Ein somalisches Mädchen geht in Baidoa an einem ausgebombten Auto vorbei.

(Foto: Jerome Delay/AP)

In einem Camp in Somalia erhalten ausgestiegene Islamisten Hilfe. Ein Treffen mit einer früheren Killerin.

Von Tobias Zick, Baidoa

Sie schaut aus großen Rehaugen und lächelt milde, als sie anfängt, von ihrem Leben zu erzählen, doch schon nach wenigen Augenblicken spricht der Rest ihres Körpers eine andere Sprache. Immer wieder drückt sie eine Faust in die andere Hand, lässt die Fingerknöchel knacken. Eine zierliche junge Frau mit Kopftuch und blätterndem Nagellack und einem breiten Lächeln, das immer wieder eine Reihe blitzend weißer Zähne freilegt. Eine Kämpferin. Und doch eine, die dem Kampf für immer abgeschworen hat, wenn man ihr denn glauben soll.

Sie will, dass man sie Zamzam Adan Abdullahi nennt, 21 Jahre alt ist sie, und sie war Kommandeurin bei den Amniyat, einer Art Geheimpolizei der islamistischen Terrormiliz al-Shabaab in Somalia. Bis heute kontrolliert sie nach offiziellen Schätzungen die Hälfte der Landesfläche. Sie organisierte und befehligte Killerkommandos; für ein Todesurteil, erzählt sie, habe es schon genügt, wenn jemand sich weigerte, die Zwangsabgabe an die Miliz zu zahlen. "Jeder, der Vermögen hat, muss einen Teil davon an al-Shabaab abtreten", sagt sie. Nicht nur Geschäftsleute, auch Viehhirten: Wer zum Beispiel 20 Kamele habe, müsse zwei davon hergeben. "Wer zahlt, ist sicher. Wer nicht zahlt, wird umgebracht." Die Frau mit den Rehaugen spuckt auf den Boden.

Lesen, Schreiben, Handwerk und Islam-Unterricht

Zamzam Adan Abdullahi also sitzt unter jungen Papayabäumen, Vögel zirpen, es ist eine kleine Oase in einem militärisch streng gesicherten Gelände: der Lehr-Garten des Zentrums für Terrorismus-Aussteiger in Baidoa, der größten Stadt im Südwesten von Somalia. Sie liegt gut 250 Kilometer von der Hauptstadt Mogadischu entfernt, etwa eine Stunde Flug also mit einem russischen Hubschrauber der Vereinten Nationen. Äthiopische Truppen patrouillieren unter dem Mandat der Afrikanischen Union durch die Straßen, ihr Camp haben sie auf den Ruinen eines alten somalischen Kasernengeländes aufgeschlagen. Wer Zamzam Adan Abdullahi besuchen will, muss sich zunächst vom äthiopischen Kommandeur eine Genehmigung einholen und sich von dessen Fußsoldaten zum Eingang geleiten lassen.

Im Innenhof rattert ein Generator für ein Schweißgerät. Hühner scharren in einem Gehege, und eine kleine Gruppe junger Frauen sitzt rund um eine surrende, pedalbetriebene Nähmaschine. Hier sollen Al-Shabaab-Aussteiger auf die Rückkehr in ein ziviles Leben vorbereitet werden. Jeder Insasse erhält mindestens ein halbes Jahr Unterricht im Lesen und Schreiben, in einem Handwerk und in einer friedlichen, moderaten Auslegung der islamischen Lehre. Betreiber ist die Internationale Organisation für Migration, finanziert wird das Camp in Baidoa - eines von vier im Land - seit Ende 2014 von der deutschen Regierung. Pro Jahr gibt es eine Million Euro, für ein Projekt, das sich auf große Hoffnungen und eine Reihe von Unwägbarkeiten stützt.

Not und Perspektivlosigkeit treiben den Terroristen Anhänger zu

Zamzam Adan Abdullahi sagt, sie sei vor fast zehn Jahren gezwungen worden, sich den Dschihadisten anzuschließen, als diese in ihr Dorf nahe der äthiopischen Grenze kamen; eine Vorgängerorganisation von al-Shabaab namens Hizbul-Islam. Doch in einem früheren Gespräch mit Mitarbeitern des Zentrums hatte sie zu Protokoll gegeben, dass sie seinerzeit, als Zwölfjährige, die Schule abbrechen musste, weil ihrer Tante, bei der sie aufwuchs, das Geld fehlte. Und dann schloss sie sich - wohl nicht nur aus äußerem Zwang - den Islamisten an. Finanzielle Not und Perspektivlosigkeit: Das war, wenn man die Schilderungen glaubt, für den Großteil der Insassen hier der Hauptgrund, sich der Terrormiliz anzuschließen. Religiöser Fanatismus spielte für sie eine Nebenrolle. Die Aussteiger im Camp gelten im Unterschied zu den echten islamistischen Hardlinern in den oberen Führungsebenen von al-Shabaab als empfänglich für Versuche der Wieder-Eingliederung in die zivile Gesellschaft.

Wie viele Menschen hat die Frau mit den Rehaugen auf dem Gewissen? Daran erinnere sie sich nicht im einzelnen, behauptet sie, "es waren jedenfalls viele. Sehr, sehr viele." Nun also sitzt sie einem weißen Europäer gegenüber, der es obendrein nur einem Zufall verdankt, dass er zusammen mit seiner schwangeren Frau an jenem Samstag im September 2013, als Kämpfer von al-Shabaab das Westgate-Einkaufszentrum in Kenias Hauptstadt Nairobi stürmten, nicht gerade auch in jenem Einkaufszentrum war. Die Terroristen richteten damals - nach offiziellen Angaben - 67 Menschen hin; es gibt Hinweise, dass es deutlich mehr waren.

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