Corona in der Schweiz:Sündenböcke aus dem Kosovo

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Behandlung eines Covid-19-Patienten in der Schweiz. Die Zahlen der Fälle auf den Intensivstationen nehmen wieder zu. (Foto: Robert Hradil/Getty Images)

In der Schweiz füllen sich die Intensivstationen mit Corona-Patienten. Viele von ihnen haben Wurzeln in Kosovo. Das hat auch Auswirkungen auf die Pandemie-Politik - nicht alle sind nachvollziehbar.

Von Isabel Pfaff, Bern

"Enttäuscht" seien sie, schreiben die Veranstalter des abgesagten Alba-Festivals auf ihrer Internetseite. Weil sie viel Herzblut in die Organisation des Zürcher Musikfestivals mit albanischen Künstlerinnen und Künstlern gesteckt hätten - aber vor allem, "weil die Begründung für den Bewilligungsentzug maßgeblich auf unsere Herkunft abstützt. Das kann und darf nicht sein".

Das Festival, bei dem 20 000 Besucher erwartet worden waren, hätte eigentlich am vergangenen Wochenende stattfinden sollen, aber zwei Tage vorher hat die Zürcher Kantonsregierung den Veranstaltern die Bewilligung entzogen. Eine Großveranstaltung wie das Alba-Festival führe zu einer zusätzlichen Belastung der Krankenhäuser, schrieb der Regierungsrat. "Hinzu kommt, dass sich das Alba-Festival primär an eine stark betroffene Community richtet." Das zeigten das Contact Tracing und auch ein Blick auf die Intensivstationen. Die Impfquote in dieser Bevölkerungsgruppe sei zu niedrig, um eine solche Großveranstaltung verantworten zu können.

Die Entrüstung in der großen kosovarischen Diaspora in der Schweiz war groß: "Ich fühle mich extrem diskriminiert", sagte Festival-Organisator Adem Morina bei einer Pressekonferenz. Auf Instagram fragte sein Team rhetorisch, ob es fair sei, einem schweizerisch-albanischen Festival mit 3G-Sicherheitslevel die Bewilligung zu entziehen, während am gleichen Wochenende mehr als 50 andere Veranstaltungen in der Schweiz stattfinden dürften. Tatsächlich fand am Wochenende die Zurich Pride mit rund 20 000 Teilnehmern statt, und am Mittwoch startet eine große Leichtathletik-Veranstaltung in der Stadt.

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Die spektakuläre Absage ist der vorläufige Höhepunkt einer Stimmung in der Schweiz, die sich über die vergangenen Monate aufgebaut hat. Die Infektionszahlen sind seit Juli wieder stark gestiegen, und auch die Intensivstationen müssen wieder viele Covid-Patienten aufnehmen. Zuletzt lag ihr Anteil bei fast der Hälfte der belegten Betten. Die meisten von ihnen sind nicht geimpft.

Die rechte SVP kritisiert Reiserückkehrer

Und tatsächlich berichten Mediziner und Gesundheitspolitiker von überdurchschnittlich vielen Covid-Patienten mit Bezug zum Balkan. Wie auch die wissenschaftliche Taskforce der Schweizer Regierung bestätigt, hat sich ein großer Teil der hospitalisierten Covid-Kranken in einem Land in Südosteuropa angesteckt, die meisten in Kosovo oder in Nordmazedonien. Viele Schweizer mit Wurzeln in diesen Ländern sind über den Sommer dorthin gereist, um Verwandte und Freunde zu besuchen. Dort stiegen rasant die Corona-Zahlen mangels Schutzmaßnahmen, gleichzeitig ist die Impfquote niedrig. Viele scheinen das Virus also von dort in die Schweiz mitgebracht zu haben.

Politiker der rechtskonservativen SVP haben das zum Anlass genommen, die Reiserückkehrer zu kritisieren. In einem Interview sagte Thomas Aeschi, SVP-Fraktionschef, dass man lieber wieder Grenzkontrollen und die Quarantäne nach Auslandsaufenthalten einführen solle, als den Druck auf Ungeimpfte im Inland zu erhöhen, wie es die Schweizer Regierung mit der Ausweitung der Zertifikatspflicht plant.

Andere Politiker und Journalisten zeigen sich empört über die Festival-Absage und allgemein über die Sündenbock-Rolle, in die die kosovarische Gemeinschaft gedrängt wird. "Lieber Regierungsrat, die Absage des Alba-Festivals ist diskriminierend", kommentiert das Onlinemedium Watson. Auch die NZZ bezeichnet die Entscheidung des Kantons als ungerecht, diskriminierend und herablassend. Cédric Wermuth, der Co-Vorsitzende der Sozialdemokraten, sprach sich auf Facebook gegen "das absurde Bashing von Kosovar:innen und Nordmazedonier:innen" aus; die richtige Antwort auf die niedrige Impfquote in dieser Gruppe sei nicht die Absage eines albanischen Kulturfestivals, sondern dort mit einem Impfbus präsent zu sein. Die Schweiz habe insgesamt "viel zu wenige, niederschwellige Impfangebote" gemacht.

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