Serbien:Angstkampagnen, Hassreden und Druck auf die Medien

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Vor der Parlamentswahl am Sonntag kämpft Serbiens Präsident Vučić wie üblich mit allen Mitteln um seine Macht - auch weit jenseits der politischen Fairness.

Von Florian Hassel, Belgrad

Präsident Aleksandar Vučić bei einer Wahlkampfveranstaltung. Kritiker werfen ihm vor, ein autokratisches System geschaffen zu haben. (Foto: Darko Vojinovic/AP)

Djordje Miketić hätte bis vor Kurzem wohl nicht gedacht, dass sein Privatleben zum nationalen Thema werden würde. Doch Miketić kandidierte in Belgrad für die Opposition bei den am Sonntag anstehenden Wahlen zum serbischen Parlament und zu 65 Stadträten. Serbiens Präsident Aleksandar Vučić orakelte im privaten Fernsehsender Pink, er habe Informationen über den Politiker, der eine "menschliche Schande" sei. Später zeigte Pink im Morgenfernsehen ein Video von Miketić beim Sex mit einer ungenannten Frau. Auch regierungsfreundliche Boulevardzeitungen übernahmen Bilder des angeblichen Skandals.

Miketić trat von seiner Kandidatur zurück. Der Universitätsprofessor Vladimir Obradović, Spitzenkandidat der Opposition in Belgrad, sagte, das Zuspielen des Videos - Miketić sah den seine Beteiligung dementierenden Geheimdienst BIA dahinter - habe "alle Grenzen einer anständigen politischen Kampagne überschritten" und sei "die dreckigste Sache, die wir je gesehen haben".

Mit diesem Urteil steht er nicht allein. EU-Kandidat Serbien hat einen Wahlkampf hinter sich, in dem nicht nur Oppositionspolitiker diskreditiert wurden. Dem oppositionellen Lokalpolitiker Slaviša Momčilović wurden gar zwölf Landwirtschaftsmaschinen angezündet. Der Wahlbeobachterorganisation CRTA zufolge hat das Regierungslager den gesamten Staatsapparat zu seinen Gunsten manipuliert.

Der Europarat sagt, staatliche Ressourcen würden missbraucht

Auch Beobachter der Parlamentarischen Versammlung des Europarats stellten am 27. November fest, der Beginn des Wahlkampfs sei gekennzeichnet von einem "beispiellosen Niveau negativer Kampagnen und des Schürens von Angst", von Angriffen, Hassreden und Druck des Regierungslagers auf Oppositionspolitiker, Bürgergruppen und Journalisten. Zudem seien staatliche Ressourcen missbraucht worden.

Seit 2012 wird Serbien von Aleksandar Vučić regiert, früher Regierungschef, heute Präsident und auch in diesem theoretisch eher zeremoniellen Amt der meist allein Bestimmende der serbischen Politik. Vučić, einst Propagandaminister unter dem Autokraten Slobodan Milošević, hat nach Ansicht von Kritikern selbst ein autokratisches System geschaffen, gestützt auf leicht unter Druck zu setzende Beamte und Staatsangestellte, Polizei und Geheimdienste und regierungsfreundliche, nicht nur im Fall Miketić oft manipulativ arbeitende Fernsehsender und Boulevardzeitungen.

Die regierungsfreundlichen Medien pflegen ein Misstrauen gegen USA und EU. Auf dem Papier ist Serbien EU-Beitrittskandidat, macht aber bei Reformen kaum Fortschritte, wie auch die EU-Kommission feststellt. Die US-Gruppe Freedom House bezeichnet Serbien nach Rückschritten in den letzten Jahren nur noch als "teilweise frei". Vučić stützt sich auf Russland und weigert sich, EU-Sanktionen zu übernehmen. Auch Chinas Rolle wird in Serbien immer stärker. Zudem hilft der Topos des angeblich von äußeren Feinden bedrohten Serbien dem als Bewahrer Serbiens auftretenden Vučić, seine Macht zu sichern. Ultranationalistische Gruppen können bei der Wahl laut Umfragen mit gut einem Zehntel der Stimmen rechnen.

