Serbien:Opposition prangert nach Sieg von Vučić Wahlbetrug an

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Aleksandar Vučić freudig am Wahlabend: Der Präsident hatte die Wahl faktisch zum Plebiszit über seine Person gemacht. (Foto: Zorana Jevtic/Reuters)

Offiziell hat das Bündnis um den Präsidenten klar gewonnen. Aber in Belgrad sehen sich seine Widersacher um den Erfolg betrogen - und auch Wahlbeobachter sprechen von Rechtsmissbrauch und Manipulationen.

Von Florian Hassel, Belgrad

Auch nach elf Jahren Regieren durch das Lager um Serbiens Präsidenten Aleksandar Vučić ist ein Machtwechsel bei der vorgezogenen Parlamentswahl und Lokalwahlen in 45 Städten in Serbien ausgeblieben. Die Regierungskoalition um Vučić und seine als Wahlliste "Aleksandar Vučić- Serbien kann nicht stehen bleiben" antretende Serbische Fortschrittspartei (SNS) bestimmen weiter die Politik im 6,7-Millionen-Einwohner-Land.

Nach Auszählung der Stimmen aus 7886 von 8273 Wahllokalen gab die Staatliche Wahlkommission Serbiens 46,8 Prozent für die Vučić-Wahlliste bekannt - genug für eine absolute Mehrheit im 250 Sitze starken Parlament. "Dies ist ein absoluter Sieg, und er macht mich glücklich", erklärte Vučić. Die bisherigen und auch möglichen neuen Koalitionäre der Sozialistischen Partei kamen auf 6,6 Prozent der Stimmen.

"Drastischer Missbrauch des Wahlrechts, des Gesetzes und der Institutionen"

Die demokratische Opposition, von der gleich acht Parteien mit der gemeinsamen Wahlliste "Serbien gegen Gewalt" antraten, kam nur auf 23,5 Prozent, weit weniger, als Umfragen vorausgesagt hatten. Auch bei der wichtigen Lokalwahl in der Hauptstadt Belgrad blieb der von vielen erwartete Sieg der Opposition aus. Laut Wahlkommission kam die Regierungsliste auf 37,6 Prozent (48 Mandate), "Serbien gegen Gewalt" komme demnach mit 34,3 Prozent nur auf Platz zwei mit 43 Mandaten.

Doch sowohl der Opposition wie unabhängigen Wahlbeobachtern und Medien zufolge kam das Wahlergebnis mithilfe von Manipulationen oder Fälschungen zustande. Laut Wahlbeobachterzentrum CRTA "eskalierten am Wahltag drastischer Missbrauch des Wahlrechts, des Gesetzes und der Institutionen". Die Wahlen hätten nicht die Anforderungen an freie und faire Wahlen erfüllt.

In fünf Prozent der Wahllokale für die Parlamentswahlen und zehn Prozent der Wahllokale für die Lokalwahl in Belgrad hätten Unregelmäßigkeiten "direkt die Wahlergebnisse in diesen Wahllokalen kompromittiert": etwa vorab ausgefüllte Wahlzettel, die illegale Anwesenheit Dritter in Wahllokalen oder Unterschriften im Wählerverzeichnis durch Dritte statt durch die Wähler selbst. Insbesondere die Ergebnisse der Belgrader Lokalwahl "spiegeln nicht den ausgedrückten Wählerwillen wider", so das CRTA. Die Wahlbeobachter forderten eine umfangreiche Überprüfung der Wählerverzeichnisse, der Wahl und Strafverfahren.

Auch eine gemeinsame Wahlbeobachtermission von OSZE (ODHIR), Europarat und Europäischem Parlament kritisierte Wahlkampf und Wahltag scharf. Die starke Einmischung von Präsident Vučić habe "die Fairness der Wahl ernsthaft unterminiert", schon im Vorfeld seien die Bedingungen "ungerecht und ungleich" gewesen. Die Beobachter bestätigten den Missbrauch staatlicher Ressourcen, Druck auf Staatsangestellte sowie etliche Beispiele von Stimmenkauf oder gefälschten Stimmzetteln ("ballot-box stuffing"). So sah der österreichische Parlamentarier Stefan Schennach beim Leeren einer Wahlurne gefälschte Wahlzettel, die in einem Copy-Shop kopiert wurden, jedoch einen offiziellen Stempel aufwiesen. Die Beobachter wollten indes kein Urteil über das Ausmaß der Manipulationen abgeben.

Medien berichten über illegale Stimmabgaben mithilfe gefälschter Papiere

"Serbien gegen Gewalt" organisierte am Montagabend einen Protest gegen die ihrer Meinung nach manipulierte Wahl in Belgrad, die sie den Sieg gekostet habe. Die Oppositionsvereinigung erklärte, nach Auszählung von vier Fünfteln aller Stimmen habe die Regierungsliste in der Hauptstadt nur 21 000 Stimmen vor "Serbien gegen Gewalt" gelegen. Gleichzeitig aber hätten in Belgrad mehr als 40 000 Wähler ohne legalen Aufenthaltstitel in der Hauptstadt abgestimmt, die mit Bussen etwa aus der zu Bosnien und Herzegowina gehörenden Republika Srpska nach Belgrad gebracht worden seien. "Serbien gegen Gewalt" forderte eine Neuauszählung der Wahl in Belgrad.

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Auch unabhängigen Medien zufolge kam es zu etlichen Unregelmäßigkeiten. In Belgrad habe das Sportzentrum "Arena" am Sonntag als "Zentrum für Phantomwähler" gedient, also für die Organisation illegaler Stimmabgaben durch angebliche Wähler, die mit gefälschten Wohnanmeldungen und Papieren an der Wahl zugunsten der Regierung teilnahmen. Ministerpräsidentin Ana Brnabić behauptete dagegen auf X, es handele sich um rechtmäßig registrierte Wähler.

Der unabhängige Fernsehsender N1 zeigte Bilder von bei der Arena ankommenden Bussen und spielte Tonaufnahmen ab, in denen aus den Bussen gestiegene Menschen sagten, dass sie aus der Republika Srpska gekommen seien und ihnen in der Arena erklärt worden sei, in welchem Wahllokal sie abstimmen sollten. Von der Opposition gestellte Mitglieder der Staatlichen Wahlkommission Serbiens wurden gewaltsam am Betreten der Arena-Halle gehindert. Die Manipulationen dort seien nur "die Spitze des Eisbergs" gewesen, erklärte Miroslav Aleksić, einer der Führer von "Serbien gegen Gewalt". Schon im Wahlkampf hatten Opposition und Journalisten über mutmaßlich gefälschte Anmeldungen und Personalausweise in Belgrad berichtet.

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