Im Hafen von Catania führt Italiens neue Rechtsregierung in diesen Stunden vor, wie sie in Zukunft mit privaten Seenotrettern umgehen will. Und alles weist darauf hin, dass sie auf Polemik und Härte setzen wird - ähnlich wie vor vier Jahren, als Matteo Salvini von der Lega Innenminister war und eine Politik der geschlossenen Häfen praktiziert hatte. Vieles wirkt wie eine Neuauflage.
In der sizilianischen Stadt liegt nun das Schiff Humanity 1 von der deutschen NGO SOS Humanity, das davor zwei Wochen vergeblich auf die Zuweisung eines sicheren Hafens gewartet hatte. Die Humanity 1 hatte 21 Anfragen gestellt, ohne eine Antwort zu erhalten. Erst als am Wochenende ein Sturm aufkam und die 179 ausgezehrten Migranten in Lebensgefahr gerieten, erhielt das Schiff das Recht, hinter den Wellenbrechern anzulegen. In Sizilien an Land durften jedoch nur jene Menschen, von denen die Italiener sagen, sie seien "fragili", also schwach und zerbrechlich: Kranke und Traumatisierte, unbegleitete Minderjährige, Mütter mit kleinen Kindern. Die ärztlichen Inspektoren fanden 144, die sie für "fragili" hielten, sie wurden evakuiert. 35 Männer mussten an Bord bleiben. Laut einem Dekret aus Rom soll die Humanity 1 mit diesen 35 Menschen die italienischen Gewässer wieder verlassen müssen.
Die Helfer halten diesen Passus für illegal und verweisen dabei auf das europäische Recht. Nach diesem dürfen alle Geflüchteten, die europäischen Boden erreichen, hier einen Asylantrag stellen. Italien selektioniere unrechtmäßig Flüchtlinge und dränge willkürlich Menschen ab, kritisieren die Helfer. Demselben Auswahlverfahren sollen nun auch die 572 Menschen auf der Geo Barents von Ärzte ohne Grenzen unterzogen werden, die ebenfalls in Catania anlegen sollte.
Kümmern soll sich das Land, unter dessen Flagge die Schiffe fahren
Italiens neuer Innenminister, Matteo Piantedosi, argumentiert etwas anders als Salvini, doch in der Substanz ist die Linie dieselbe: Italien gegen die NGOs. Der parteilose frühere Präfekt von Rom, der der Lega nahesteht, war Salvinis Kabinettschef, als dieser Innenminister war. Piantedosi sagt, nicht Italien müsste sich mit den Migranten auseinandersetzen, die von ausländischen Organisationen auf der Route durchs zentrale Mittelmeer aus Seenot gerettet würden, sondern jeweils das Land, unter dessen Flagge das Schiff unterwegs sei: Im Fall der Humanity 1 wäre das also Deutschland. Das Schiff sei, sagte der Minister, wie eine deutsche Insel im Mittelmeer, die Asylanträge sollten deshalb an Bord und direkt an die Adresse Deutschlands gestellt werden. Italien fühle sich nicht zuständig.
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Diese Interpretation ist gleich in mehrerer Hinsicht angreifbar: juristisch, politisch, moralisch. Doch Italiens Rechte hat sich schon lange mit den NGOs verkeilt, vieles ist Propaganda. Weit verbreitet unter den Italienern bleibt aber der Eindruck, dass man von den Partnern in der Europäischen Union schon lange alleingelassen werde mit dem Migrationsstrom auf dieser Route. Die Forderung nach einer Revision des Dubliner Abkommens bleibt unerhört: Es sieht vor, dass ein Flüchtling in jenem Land Asyl beantragen muss, in dem er als Erstes europäischen Boden betreten hat. Bei Bootsflüchtlingen sind das nun mal fast immer Länder am Mittelmeer.
Wenn man den Italienern vorwirft, sie seien unmenschlich und egoistisch in dieser Frage, kontern sie, dass sich bis heute etliche europäische Länder weigerten, an einem systematischen Verteilungsmodus für Migranten teilzunehmen. Man lasse sich nicht belehren.
Die Schließung der Häfen rechtfertigt Piantedosi mit einem Gesetzesdekret von 2020. Da heißt es, Italien könne den Halt in nationalen Gewässern oder deren Durchquerung von privaten Schiffen einschränken oder verbieten, so es Indizien gebe, dass sonst Ordnung und Sicherheit des Landes gefährdet seien. Nun, wie groß werden dann wohl italienische Richter die Gefahr einschätzen, die für ein großes Land von einigen Hundert müden Migranten ausgeht? Zur Erinnerung: Salvini steht noch immer vor Gericht, weil er im August 2019 einem spanischen Schiff die Einfahrt in einen sizilianischen Hafen verwehrt hatte - wegen Freiheitsberaubung.