Das Regierungslager um Vučićs Serbische Fortschrittspartei (SNS) und die verbündeten Sozialisten kann dem Belgrader Stata-Institut zufolge auf 44 Prozent hoffen, verdankt dies allerdings dem starken Einsatz von Druck und Manipulation. Zum ersten Mal seit mehr als einem Jahrzehnt tritt auch eine vereinigte Opposition an. Mehrmals waren in den vergangenen Jahren Zehntausende in Serbien gegen umstrittene Projekte und Vučić auf die Straße gegangen. Der Protest wurde systematisch, als im Mai 2023 ein Dreizehnjähriger in seiner Schule 19 Menschen erschoss und es tags darauf unweit von Belgrad zu einem weiteren Massenmord kam.

Die Opposition hat diesmal gute Aussichten

Hunderttausende Serben haben seitdem unter dem Motto "Serbien gegen Gewalt" immer wieder gegen eine Kultur der Gewalt demonstriert, die ihrer Meinung nach die Morde erst möglich machte. Sie gehe von der Regierung und den sie unterstützenden Medien aus. Am 27. Oktober schlossen sich acht an den Protesten beteiligte Oppositionsparteien zu einer gemeinsamen Wahlliste zusammen. Diese liegt in den Stata-Umfragen bei bis zu 41 Prozent; es ist das erste Mal, dass die Opposition gegen Vučić zumindest in Umfragen eine Chance auf einen Wahlsieg hat.

Vučić lässt wie bei vorherigen Wahlen das Füllhorn öffnen, mit Sonderzahlungen für Rentner, Sozialhilfeempfänger oder Studenten. Die SNS setzt auch wieder Beamte und Staatsangestellte unter Druck. Sie sollen für die Regierung stimmen und auch Familienmitglieder, Arbeitskollegen oder Nachbarn dazu bewegen. Andernfalls drohen Versetzung oder Jobverlust.

Abermals verwendet der Apparat offenbar gefälschte Unterschriften oder manipulierte Verzeichnisse mit nicht existierenden Wählern. In Belgrad wurden bei gleich sieben von 14 kandidierenden Parteien Fälschungen auf Unterschriftenlisten festgestellt. Proteste blieben folgenlos. Vučić und andere Regierungspolitiker behaupten, die Opposition verrate die Interessen Serbiens. Der frühere Minister Aleksandar Martinović etwa warnte, die Opposition wolle nach der Wahl "Chaos und sogar Bürgerkrieg". Selbst protestierende Bauern wurden vom Regierungslager verunglimpft.

Medien als Propagandainstrumente des Regierungslagers

Das ist auch deshalb möglich, weil die Medienlandschaft in Serbien kaum besser aussieht als in Russland und die Pressefreiheit stetig abnimmt, wie etwa der BIRN-Medienmonitor feststellt. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen RTS und die führenden privaten Fernsehsender Pink und Happy TV, die zusammen die Hälfte der Zuschauer an sich ziehen, sind Propagandainstrumente des Regierungslagers. Dazu kommen etliche regierungsfreundliche Boulevardzeitungen. In regierungsfreundlichen Fernsehsendern brachte es Vučić laut den Wahlbeobachtern von CRTA 2023 auf mehr als 250 Fernsehauftritte. Den einzigen unabhängig berichtenden Fernsehsender N1 schalten weniger als ein Prozent der Zuschauer ein.

Die Propaganda überdeckt Serbiens große Probleme: verbreitete Korruption und hohe Abwanderung, bis in die Regierungsspitze reichende Mafiagruppen, gefügige Richter, Oligopole mit im regionalen Vergleich überhöhten Preisen für viele Lebensmittel und Konsumgüter, zudem hohe Inflation. In Belgrad, wo rund ein Drittel aller Serben lebt, bröckelt die Infrastruktur, selbst kleine Straßenreparaturen dauern Monate.

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Statt die Infrastruktur zu verbessern, betrieb Vučić in Belgrad das Luxusprojekt "Belgrade Waterfront" an der Donau. Es besteht aus Wohnblöcken mit extrem hohen Mieten und einem Shopping-Zentrum, ein gesellschaftlicher Nutzen ist nicht erkennbar. Zudem belegt Belgrad auch wegen der massiven Braunkohleverstromung und -heizung im Winter auf der Liste der Städte mit hoher Luftverschmutzung oft den ersten Platz weltweit. Zumindest in Belgrad werden der Opposition reale Chancen zugerechnet, die Macht zu übernehmen. Auf dem Land sind die Hürden höher.

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